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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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eröffnet mit seiner Bitte, ihm den Wortlaut eines ihr geschenkten Antographs
von Heinrich Heine mitzutheilen, und da sie antwortet, unterrichtet er sie von
nun an fortlaufend über alle wichtigeren Ereignisse -- in seinen Augen bekanntlich
stets Erfolge und Triumphe -- aus der thatenreichsten Zeit seines Lebens.
Der letzte der erhaltenen Briefe -- eine gute Anzahl seiner Briefe hat die gute
Freundin verloren datirt vom 12. Dezember 1863. In dein letzten (verlorenen)
Briefe theilte er ihr mit, daß er im Frühjahr 1864 nach Genf gehe, umhin
sie ihm im Sommer 1864 antwortete. Die Antwort auf ihren Brief war
die Zeitungsnachricht über das Duell und den Tod Lassalles (31. August
1864.) --

Das ist der thatsächliche Verlauf der "Liebesepisode."

Wozu diese Mittheilungen? fragen wir nun von Neuem.

Selbstverständlich ist der Verdacht abzuweisen, daß die Heldin diese
vertrauten Briefe und Tagebuchblätter veröffentlicht habe, um der Welt kund¬
zuthun, daß sie als Mädchen Ferdinand Lassalle zu ihren Füßen gesehen habe.
Auch jene philisterhasten Gemeinplätze, welche wir bei dem ersten Bekanntwerden
dieser Enthüllungen als eine besondere Empfehlung der vorliegenden Broschüre
gelesen zu haben uns erinnern: daß diese Liebesepisode zu denken gebe, was
wohl aus Lassalle und der vou ihm neubelebten sozialistischen Bewegung hätte
werden können, wenn er an der Seite der geliebten Russin ein solider Ehe¬
mann geworden wäre -- auch solche geistvolle Conjekturen anzuregen, kann nicht
die Absicht dieser Veröffentlichung sein. Nein, Herausgeberin und Uebersetzer
glaubten zuversichtlich, durch die öffentliche Mittheilung dieser Briefe und
Bekenntnisse Lassnlles ganz neue Lichtstrahlen über das Dunkel seines Charakters
als Mensch, Agitator, Weltweiser und Politiker auszugießen. Sie sprechen
diese Erwartung ja auch bestimmt genug aus.

Diese Erwartung ist aber eine durchaus irrthümliche und unbegründete,
wie eine genauere Kenntniß des Lebens, der Schriften und des agitatorischen
Treibens Lassalle's auch den Betheiligten vor Ausgabe der vorliegenden Schrift
hätte offenbaren können. Kein Zug in dein historisch feststehenden Bilde des
geistvollsten, eitelsten, vielseitigsten und unpraktischsten der socialistischen Partei¬
führer wird durch diese Mittheilungen verwandelt, umgezeichnet -- am wenig¬
sten zu seinen Gunsten. Dem "Vorwärts" und der sogenannten wissenschaftlichen
Parteipresse der Sozialisten wird diese weibliche Indiscretion natürlich den
willkommenen Anlaß zu Verhiinmelungen des todten Gründers der deutschen
Sozialdemokratie bieten, um so mehr, als noch auf jedem Parteieongresse seit
der Fusion der Marxicmer und Lassalleaner darüber geklagt Mrde, daß für
Lassalle zu wenig Weihrauch verbrannt werde. Das ist wohl das einzig praktische
Resultat der vorliegenden Schrift -- eines, das der deutsche Verleger jedenfalls



eröffnet mit seiner Bitte, ihm den Wortlaut eines ihr geschenkten Antographs
von Heinrich Heine mitzutheilen, und da sie antwortet, unterrichtet er sie von
nun an fortlaufend über alle wichtigeren Ereignisse — in seinen Augen bekanntlich
stets Erfolge und Triumphe — aus der thatenreichsten Zeit seines Lebens.
Der letzte der erhaltenen Briefe — eine gute Anzahl seiner Briefe hat die gute
Freundin verloren datirt vom 12. Dezember 1863. In dein letzten (verlorenen)
Briefe theilte er ihr mit, daß er im Frühjahr 1864 nach Genf gehe, umhin
sie ihm im Sommer 1864 antwortete. Die Antwort auf ihren Brief war
die Zeitungsnachricht über das Duell und den Tod Lassalles (31. August
1864.) —

Das ist der thatsächliche Verlauf der „Liebesepisode."

Wozu diese Mittheilungen? fragen wir nun von Neuem.

Selbstverständlich ist der Verdacht abzuweisen, daß die Heldin diese
vertrauten Briefe und Tagebuchblätter veröffentlicht habe, um der Welt kund¬
zuthun, daß sie als Mädchen Ferdinand Lassalle zu ihren Füßen gesehen habe.
Auch jene philisterhasten Gemeinplätze, welche wir bei dem ersten Bekanntwerden
dieser Enthüllungen als eine besondere Empfehlung der vorliegenden Broschüre
gelesen zu haben uns erinnern: daß diese Liebesepisode zu denken gebe, was
wohl aus Lassalle und der vou ihm neubelebten sozialistischen Bewegung hätte
werden können, wenn er an der Seite der geliebten Russin ein solider Ehe¬
mann geworden wäre — auch solche geistvolle Conjekturen anzuregen, kann nicht
die Absicht dieser Veröffentlichung sein. Nein, Herausgeberin und Uebersetzer
glaubten zuversichtlich, durch die öffentliche Mittheilung dieser Briefe und
Bekenntnisse Lassnlles ganz neue Lichtstrahlen über das Dunkel seines Charakters
als Mensch, Agitator, Weltweiser und Politiker auszugießen. Sie sprechen
diese Erwartung ja auch bestimmt genug aus.

Diese Erwartung ist aber eine durchaus irrthümliche und unbegründete,
wie eine genauere Kenntniß des Lebens, der Schriften und des agitatorischen
Treibens Lassalle's auch den Betheiligten vor Ausgabe der vorliegenden Schrift
hätte offenbaren können. Kein Zug in dein historisch feststehenden Bilde des
geistvollsten, eitelsten, vielseitigsten und unpraktischsten der socialistischen Partei¬
führer wird durch diese Mittheilungen verwandelt, umgezeichnet — am wenig¬
sten zu seinen Gunsten. Dem „Vorwärts" und der sogenannten wissenschaftlichen
Parteipresse der Sozialisten wird diese weibliche Indiscretion natürlich den
willkommenen Anlaß zu Verhiinmelungen des todten Gründers der deutschen
Sozialdemokratie bieten, um so mehr, als noch auf jedem Parteieongresse seit
der Fusion der Marxicmer und Lassalleaner darüber geklagt Mrde, daß für
Lassalle zu wenig Weihrauch verbrannt werde. Das ist wohl das einzig praktische
Resultat der vorliegenden Schrift — eines, das der deutsche Verleger jedenfalls


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/125>, abgerufen am 29.05.2024.