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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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badet auch Ferdinand Lassalle. Er litt an "veraltetem Rheumatismus." Das
hinderte ihn jedoch nicht, mit der Heldin bei erster Gelegenheit zum Walzer
anzutreten. Er "verläßt sie und ihren Vater buchstäblich nicht" -- das Deutsch
der Uebersetzung ist nicht gerade mustergiltig -- er "fängt zum Scherz an,
Russisch bei ihr zu lernen", hört aber bei der achten Lektion auf; sie ist sehr
entzückt von seinen geistvollen Gesprächen, er von ihrem Gesang und Klavier¬
spiel. Ihr Vater bemerkt früher als sie "welcher Art die Anhänglichkeit sei,
welche Lassalle für sie zeigte." Der Vater fürchtete, daß sie sich Lassalle zuneigen
könne, da dieser selbst von sich sagte, "daß er auf Vulkanen wandle." Lassalle sagte
also schon damals viel. Die Heldin selbst "bemerkte lange nichts und als ich
dann zu ahnen begann, um was es sich handle, blieb ich, obschon von seinen
Reden hingerissen, persönlich mit ihm sympathisirte (!), als Weib vollkommen
gleichgültig gegen ihn." .Nachdem uns noch rasch die Gräfin Hatzfeld als
"eine schöne alte Frau" vorgestellt worden ist, welche "Lassalle mit mütterlicher
Zärtlichkeit behandelte", beginnt die Korrespondenz der "Liebesepisode." Las¬
salle schreibt nämlich (am 26. Sept. 1860) an Fräulein oder Prinzessin S.
S... ff zunächst nach Brüssel, wohin sie von Aachen mit ihrem Vater gereist
ist, einen Brief, der deutlich zeigt, wie begierig er einen ihm von der Dame
gegebenen kleinen Auftrag ergreift, um rin ihr in Korrespondenz zu treten.
Für den geschichtlichen Charakter Lassalle's sind indessen nur zwei Stellen
dieses Briefes von einigem Interesse. Die erste ist ein rührendes Plädoyer für
die deutsche Muttersprache -- die Russin hatte französische Briefe erbeten --
"Ach, wenn ich Deutsch schreiben dürfte, welches Leben, welche Bewegung würde
in diesem Briefe sein! Es wären nicht, wie jetzt, todte Buchstaben, Anein¬
anderreihungen von Silben an Silben, von Wörtern an Wörter. Jedes Wort
würde ein individuelles, durchgeistigtes Wesen sein, belebt durch die Seelen¬
wärme, die ich ihm mittheilen würde! Es wären ebensoviele kleine Vögelchen,
mit rührendem Gesänge, mit vergoldeten Flügelchen, welche nicht erst diese
Schneckenpost nöthig hätten; nein, sie würden von selbst davon fliegen, und
sich vor Ihnen niederlassen, um Ihre Hände und Füße zu küssen!" -- Die
andere Stelle ist ein Protest des Bürgerkindes Lassalle gegen ein ihm von der
Russin angedichtetes "von". "Die Adresse Ihres Briefes ist nicht richtig. Sie
haben meinem Namen ein "von" vorgesetzt, welches mir nicht gebührt. Ich
habe die Ehre, nicht adelig zu sein. Bürgerlich von Geburt, zum
Volke nach meinem Herzen mich rechnend/') habe ich weder das Recht noch



*) Der französische Originaltext lautet: "Lourxeoii! x^r rniWg,vos, xenxls (?!) xar es
vosnr- -- Die Stelle beweist, wie unvollkommen Lassalle in der That Französisch schrieb,
denn "xenxls'' kann nie adjektivisch und nie in Anwendung auf ein Individuum aus dem
"Volke" gebraucht werden. Er hätte "xlSdsM" sagen müssen, wie Thiers von Napoleon

badet auch Ferdinand Lassalle. Er litt an „veraltetem Rheumatismus." Das
hinderte ihn jedoch nicht, mit der Heldin bei erster Gelegenheit zum Walzer
anzutreten. Er „verläßt sie und ihren Vater buchstäblich nicht" — das Deutsch
der Uebersetzung ist nicht gerade mustergiltig — er „fängt zum Scherz an,
Russisch bei ihr zu lernen", hört aber bei der achten Lektion auf; sie ist sehr
entzückt von seinen geistvollen Gesprächen, er von ihrem Gesang und Klavier¬
spiel. Ihr Vater bemerkt früher als sie „welcher Art die Anhänglichkeit sei,
welche Lassalle für sie zeigte." Der Vater fürchtete, daß sie sich Lassalle zuneigen
könne, da dieser selbst von sich sagte, „daß er auf Vulkanen wandle." Lassalle sagte
also schon damals viel. Die Heldin selbst „bemerkte lange nichts und als ich
dann zu ahnen begann, um was es sich handle, blieb ich, obschon von seinen
Reden hingerissen, persönlich mit ihm sympathisirte (!), als Weib vollkommen
gleichgültig gegen ihn." .Nachdem uns noch rasch die Gräfin Hatzfeld als
„eine schöne alte Frau" vorgestellt worden ist, welche „Lassalle mit mütterlicher
Zärtlichkeit behandelte", beginnt die Korrespondenz der „Liebesepisode." Las¬
salle schreibt nämlich (am 26. Sept. 1860) an Fräulein oder Prinzessin S.
S... ff zunächst nach Brüssel, wohin sie von Aachen mit ihrem Vater gereist
ist, einen Brief, der deutlich zeigt, wie begierig er einen ihm von der Dame
gegebenen kleinen Auftrag ergreift, um rin ihr in Korrespondenz zu treten.
Für den geschichtlichen Charakter Lassalle's sind indessen nur zwei Stellen
dieses Briefes von einigem Interesse. Die erste ist ein rührendes Plädoyer für
die deutsche Muttersprache — die Russin hatte französische Briefe erbeten —
„Ach, wenn ich Deutsch schreiben dürfte, welches Leben, welche Bewegung würde
in diesem Briefe sein! Es wären nicht, wie jetzt, todte Buchstaben, Anein¬
anderreihungen von Silben an Silben, von Wörtern an Wörter. Jedes Wort
würde ein individuelles, durchgeistigtes Wesen sein, belebt durch die Seelen¬
wärme, die ich ihm mittheilen würde! Es wären ebensoviele kleine Vögelchen,
mit rührendem Gesänge, mit vergoldeten Flügelchen, welche nicht erst diese
Schneckenpost nöthig hätten; nein, sie würden von selbst davon fliegen, und
sich vor Ihnen niederlassen, um Ihre Hände und Füße zu küssen!" — Die
andere Stelle ist ein Protest des Bürgerkindes Lassalle gegen ein ihm von der
Russin angedichtetes „von". „Die Adresse Ihres Briefes ist nicht richtig. Sie
haben meinem Namen ein „von" vorgesetzt, welches mir nicht gebührt. Ich
habe die Ehre, nicht adelig zu sein. Bürgerlich von Geburt, zum
Volke nach meinem Herzen mich rechnend/') habe ich weder das Recht noch



*) Der französische Originaltext lautet: „Lourxeoii! x^r rniWg,vos, xenxls (?!) xar es
vosnr- — Die Stelle beweist, wie unvollkommen Lassalle in der That Französisch schrieb,
denn „xenxls'' kann nie adjektivisch und nie in Anwendung auf ein Individuum aus dem
„Volke" gebraucht werden. Er hätte „xlSdsM" sagen müssen, wie Thiers von Napoleon
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/122>, abgerufen am 15.05.2024.