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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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schied, und man machte sich seine Gedanken über den berührten Feldzug. Die
offiziösen oder wenigstens offiziöses Air zur Schan tragenden Gesichter blicken
jetzt aus so manchem Zeitungsblatt hervor, in welchem vordem derartige Pvr-
trätirungen uns nicht entgegentraten.

Mehrfache Beachtung fand eine Rede des Herrn Ministerpräsidenten
Stösser, gehalten am 10. Mai anläßlich einer Berichterstattung, welche er
als bisheriger Abgeordneter des 47. Wahlbezirks seinen Wählern über die
Arbeiten des letzten Landtags vortrug. "Mit Rücksicht auf seine mittlerweile
eingetretene Berufung in den obersten Rath der Krone" wollte der Redner
hier "einige für die Regierung besonders wichtige Aufgaben und Gesichtspunkte"
erörtern. Es hat sich an diese Programmrede eine wahre Sündfluth von
Besprechungen geknüpft. Sie konnte sich um so mehr an dieselbe knüpfen,
als -- das gewöhnliche Schicksal aller allgemein gehaltenen programmartigen
Expositionen -- die Darlegung theils an und für sich nicht bestrittene allge¬
meine Theorien gibt, theils, wo sie auf die konkreten Staatsausgaben zu sprechen
kommt, sich einer gewissen Unbestimmtheit befleißigt, die es ermöglicht, daß in
den wohl gesetzten Worten Manche mancherlei Sinn finden. Im Ganzen kann
man sagen, daß, um ein Wort Treitschke's zu gebrauchen, die Rede sich "durch
vollendete Unbestreitbarkeit" des Inhalts auszeichnet. Den allseitigsten Beifall
hat die Ausführung des Programms gefunden, welche die nationale Aufgabe
erörtert. Und wenn in diesem Zusammenhang ganz besonders auch "freund¬
liches Zusammengehen mit Preußen" gefordert wird, "Berücksichtigung der
Ansprüche, welche Preußen als die führende Macht im Reich zu erheben be¬
rechtigt ist"; wenn der Redner dieses "zu den Grundbedingungen einer befriedi¬
genden Entwickelung der deutschen Verhältnisse" zählt, so sind das Worte,
denen die vollste Zustimmung gebührt. Wir uuserntheils und gewiß Viele
mit uns haben in diesem Zusammenhang eine Hinweisung auf den Kampf
vermißt, den das deutsche Kaiserreich der Hohenzollern, in frivoler Weise heraus¬
gefordert, für die.Freiheit und Selbständigkeit dieses Reiches gegen Rom führt.
Die Zusammenfassung aller deutschen Stämme zu einem Staatsganzen, die
immer festere Gründung dieses Ganzen in gemeinsamer Ordnung, in gemein¬
samem Gesetz und Recht stellt die eine Seite des deutschen Reiches dar.
Die andere kommt zum Ausdruck in dein Aufdrehen und Hinanreifen des
Volkes der Deutschen zu Sitte und Gesinnung, zu geistigem Sinn und Streben
die, rein aus dem ureigensten deutschen Wesen geboren, in lautersten Einklang
mit demselben sich halten, frei von jeder zersetzenden Einwirkung fremd¬
ländischer Weise, frei vor Allem von dem welschen Tand des romanischen
Geistes. Immer klarer muß in allen Schichten des Volkes die Erkenntniß
reifen, daß um solchen Siegespreis gerungen wird in dem großen, schweren


schied, und man machte sich seine Gedanken über den berührten Feldzug. Die
offiziösen oder wenigstens offiziöses Air zur Schan tragenden Gesichter blicken
jetzt aus so manchem Zeitungsblatt hervor, in welchem vordem derartige Pvr-
trätirungen uns nicht entgegentraten.

Mehrfache Beachtung fand eine Rede des Herrn Ministerpräsidenten
Stösser, gehalten am 10. Mai anläßlich einer Berichterstattung, welche er
als bisheriger Abgeordneter des 47. Wahlbezirks seinen Wählern über die
Arbeiten des letzten Landtags vortrug. „Mit Rücksicht auf seine mittlerweile
eingetretene Berufung in den obersten Rath der Krone" wollte der Redner
hier „einige für die Regierung besonders wichtige Aufgaben und Gesichtspunkte"
erörtern. Es hat sich an diese Programmrede eine wahre Sündfluth von
Besprechungen geknüpft. Sie konnte sich um so mehr an dieselbe knüpfen,
als — das gewöhnliche Schicksal aller allgemein gehaltenen programmartigen
Expositionen — die Darlegung theils an und für sich nicht bestrittene allge¬
meine Theorien gibt, theils, wo sie auf die konkreten Staatsausgaben zu sprechen
kommt, sich einer gewissen Unbestimmtheit befleißigt, die es ermöglicht, daß in
den wohl gesetzten Worten Manche mancherlei Sinn finden. Im Ganzen kann
man sagen, daß, um ein Wort Treitschke's zu gebrauchen, die Rede sich „durch
vollendete Unbestreitbarkeit" des Inhalts auszeichnet. Den allseitigsten Beifall
hat die Ausführung des Programms gefunden, welche die nationale Aufgabe
erörtert. Und wenn in diesem Zusammenhang ganz besonders auch „freund¬
liches Zusammengehen mit Preußen" gefordert wird, „Berücksichtigung der
Ansprüche, welche Preußen als die führende Macht im Reich zu erheben be¬
rechtigt ist"; wenn der Redner dieses „zu den Grundbedingungen einer befriedi¬
genden Entwickelung der deutschen Verhältnisse" zählt, so sind das Worte,
denen die vollste Zustimmung gebührt. Wir uuserntheils und gewiß Viele
mit uns haben in diesem Zusammenhang eine Hinweisung auf den Kampf
vermißt, den das deutsche Kaiserreich der Hohenzollern, in frivoler Weise heraus¬
gefordert, für die.Freiheit und Selbständigkeit dieses Reiches gegen Rom führt.
Die Zusammenfassung aller deutschen Stämme zu einem Staatsganzen, die
immer festere Gründung dieses Ganzen in gemeinsamer Ordnung, in gemein¬
samem Gesetz und Recht stellt die eine Seite des deutschen Reiches dar.
Die andere kommt zum Ausdruck in dein Aufdrehen und Hinanreifen des
Volkes der Deutschen zu Sitte und Gesinnung, zu geistigem Sinn und Streben
die, rein aus dem ureigensten deutschen Wesen geboren, in lautersten Einklang
mit demselben sich halten, frei von jeder zersetzenden Einwirkung fremd¬
ländischer Weise, frei vor Allem von dem welschen Tand des romanischen
Geistes. Immer klarer muß in allen Schichten des Volkes die Erkenntniß
reifen, daß um solchen Siegespreis gerungen wird in dem großen, schweren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/159>, abgerufen am 29.05.2024.