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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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gerichts nach Sachsen verlegte, ist wohl berechtigt, wenn z. B. ein sächsischer
Kammerjunker es wagen kann, bei Berathung der Ausführung der Jnstizgesetze
die reine Würde der preußischen Justiz ungerügt zu schmähen, und der frühere
Präsident eines sächsischen Appellativusgerichts und jetzige Referent der Kammer
der sächsischen Lords unzaghaft erklärt, baß er die Vorlagen der preußischen
Regierung zur Einführung der Neichsjustizgesetze nicht kenne, d. h. doch wohl
nicht zu kennen brauche. Solche Symptome lebendigen Prenßenhasses ergänzen
sich durch das wüste Fraternisiren der preußischen Junker mit den Ultra¬
montanen, der Verurtheilung des Kulturkampfes, der Drohung, die ganze liberale
Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts zurückzuschrauben und zu zerstören, die
man täglich auf der ganzen Linie der sog. Deutschkouservativen ausstoßen hört.
Auf wirthschaftlichem Gebiete regt sich der gröbste Eigennutz und Klassenhaß
unter den Schutzzöllnern, den Agrariern, auf politisch-sozialem Gebiete immer
kecker die vaterlandslose Zerstörungslust der Sozialisten, die aus den letzten
Reichstagswahlen abermals verstärkt hervorgingen und auf dem Genter Kongreß
wieder unverhüllt die Fahne des heimatlosen Kommunismus entrollten, die
sie vor der mächtigen Entfaltung des deutschen Nationalgefühls während
des letzten Krieges und während der ersten Jahre des Kulturkampfes zu ver¬
bergen trachteten. Rechnet man dazu den Stillstand der Gesetzgebungsarbeit
im Innern Preußens infolge des Zwiespaltes zwischen der Regierung und den
Elementen, welche in die Regierung sich zu drängen suchen, so gewinnt man
einen flüchtige" Ueberblick der Probleme, welche den Nachfolger des Fürsten
Bismarck im Innern des deutschen Reichs erwarten würden.

Dazu kommen nun die Schwierigkeiten der äußern Politik, die kaum
sichtbar sind, so lange seine Hand die Zügel unseres Staatswesens leitet, die
aber in kürzester Frist jedem Unberufenen unüberwindlich sich häufen dürften.
Wir haben mit Mühe und Noth eine kurze Verlängerung unseres freisinnigen
Handelsvertrages mit Oesterreich erlangt. Die geringste Nachgiebigkeit -- und
wie nachgiebig würden sich die frommen Junker erweisen, die da meinen, "der
Starke weicht furchtlos zurück" -- liefert die gesammten freihändlerischen Tra¬
ditionen Preußens aus an die unsaubere Koalition der schutzzöllnerischen In¬
teressen Oesterreichs und schafft ein entscheidendes Präjudiz für die Grund^
lagen jener Handelsverträge, die in Zukunft mit anderen Nationen zu schließen
sind. Noch viel verderblicher aber wäre die geringste Hinneigung zur Nach¬
giebigkeit -- und Herr von Meyer, der Wortführer der Deutschkonservativen
bietet fröhlich ein ganzes Canossa -- in jenem nahe bevorstehenden Moment,
wo es sich um die Neubesetzung des päpstlichen Stuhles handelt. Es sind
das nur die nächstliegenden Beispiele von Schwierigkeiten, welche auch einem
Fürsten Bismarck zu denken geben mögen. Wer sich daran erinnert, wie wir gegen


gerichts nach Sachsen verlegte, ist wohl berechtigt, wenn z. B. ein sächsischer
Kammerjunker es wagen kann, bei Berathung der Ausführung der Jnstizgesetze
die reine Würde der preußischen Justiz ungerügt zu schmähen, und der frühere
Präsident eines sächsischen Appellativusgerichts und jetzige Referent der Kammer
der sächsischen Lords unzaghaft erklärt, baß er die Vorlagen der preußischen
Regierung zur Einführung der Neichsjustizgesetze nicht kenne, d. h. doch wohl
nicht zu kennen brauche. Solche Symptome lebendigen Prenßenhasses ergänzen
sich durch das wüste Fraternisiren der preußischen Junker mit den Ultra¬
montanen, der Verurtheilung des Kulturkampfes, der Drohung, die ganze liberale
Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts zurückzuschrauben und zu zerstören, die
man täglich auf der ganzen Linie der sog. Deutschkouservativen ausstoßen hört.
Auf wirthschaftlichem Gebiete regt sich der gröbste Eigennutz und Klassenhaß
unter den Schutzzöllnern, den Agrariern, auf politisch-sozialem Gebiete immer
kecker die vaterlandslose Zerstörungslust der Sozialisten, die aus den letzten
Reichstagswahlen abermals verstärkt hervorgingen und auf dem Genter Kongreß
wieder unverhüllt die Fahne des heimatlosen Kommunismus entrollten, die
sie vor der mächtigen Entfaltung des deutschen Nationalgefühls während
des letzten Krieges und während der ersten Jahre des Kulturkampfes zu ver¬
bergen trachteten. Rechnet man dazu den Stillstand der Gesetzgebungsarbeit
im Innern Preußens infolge des Zwiespaltes zwischen der Regierung und den
Elementen, welche in die Regierung sich zu drängen suchen, so gewinnt man
einen flüchtige» Ueberblick der Probleme, welche den Nachfolger des Fürsten
Bismarck im Innern des deutschen Reichs erwarten würden.

Dazu kommen nun die Schwierigkeiten der äußern Politik, die kaum
sichtbar sind, so lange seine Hand die Zügel unseres Staatswesens leitet, die
aber in kürzester Frist jedem Unberufenen unüberwindlich sich häufen dürften.
Wir haben mit Mühe und Noth eine kurze Verlängerung unseres freisinnigen
Handelsvertrages mit Oesterreich erlangt. Die geringste Nachgiebigkeit — und
wie nachgiebig würden sich die frommen Junker erweisen, die da meinen, „der
Starke weicht furchtlos zurück" — liefert die gesammten freihändlerischen Tra¬
ditionen Preußens aus an die unsaubere Koalition der schutzzöllnerischen In¬
teressen Oesterreichs und schafft ein entscheidendes Präjudiz für die Grund^
lagen jener Handelsverträge, die in Zukunft mit anderen Nationen zu schließen
sind. Noch viel verderblicher aber wäre die geringste Hinneigung zur Nach¬
giebigkeit — und Herr von Meyer, der Wortführer der Deutschkonservativen
bietet fröhlich ein ganzes Canossa — in jenem nahe bevorstehenden Moment,
wo es sich um die Neubesetzung des päpstlichen Stuhles handelt. Es sind
das nur die nächstliegenden Beispiele von Schwierigkeiten, welche auch einem
Fürsten Bismarck zu denken geben mögen. Wer sich daran erinnert, wie wir gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/12>, abgerufen am 14.05.2024.