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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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die Lust dieses "von" zu führen. ... Da mir nichts geringeres als die
ganze Welt gehört (?), so kann ich nicht jene Vorsatzsilbe annehmen, noch will
ich meinen Ursprung und Besitzstand durch dieses Abzeichen verkleinern."

Doch nehmen wir die eigentliche "Liebesepisode" wieder ans. Die Heldin
kehrt mit ihrem Vater, für Lassalle unerwartet, nach Aachen zurück und "der
Ausdruck seiner Freude war so glühend und zärtlich, daß sich ihre Ver¬
muthungen in Betreff der Art seiner Gefühle für sie bestätigten." Er begleitet
sammt der "mütterlichen" Gräfin Hatzfeld sie und ihren Vater bis nach Köln
und nachdem er hier zwei Tage geseufzt, bleich gewesen und den eintönigen
Blödsinn eines deutschen Fremdenführers über sich hatte ergehen lassen, be¬
nutzt er einen Augenblick, um der Russin "gänzlich unerwartet für sie, feine
grenzenlose leidenschaftliche Liebe zu gestehen." Wie in Romanen, hindert der
bei Zeiten herzutretende Vater die abweisende Antwort der Heldin, und ge¬
stattet dadurch der vorliegenden Liebesepisode, sich von zwölf Druckseiten auf
96 auszudehnen. Am Abend desselben Tages benutzt Lassalle einen zubereiteten
Zufall, um die Antwort auf die Frage des Morgens zu begehren, und das
Fräulein antwortet vorsichtig: "daß sie ihn vielleicht lieben werde." Sie
versichert uns, daß diese Art von Antwort Lassalle sehr aufgeregt habe, und
bemerkt zu ihrer Rechtfertigung "daß sie damals noch nicht verstand und erst
viel später sühlen lernte was Liebe sei -- und nicht in Bezug auf Lassalle."

Damit ist die "Liebesepisode" eigentlich schon zu Ende erzählt. Aber die
fünf Akte des Schauspiels müssen voll werden und so begegnen wir denn nach
dieser Exposition zunächst den so sehr beliebten Mißverständnissen. Schauplatz:
mangelhafte Verbindung zwischen Berlin (Lassalle) und Dresden (Russin); Ursache:
Die weiland Kgl. Sachs. Post, schwefelgelben Angedenkens, die das Verbrechen
begeht, einen in Dresden später aufgegebenen Brief der Russin früher nach
Berlin zu befördern, als einen früher aufgegebenen, und dadurch eine heillose
Verwirrung im Kopfe des künftigen Volksbeglückers anrichtet. Noch während
diese Mißverständnisse toben, arbeitet und felle Lassalle an seinen "Bekenntnissen",
durch welche er die Geliebte mit Gegenliebe zu erfüllen, sie zu erobern und
die sehr triftigen Bedenken ihres Vaters gegen die Heirath seiner Tochter mit
diesem Strudelkopf zu beseitigen hofft. Nachdem diese Bekenntnisse mehrfach
als der Absendung nahe oder bereits abgesendet bezeichnet worden sind, gehen
sie endlich wirklich ab und langen ohne Verspätung in Dresden an. Aber die
junge Russin, der nach ihrer Lektüre der Kopf wirbelt, blickt unglücklicherweise
zu ihrer Erholung aus den Fenstern des Hotel de Saxe auf das Markttreiben


in seiner "Geschichte der Revolution", aber das widerstrebte Lassalles durchaus aristokrati¬
schen Empfindungen und Allüren und den Regungen von Wahrhaftigkeit, welche wenigstens
die ersten der hier mitgetheilten Briefe auszeichnen.

die Lust dieses „von" zu führen. ... Da mir nichts geringeres als die
ganze Welt gehört (?), so kann ich nicht jene Vorsatzsilbe annehmen, noch will
ich meinen Ursprung und Besitzstand durch dieses Abzeichen verkleinern."

Doch nehmen wir die eigentliche „Liebesepisode" wieder ans. Die Heldin
kehrt mit ihrem Vater, für Lassalle unerwartet, nach Aachen zurück und „der
Ausdruck seiner Freude war so glühend und zärtlich, daß sich ihre Ver¬
muthungen in Betreff der Art seiner Gefühle für sie bestätigten." Er begleitet
sammt der „mütterlichen" Gräfin Hatzfeld sie und ihren Vater bis nach Köln
und nachdem er hier zwei Tage geseufzt, bleich gewesen und den eintönigen
Blödsinn eines deutschen Fremdenführers über sich hatte ergehen lassen, be¬
nutzt er einen Augenblick, um der Russin „gänzlich unerwartet für sie, feine
grenzenlose leidenschaftliche Liebe zu gestehen." Wie in Romanen, hindert der
bei Zeiten herzutretende Vater die abweisende Antwort der Heldin, und ge¬
stattet dadurch der vorliegenden Liebesepisode, sich von zwölf Druckseiten auf
96 auszudehnen. Am Abend desselben Tages benutzt Lassalle einen zubereiteten
Zufall, um die Antwort auf die Frage des Morgens zu begehren, und das
Fräulein antwortet vorsichtig: „daß sie ihn vielleicht lieben werde." Sie
versichert uns, daß diese Art von Antwort Lassalle sehr aufgeregt habe, und
bemerkt zu ihrer Rechtfertigung „daß sie damals noch nicht verstand und erst
viel später sühlen lernte was Liebe sei — und nicht in Bezug auf Lassalle."

Damit ist die „Liebesepisode" eigentlich schon zu Ende erzählt. Aber die
fünf Akte des Schauspiels müssen voll werden und so begegnen wir denn nach
dieser Exposition zunächst den so sehr beliebten Mißverständnissen. Schauplatz:
mangelhafte Verbindung zwischen Berlin (Lassalle) und Dresden (Russin); Ursache:
Die weiland Kgl. Sachs. Post, schwefelgelben Angedenkens, die das Verbrechen
begeht, einen in Dresden später aufgegebenen Brief der Russin früher nach
Berlin zu befördern, als einen früher aufgegebenen, und dadurch eine heillose
Verwirrung im Kopfe des künftigen Volksbeglückers anrichtet. Noch während
diese Mißverständnisse toben, arbeitet und felle Lassalle an seinen „Bekenntnissen",
durch welche er die Geliebte mit Gegenliebe zu erfüllen, sie zu erobern und
die sehr triftigen Bedenken ihres Vaters gegen die Heirath seiner Tochter mit
diesem Strudelkopf zu beseitigen hofft. Nachdem diese Bekenntnisse mehrfach
als der Absendung nahe oder bereits abgesendet bezeichnet worden sind, gehen
sie endlich wirklich ab und langen ohne Verspätung in Dresden an. Aber die
junge Russin, der nach ihrer Lektüre der Kopf wirbelt, blickt unglücklicherweise
zu ihrer Erholung aus den Fenstern des Hotel de Saxe auf das Markttreiben


in seiner „Geschichte der Revolution", aber das widerstrebte Lassalles durchaus aristokrati¬
schen Empfindungen und Allüren und den Regungen von Wahrhaftigkeit, welche wenigstens
die ersten der hier mitgetheilten Briefe auszeichnen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/123>, abgerufen am 29.05.2024.