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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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nicht beabsichtigt und gewünscht hat. Wir Anderen, Nichtsozialisten, dagegen
werden uns bei genauer Prüfung der hier mitgetheilten Orignalstücke sagen
müssen, daß zu einer Verherrlichung des Mannes, der soviel mehr versprach und
sich einbildete, als er war und leistete, und der sein Leben hingab um eine
recht unlautere Leidenschaft, durchaus kein neuer Grund erbracht ist. Er tritt der
junge" Russin mit demselben rücksichtslosen Egoismus, der nämlichen Selbstvergötte¬
rung, demselben schauspielerischen Gethue entgegen, die wir an dem sozialistischen
Agitator Lassalle, dem ganzen Menschen Lassalle zur Genüge kennen. Das
entging selbst der so wohlwollenden Russin nicht. Sie hebt die Momente be¬
sonders hervor, in denen Lassalle sich ihr darstellt "ohne den geringsten theatra¬
lischen Effekt, zu dem er häufig genug griff."

Als ein solcher Theatercoup der gewöhnlichsten Art, sind auch die "Be¬
kenntnisse" zu bezeichnen, welche die xiöee ac rösist^nee der hier mitgetheilten
Originalbriefe Lassalle's bilden und welche nur in den Augen des Nichtkenners
vielleicht das Schriftchen interessant machen. Keine einzige Thatsache in diesen
"Bekenntnissen" ist neu. Nicht die, daß Lassalle Jude war, nicht sein freies
Verhältniß zu den Frauen und Mädchen seiner Bekanntschaft, nicht seine Ver¬
mögensverhältnisse, nicht sein muthiger Kampf für die Rechte der Gräfin Hatz-
feld. Alles das kennen wir schon, großentheils viel besser und eingehender, als
es hier geschildert ist, aus anderen Schriften Lassalles oder aus anderen Quellen.
Dafür bestätigen diese Bekenntnisse die grobmenschlichen Züge Lassalles in einem
Grade, daß ein Weib, dem diese Zeilen gewiß nicht zum Zwecke der Veröffent¬
lichung, anvertraut wurden, wohl hätte empfinden sollen, daß sie durch Hinaus¬
tragung dieser Offenbarungen auf den lauten Markt, dem Manne, der sie einst
ihrem verschwiegenen Busen anvertraute, keinen Dienst erweise. Diese grob¬
menschlichen Züge bestehen vor allem in der innern Unwahrheit der "Bekennt¬
nisse." Im Eingänge dieser Bekenntnisse und später wiederholt findet sich die
mit heiligem Ernste vorgetragene Versicherung, daß Lassalle "Alles vorbringen
werde, was Sophie die Lust vertreiben könne, ihn zu nehmen." Und dieser
angeblichen Selbstaufopferung gegenüber steht die Thatsache, daß er über sein
Judenthum, seine dornenvolle Laufbahn als politischer Märtyrer, seine Isolirt-
heit in der Welt der Bourgeoisie u. a. abschreckende Momente zusammen zwölf
über den einzigen "Triumph seines Lebens," den Kampf für die Gräfin Hatz-
feld dagegen allein zwanzig Druckseiten schreibt! Und was für Seiten! Es
kommen Stellen darin vor, die allerdings einen Blick auf das dresdner Markt¬
gewühl und das Feilschen um Käsekäulchen als eine beneidenswerthe Abwechse¬
lung gegenüber diesen Größenwahnphantasien, erscheinen lassen. Früher
schon hatte Lassalle an sie geschrieben: "Nein, junges Mädchen, Sie sprechen
zu einem Manne, der hierin, in diesem Glauben von Geist zu Geist, wenn es


nicht beabsichtigt und gewünscht hat. Wir Anderen, Nichtsozialisten, dagegen
werden uns bei genauer Prüfung der hier mitgetheilten Orignalstücke sagen
müssen, daß zu einer Verherrlichung des Mannes, der soviel mehr versprach und
sich einbildete, als er war und leistete, und der sein Leben hingab um eine
recht unlautere Leidenschaft, durchaus kein neuer Grund erbracht ist. Er tritt der
junge» Russin mit demselben rücksichtslosen Egoismus, der nämlichen Selbstvergötte¬
rung, demselben schauspielerischen Gethue entgegen, die wir an dem sozialistischen
Agitator Lassalle, dem ganzen Menschen Lassalle zur Genüge kennen. Das
entging selbst der so wohlwollenden Russin nicht. Sie hebt die Momente be¬
sonders hervor, in denen Lassalle sich ihr darstellt „ohne den geringsten theatra¬
lischen Effekt, zu dem er häufig genug griff."

Als ein solcher Theatercoup der gewöhnlichsten Art, sind auch die „Be¬
kenntnisse" zu bezeichnen, welche die xiöee ac rösist^nee der hier mitgetheilten
Originalbriefe Lassalle's bilden und welche nur in den Augen des Nichtkenners
vielleicht das Schriftchen interessant machen. Keine einzige Thatsache in diesen
„Bekenntnissen" ist neu. Nicht die, daß Lassalle Jude war, nicht sein freies
Verhältniß zu den Frauen und Mädchen seiner Bekanntschaft, nicht seine Ver¬
mögensverhältnisse, nicht sein muthiger Kampf für die Rechte der Gräfin Hatz-
feld. Alles das kennen wir schon, großentheils viel besser und eingehender, als
es hier geschildert ist, aus anderen Schriften Lassalles oder aus anderen Quellen.
Dafür bestätigen diese Bekenntnisse die grobmenschlichen Züge Lassalles in einem
Grade, daß ein Weib, dem diese Zeilen gewiß nicht zum Zwecke der Veröffent¬
lichung, anvertraut wurden, wohl hätte empfinden sollen, daß sie durch Hinaus¬
tragung dieser Offenbarungen auf den lauten Markt, dem Manne, der sie einst
ihrem verschwiegenen Busen anvertraute, keinen Dienst erweise. Diese grob¬
menschlichen Züge bestehen vor allem in der innern Unwahrheit der „Bekennt¬
nisse." Im Eingänge dieser Bekenntnisse und später wiederholt findet sich die
mit heiligem Ernste vorgetragene Versicherung, daß Lassalle „Alles vorbringen
werde, was Sophie die Lust vertreiben könne, ihn zu nehmen." Und dieser
angeblichen Selbstaufopferung gegenüber steht die Thatsache, daß er über sein
Judenthum, seine dornenvolle Laufbahn als politischer Märtyrer, seine Isolirt-
heit in der Welt der Bourgeoisie u. a. abschreckende Momente zusammen zwölf
über den einzigen „Triumph seines Lebens," den Kampf für die Gräfin Hatz-
feld dagegen allein zwanzig Druckseiten schreibt! Und was für Seiten! Es
kommen Stellen darin vor, die allerdings einen Blick auf das dresdner Markt¬
gewühl und das Feilschen um Käsekäulchen als eine beneidenswerthe Abwechse¬
lung gegenüber diesen Größenwahnphantasien, erscheinen lassen. Früher
schon hatte Lassalle an sie geschrieben: „Nein, junges Mädchen, Sie sprechen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/126>, abgerufen am 29.05.2024.