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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Kampf zwischen dein protestantischen Kaiserreich und der die Geisteswttrde des
Menschen mit Füßen tretenden römischen Priesterkirche.

Bezüglich der inneren Politik betont die Programmrede vor Allem
den streng konstitutionellen Standpunkt, indem sie für nothwendig erklärt, daß
die Regierung "im EinVerständniß und freundlichen Einvernehmen" mit der
Landesvertretung stehe. Eine Hervorhebung und Darlegung der seit dem
Jahre 1860 in unser Seel atsleben eingeführten Prinzipien unterblieb, mit einer
Ausnahme, von der nachher die Rede sein wird. Wir möchten glauben, daß
es am Platze und von guter Wirkung gewesen wäre, wenn der Herr Ministerial-
präsident in dieser Zeit des charakterlosen, furchtsamen, schmählichen Wartens
und Weichens, wo man so gern für jede Kalamität der Zeit, insbesondere für
die wirthschaftliche und industrielle deu "Liberalismus" verantwortlich macht,
ein offenes Bekenntniß zu den liberalen Prinzipien unserer Gesetzgebung
abgelegt hätte. Es wären seine Worte dann vor mancher mißdeutenden
Interpretation bewahrt geblieben. Vielleicht wurde eine solche prinzipielle
Darlegung nicht für nöthig erachtet, weil wir jetzt "in einen langsameren
Schritt der Gesetzgebung" eingetreten seien. Ueber diesen letzteren Punkt dürften
nicht viele Worte zu verlieren sein. Das Ministerium Turban-Stösser ist,
was die gesetzgebende Thätigkeit anlangt, im Vergleich zu den übrigen
Ministerien, welche seit 1860 das Ruder des Staatsschiffes lenkten, günstig
situirt. Nachdem der totale Bruch mit der Vergangenheit vollzogen war, galt
es, die neue Grundlage des Staatslebens zu gewinnen, zu befestigen, auf ihr
die mannigfachen Gestaltungen des öffentlichen Lebens aufzuerbauen, zu
entwickeln. Die Riesenarbeit -- so konnte ein größeres süddeutsches Blatt
mit Recht sagen -- welche die Gesetzgebung in ihren Anfängen unter Lannes
und dann in glänzender Weiterführung unter Jolly zu leisten hatte, ist gethan.
Es darf, ja es muß mehr Ruhe und Stetigkeit kommen. Daß diese nicht zur
Stagnation werden kann, weiß Jeder, dem die derzeitigen Verhältnisse unseres
Staats- und Volkslebens auch nur annähernd bekannt sind. Manche gesetz¬
geberische Fragen harren ihrer Lösung, zum Theil in nächster Zeit. Wir
erinnern nur an die Frage der Stnatsdotation oder Kirchensteuer, Es liegt
gewiß nicht in der Absicht der Regierung, solche gesetzgeberische Arbeiten von
der Hand zu weisen. Vollen Beifall verdient die Zusage, daß die Regierung
"die größte Sorgfalt auf die Pflege und Entwickelung der Selbstverwaltung
in Gemeinde und Kreis" legen will. Hoffen wir, daß aus dieser Zusage
recht segensreiche Thaten sprossen. Wir übergehen das über die soziale Frage
Gesagte. Es gehört das zu dem "vollendet Unbestreitbaren." Wir lassen auch
das im Sinn des Protestantenvereins gegebene Expose über die religiöse und
kirchliche Frage, über "die gestörte Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben",


Kampf zwischen dein protestantischen Kaiserreich und der die Geisteswttrde des
Menschen mit Füßen tretenden römischen Priesterkirche.

Bezüglich der inneren Politik betont die Programmrede vor Allem
den streng konstitutionellen Standpunkt, indem sie für nothwendig erklärt, daß
die Regierung „im EinVerständniß und freundlichen Einvernehmen" mit der
Landesvertretung stehe. Eine Hervorhebung und Darlegung der seit dem
Jahre 1860 in unser Seel atsleben eingeführten Prinzipien unterblieb, mit einer
Ausnahme, von der nachher die Rede sein wird. Wir möchten glauben, daß
es am Platze und von guter Wirkung gewesen wäre, wenn der Herr Ministerial-
präsident in dieser Zeit des charakterlosen, furchtsamen, schmählichen Wartens
und Weichens, wo man so gern für jede Kalamität der Zeit, insbesondere für
die wirthschaftliche und industrielle deu „Liberalismus" verantwortlich macht,
ein offenes Bekenntniß zu den liberalen Prinzipien unserer Gesetzgebung
abgelegt hätte. Es wären seine Worte dann vor mancher mißdeutenden
Interpretation bewahrt geblieben. Vielleicht wurde eine solche prinzipielle
Darlegung nicht für nöthig erachtet, weil wir jetzt „in einen langsameren
Schritt der Gesetzgebung" eingetreten seien. Ueber diesen letzteren Punkt dürften
nicht viele Worte zu verlieren sein. Das Ministerium Turban-Stösser ist,
was die gesetzgebende Thätigkeit anlangt, im Vergleich zu den übrigen
Ministerien, welche seit 1860 das Ruder des Staatsschiffes lenkten, günstig
situirt. Nachdem der totale Bruch mit der Vergangenheit vollzogen war, galt
es, die neue Grundlage des Staatslebens zu gewinnen, zu befestigen, auf ihr
die mannigfachen Gestaltungen des öffentlichen Lebens aufzuerbauen, zu
entwickeln. Die Riesenarbeit — so konnte ein größeres süddeutsches Blatt
mit Recht sagen — welche die Gesetzgebung in ihren Anfängen unter Lannes
und dann in glänzender Weiterführung unter Jolly zu leisten hatte, ist gethan.
Es darf, ja es muß mehr Ruhe und Stetigkeit kommen. Daß diese nicht zur
Stagnation werden kann, weiß Jeder, dem die derzeitigen Verhältnisse unseres
Staats- und Volkslebens auch nur annähernd bekannt sind. Manche gesetz¬
geberische Fragen harren ihrer Lösung, zum Theil in nächster Zeit. Wir
erinnern nur an die Frage der Stnatsdotation oder Kirchensteuer, Es liegt
gewiß nicht in der Absicht der Regierung, solche gesetzgeberische Arbeiten von
der Hand zu weisen. Vollen Beifall verdient die Zusage, daß die Regierung
„die größte Sorgfalt auf die Pflege und Entwickelung der Selbstverwaltung
in Gemeinde und Kreis" legen will. Hoffen wir, daß aus dieser Zusage
recht segensreiche Thaten sprossen. Wir übergehen das über die soziale Frage
Gesagte. Es gehört das zu dem „vollendet Unbestreitbaren." Wir lassen auch
das im Sinn des Protestantenvereins gegebene Expose über die religiöse und
kirchliche Frage, über „die gestörte Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben",


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/160>, abgerufen am 31.05.2024.