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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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werden will? In den Kunstakademien gewiß nicht .... Leben, Geist, Wahrheit,
Ernst, Tiefe und Innigkeit der Empfindung, nicht weniger als alles war
abhanden gekommen. Kalte Nachahmung antiker Formen oder gemeine Modell¬
wahrheit sammt dem leeren Schlendrian der Kunstschulen mußte niedergeworfen
werden, um zum Leben durchzuringen. Und als der rechte Ankergrund
gefunden war, fand man ihn da, wo für alles Leben, nicht bloß für das
Leben in der Kunst, allein fester Grund und Sicherheit gefunden wird, in
der Erkenntniß des Verhältnisses des Menschen dem Ewigen
gegenüber. Nur von da aus versteht der Mensch die Geschichte, das Leben,
von da aus begreift sich das Sehnen des Menschen nach etwas Höherem,
das Bedürfniß seines Herzens und Geistes. Da wurzelt auch alle Begeisterung,
Poesie und jegliche Kunst." Wohl nirgends sind die Ziele und die Bestrebungen
der neudeutschen Kunst so treffend charakterisirt worden , wie hier von einem, der
mitten in der Bewegung stand.

Die Ausstellung zeigt uns ein Gemälde aus jener Epoche des Kampfes
und der Opposition Es ist zugleich das früheste seiner uns bekannten Werke
und stellt den Besuch der Eltern des Johannes bei der heiligen Familie dar.
In gewissen Einzelheiten, wie in der mageren Behandlung der Formen, in
der naiven Wiedergabe des Terrains und des Baumschlags, offenbart sich die
Anlehnung an niederdeutsche Vorbilder am deutlichsten. Zugleich aber ist der
frömmelnde Zug vermieden, der den biblischen Bildern Overbecks eigenthümlich
ist. Dieses Bild und noch ein zweites, der si. Rochus Almosen spendend,
fanden Käufer, und so wurde es dem jungen Künstler möglich, im Jahre 1817
das Laud seiner Sehnsucht aufzusuchen. In Rom vereinigte er sich mit den
"Klosterbrüdern von S. Jsidoro", den Nazarenern; aber es war weniger
Overbeck, als Cornelius, der einen andauernden Einfluß auf ihn zu üben
wußte. Zunächst galt es allerdings erst, die neu gewonnenen Eindrücke zu
verarbeiten. Wie auf die Nazarener fo verfehlten auch auf ihn die Italiener
des 15, Jahrhunderts ihre Anziehungskraft nicht. In seinem ersten, in Italien
entstandenen Bilde, das sich jetzt in englischem Privatbesitze befindet, von dem
uns jedoch die Ausstellung eine Durchzeichnung von SchnArrs eigener Hand
bietet, der Hochzeit zu Cana, kreuzen sich so vielfache Einflüsse, daß von einer
Selbstständigkeit nicht die Rede sein könnte, wenn uns nicht die meisterhafte
Raumeiutheilung und Komposition bewiese, daß hier ein origineller Geist die
verschiedensten Strahlen einer Kunstepoche in sich vereinigt hat. Fiesole,
Orcagna, Perugino, vor allen Benozzo Gozzoli haben hier vorbildlich auf
deu jungen Künstler eingewirkt, dessen Eigenartigkeit sich erst entfalten sollte,
als ihm der Marchese Massimi im Jahre 1819 den Auftrag ertheilte, ein


werden will? In den Kunstakademien gewiß nicht .... Leben, Geist, Wahrheit,
Ernst, Tiefe und Innigkeit der Empfindung, nicht weniger als alles war
abhanden gekommen. Kalte Nachahmung antiker Formen oder gemeine Modell¬
wahrheit sammt dem leeren Schlendrian der Kunstschulen mußte niedergeworfen
werden, um zum Leben durchzuringen. Und als der rechte Ankergrund
gefunden war, fand man ihn da, wo für alles Leben, nicht bloß für das
Leben in der Kunst, allein fester Grund und Sicherheit gefunden wird, in
der Erkenntniß des Verhältnisses des Menschen dem Ewigen
gegenüber. Nur von da aus versteht der Mensch die Geschichte, das Leben,
von da aus begreift sich das Sehnen des Menschen nach etwas Höherem,
das Bedürfniß seines Herzens und Geistes. Da wurzelt auch alle Begeisterung,
Poesie und jegliche Kunst." Wohl nirgends sind die Ziele und die Bestrebungen
der neudeutschen Kunst so treffend charakterisirt worden , wie hier von einem, der
mitten in der Bewegung stand.

Die Ausstellung zeigt uns ein Gemälde aus jener Epoche des Kampfes
und der Opposition Es ist zugleich das früheste seiner uns bekannten Werke
und stellt den Besuch der Eltern des Johannes bei der heiligen Familie dar.
In gewissen Einzelheiten, wie in der mageren Behandlung der Formen, in
der naiven Wiedergabe des Terrains und des Baumschlags, offenbart sich die
Anlehnung an niederdeutsche Vorbilder am deutlichsten. Zugleich aber ist der
frömmelnde Zug vermieden, der den biblischen Bildern Overbecks eigenthümlich
ist. Dieses Bild und noch ein zweites, der si. Rochus Almosen spendend,
fanden Käufer, und so wurde es dem jungen Künstler möglich, im Jahre 1817
das Laud seiner Sehnsucht aufzusuchen. In Rom vereinigte er sich mit den
„Klosterbrüdern von S. Jsidoro", den Nazarenern; aber es war weniger
Overbeck, als Cornelius, der einen andauernden Einfluß auf ihn zu üben
wußte. Zunächst galt es allerdings erst, die neu gewonnenen Eindrücke zu
verarbeiten. Wie auf die Nazarener fo verfehlten auch auf ihn die Italiener
des 15, Jahrhunderts ihre Anziehungskraft nicht. In seinem ersten, in Italien
entstandenen Bilde, das sich jetzt in englischem Privatbesitze befindet, von dem
uns jedoch die Ausstellung eine Durchzeichnung von SchnArrs eigener Hand
bietet, der Hochzeit zu Cana, kreuzen sich so vielfache Einflüsse, daß von einer
Selbstständigkeit nicht die Rede sein könnte, wenn uns nicht die meisterhafte
Raumeiutheilung und Komposition bewiese, daß hier ein origineller Geist die
verschiedensten Strahlen einer Kunstepoche in sich vereinigt hat. Fiesole,
Orcagna, Perugino, vor allen Benozzo Gozzoli haben hier vorbildlich auf
deu jungen Künstler eingewirkt, dessen Eigenartigkeit sich erst entfalten sollte,
als ihm der Marchese Massimi im Jahre 1819 den Auftrag ertheilte, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/150>, abgerufen am 29.05.2024.