Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kraft der hellenischen Taktik. Den mehr wie zwanzigfach überlegenen Massen
der Perser fehlte es an jener organischen Ordnung, die den Hellenen durch
die dorische Kampfweise zur zweiten Natur geworden; es fehlte ihnen an der
kräftigen Zuversicht zur Nahwaffe; das geschlossene Fußgcfecht war ihre Stärke
nicht; ihre Hauptwaffe, die Reiterei, fand kein günstiges Gelände -- und vor
allem: auf asiatischer Seite fochten wesentlich Sklaven, auf griechischer freie
Bürger angesichts der eigenen, vor ihren Augen bedrohten theueren Heimath. --
Uebrigens ist es bezeichnend für die eigenthümliche Freiheit des attischen
Geistes, daß die Kämpfer von Marathon keinesweges mit der ängstlichen
Peinlichkeit an den äußeren Formen der dorischen Taktik hafteten, wie das
die Spartaner zu thun pflegten. Man Hort, daß sie schon 10i)0 Schritt von
den Feinde" entfernt, sich im Laufe auf dieselben stürzten, um den Gegnern
keine Zeit zum Gebrauch ihrer Fernwaffen zu lassen -- ein Verfahren, das
den Spartiaten, die alles Heil ausschließlich in dein, nur bei feierlich langsamen
Vorrücken möglichen Geschlvssenbleiben suchten, niemals in den Sinn gekommen
wäre. Hier trug es seine Frucht! Die Perser wurden vollkommen ge¬
schlagen.

Darjawnsch starb, während er die Vorbereitungen zu einem neuen Zuge
gegen Hellas machte; aber sein Nachfolger Ksayärsä Merxes) nahm dieselben
auf. Athen mußte auf neue schwerere Gefahr gefaßt sein. Themistokles war
es, der den Weg wies, ihr zu begegnen. Vor allem galt es, die Asiaten zu
hindern, Attika zum zweitenmale von der See her plötzlich überfallen zu können.
Aber die Seestaalen von Hellas: Aigina, Korinth, Athen besaßen nicht so
viel Kriegsschiffe wie allein die asiatischen Griechen zur Perserflotte stellten,
und diese Schiffe waren meist flache Fünfzigrudercr, während die Asiaten
Fahrzeuge mit mehreren übereinander liegenden Ruderreihen hatten. Da legte
Themistokles den Grund zur späteren Seeherrschaft Athens, indem er die ans
dem Ertrag der lanriotischen Silberbergwerke fließende Staatseinnahme, welche
bisher unter die Bürger vertheilt worden, zur Vermehrung der Marine ver¬
wenden ließ. So kam es, daß unter den 271 hellenischen Orlogsschiffen bei
Artemision 127, unter den 378 Galeeren bei Salamis 200 attische Dreiruder¬
reihenschiffe waren. -- Der Verdreifachung der Flotte Athens entsprach der
Bau des festen Kriegshafens im Peiraiens, und daß nunmehr die Masse der
nicht zum Hoplitendienste Pflichtigen ärmeren Bürger zur Ehre des Kriegs¬
dienstes herangezogen wurde, wenn auch nur als Ruderer und Schützen, das
steigerte nicht nur den demokratischen Zug der Verfassung, sondern gab den
unteren Volksschichten auch die Disziplin des strengen Dienstes auf der Flotte.

Doch auch politisch zeigte Themistokles den Hellenen den rettenden Weg.
Daß mit dem Heereszuge aus Asien zugleich auch die Karthager in Sizilien


Kraft der hellenischen Taktik. Den mehr wie zwanzigfach überlegenen Massen
der Perser fehlte es an jener organischen Ordnung, die den Hellenen durch
die dorische Kampfweise zur zweiten Natur geworden; es fehlte ihnen an der
kräftigen Zuversicht zur Nahwaffe; das geschlossene Fußgcfecht war ihre Stärke
nicht; ihre Hauptwaffe, die Reiterei, fand kein günstiges Gelände — und vor
allem: auf asiatischer Seite fochten wesentlich Sklaven, auf griechischer freie
Bürger angesichts der eigenen, vor ihren Augen bedrohten theueren Heimath. —
Uebrigens ist es bezeichnend für die eigenthümliche Freiheit des attischen
Geistes, daß die Kämpfer von Marathon keinesweges mit der ängstlichen
Peinlichkeit an den äußeren Formen der dorischen Taktik hafteten, wie das
die Spartaner zu thun pflegten. Man Hort, daß sie schon 10i)0 Schritt von
den Feinde» entfernt, sich im Laufe auf dieselben stürzten, um den Gegnern
keine Zeit zum Gebrauch ihrer Fernwaffen zu lassen — ein Verfahren, das
den Spartiaten, die alles Heil ausschließlich in dein, nur bei feierlich langsamen
Vorrücken möglichen Geschlvssenbleiben suchten, niemals in den Sinn gekommen
wäre. Hier trug es seine Frucht! Die Perser wurden vollkommen ge¬
schlagen.

Darjawnsch starb, während er die Vorbereitungen zu einem neuen Zuge
gegen Hellas machte; aber sein Nachfolger Ksayärsä Merxes) nahm dieselben
auf. Athen mußte auf neue schwerere Gefahr gefaßt sein. Themistokles war
es, der den Weg wies, ihr zu begegnen. Vor allem galt es, die Asiaten zu
hindern, Attika zum zweitenmale von der See her plötzlich überfallen zu können.
Aber die Seestaalen von Hellas: Aigina, Korinth, Athen besaßen nicht so
viel Kriegsschiffe wie allein die asiatischen Griechen zur Perserflotte stellten,
und diese Schiffe waren meist flache Fünfzigrudercr, während die Asiaten
Fahrzeuge mit mehreren übereinander liegenden Ruderreihen hatten. Da legte
Themistokles den Grund zur späteren Seeherrschaft Athens, indem er die ans
dem Ertrag der lanriotischen Silberbergwerke fließende Staatseinnahme, welche
bisher unter die Bürger vertheilt worden, zur Vermehrung der Marine ver¬
wenden ließ. So kam es, daß unter den 271 hellenischen Orlogsschiffen bei
Artemision 127, unter den 378 Galeeren bei Salamis 200 attische Dreiruder¬
reihenschiffe waren. — Der Verdreifachung der Flotte Athens entsprach der
Bau des festen Kriegshafens im Peiraiens, und daß nunmehr die Masse der
nicht zum Hoplitendienste Pflichtigen ärmeren Bürger zur Ehre des Kriegs¬
dienstes herangezogen wurde, wenn auch nur als Ruderer und Schützen, das
steigerte nicht nur den demokratischen Zug der Verfassung, sondern gab den
unteren Volksschichten auch die Disziplin des strengen Dienstes auf der Flotte.

Doch auch politisch zeigte Themistokles den Hellenen den rettenden Weg.
Daß mit dem Heereszuge aus Asien zugleich auch die Karthager in Sizilien


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139403"/>
            <p xml:id="ID_307" prev="#ID_306"> Kraft der hellenischen Taktik. Den mehr wie zwanzigfach überlegenen Massen<lb/>
der Perser fehlte es an jener organischen Ordnung, die den Hellenen durch<lb/>
die dorische Kampfweise zur zweiten Natur geworden; es fehlte ihnen an der<lb/>
kräftigen Zuversicht zur Nahwaffe; das geschlossene Fußgcfecht war ihre Stärke<lb/>
nicht; ihre Hauptwaffe, die Reiterei, fand kein günstiges Gelände &#x2014; und vor<lb/>
allem: auf asiatischer Seite fochten wesentlich Sklaven, auf griechischer freie<lb/>
Bürger angesichts der eigenen, vor ihren Augen bedrohten theueren Heimath. &#x2014;<lb/>
Uebrigens ist es bezeichnend für die eigenthümliche Freiheit des attischen<lb/>
Geistes, daß die Kämpfer von Marathon keinesweges mit der ängstlichen<lb/>
Peinlichkeit an den äußeren Formen der dorischen Taktik hafteten, wie das<lb/>
die Spartaner zu thun pflegten. Man Hort, daß sie schon 10i)0 Schritt von<lb/>
den Feinde» entfernt, sich im Laufe auf dieselben stürzten, um den Gegnern<lb/>
keine Zeit zum Gebrauch ihrer Fernwaffen zu lassen &#x2014; ein Verfahren, das<lb/>
den Spartiaten, die alles Heil ausschließlich in dein, nur bei feierlich langsamen<lb/>
Vorrücken möglichen Geschlvssenbleiben suchten, niemals in den Sinn gekommen<lb/>
wäre. Hier trug es seine Frucht! Die Perser wurden vollkommen ge¬<lb/>
schlagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_308"> Darjawnsch starb, während er die Vorbereitungen zu einem neuen Zuge<lb/>
gegen Hellas machte; aber sein Nachfolger Ksayärsä Merxes) nahm dieselben<lb/>
auf. Athen mußte auf neue schwerere Gefahr gefaßt sein. Themistokles war<lb/>
es, der den Weg wies, ihr zu begegnen. Vor allem galt es, die Asiaten zu<lb/>
hindern, Attika zum zweitenmale von der See her plötzlich überfallen zu können.<lb/>
Aber die Seestaalen von Hellas: Aigina, Korinth, Athen besaßen nicht so<lb/>
viel Kriegsschiffe wie allein die asiatischen Griechen zur Perserflotte stellten,<lb/>
und diese Schiffe waren meist flache Fünfzigrudercr, während die Asiaten<lb/>
Fahrzeuge mit mehreren übereinander liegenden Ruderreihen hatten. Da legte<lb/>
Themistokles den Grund zur späteren Seeherrschaft Athens, indem er die ans<lb/>
dem Ertrag der lanriotischen Silberbergwerke fließende Staatseinnahme, welche<lb/>
bisher unter die Bürger vertheilt worden, zur Vermehrung der Marine ver¬<lb/>
wenden ließ. So kam es, daß unter den 271 hellenischen Orlogsschiffen bei<lb/>
Artemision 127, unter den 378 Galeeren bei Salamis 200 attische Dreiruder¬<lb/>
reihenschiffe waren. &#x2014; Der Verdreifachung der Flotte Athens entsprach der<lb/>
Bau des festen Kriegshafens im Peiraiens, und daß nunmehr die Masse der<lb/>
nicht zum Hoplitendienste Pflichtigen ärmeren Bürger zur Ehre des Kriegs¬<lb/>
dienstes herangezogen wurde, wenn auch nur als Ruderer und Schützen, das<lb/>
steigerte nicht nur den demokratischen Zug der Verfassung, sondern gab den<lb/>
unteren Volksschichten auch die Disziplin des strengen Dienstes auf der Flotte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_309" next="#ID_310"> Doch auch politisch zeigte Themistokles den Hellenen den rettenden Weg.<lb/>
Daß mit dem Heereszuge aus Asien zugleich auch die Karthager in Sizilien</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Kraft der hellenischen Taktik. Den mehr wie zwanzigfach überlegenen Massen der Perser fehlte es an jener organischen Ordnung, die den Hellenen durch die dorische Kampfweise zur zweiten Natur geworden; es fehlte ihnen an der kräftigen Zuversicht zur Nahwaffe; das geschlossene Fußgcfecht war ihre Stärke nicht; ihre Hauptwaffe, die Reiterei, fand kein günstiges Gelände — und vor allem: auf asiatischer Seite fochten wesentlich Sklaven, auf griechischer freie Bürger angesichts der eigenen, vor ihren Augen bedrohten theueren Heimath. — Uebrigens ist es bezeichnend für die eigenthümliche Freiheit des attischen Geistes, daß die Kämpfer von Marathon keinesweges mit der ängstlichen Peinlichkeit an den äußeren Formen der dorischen Taktik hafteten, wie das die Spartaner zu thun pflegten. Man Hort, daß sie schon 10i)0 Schritt von den Feinde» entfernt, sich im Laufe auf dieselben stürzten, um den Gegnern keine Zeit zum Gebrauch ihrer Fernwaffen zu lassen — ein Verfahren, das den Spartiaten, die alles Heil ausschließlich in dein, nur bei feierlich langsamen Vorrücken möglichen Geschlvssenbleiben suchten, niemals in den Sinn gekommen wäre. Hier trug es seine Frucht! Die Perser wurden vollkommen ge¬ schlagen. Darjawnsch starb, während er die Vorbereitungen zu einem neuen Zuge gegen Hellas machte; aber sein Nachfolger Ksayärsä Merxes) nahm dieselben auf. Athen mußte auf neue schwerere Gefahr gefaßt sein. Themistokles war es, der den Weg wies, ihr zu begegnen. Vor allem galt es, die Asiaten zu hindern, Attika zum zweitenmale von der See her plötzlich überfallen zu können. Aber die Seestaalen von Hellas: Aigina, Korinth, Athen besaßen nicht so viel Kriegsschiffe wie allein die asiatischen Griechen zur Perserflotte stellten, und diese Schiffe waren meist flache Fünfzigrudercr, während die Asiaten Fahrzeuge mit mehreren übereinander liegenden Ruderreihen hatten. Da legte Themistokles den Grund zur späteren Seeherrschaft Athens, indem er die ans dem Ertrag der lanriotischen Silberbergwerke fließende Staatseinnahme, welche bisher unter die Bürger vertheilt worden, zur Vermehrung der Marine ver¬ wenden ließ. So kam es, daß unter den 271 hellenischen Orlogsschiffen bei Artemision 127, unter den 378 Galeeren bei Salamis 200 attische Dreiruder¬ reihenschiffe waren. — Der Verdreifachung der Flotte Athens entsprach der Bau des festen Kriegshafens im Peiraiens, und daß nunmehr die Masse der nicht zum Hoplitendienste Pflichtigen ärmeren Bürger zur Ehre des Kriegs¬ dienstes herangezogen wurde, wenn auch nur als Ruderer und Schützen, das steigerte nicht nur den demokratischen Zug der Verfassung, sondern gab den unteren Volksschichten auch die Disziplin des strengen Dienstes auf der Flotte. Doch auch politisch zeigte Themistokles den Hellenen den rettenden Weg. Daß mit dem Heereszuge aus Asien zugleich auch die Karthager in Sizilien

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/110>, abgerufen am 15.05.2024.