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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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über die Bemühungen zu deren Wiederherstellung u. s. w. Es wurde ir¬
gendwo in der Presse bemerkt, daß dieses staatsmännische Theologisiren
nicht nach Jedermanns Geschmack sei. Nach unserm Geschmack ist es nun
schon ganz und gar nicht. Wir glauben, daß jeder Staatsmann welcher
spezifisch religiöse Gesichtspunkte in's Auge saßt, in höchster Gefahr steht,
staatlich von der richtigen Bahn abzulenken. Die Geschichte bestätigt dies
tausendfach. Ganz anders verhält es sich selbstverständlich mit der lediglich
vom staatlichen Standpunkt ans zu betrachtenden staatlich-kirchlichen Frage.
Zu dieser muß ein deutscher Minister unserer Tage absolut klare, sichere
Stellung genommen haben. Wenn über irgend einen Punkt, so muß über
diesen die Programmrede, die er spricht, klarsten Aufschluß geben. Die
hier besprochene Programmrede thut es nicht. Man hat in neuester Zeit'
eine gewisse sentimentale Scheu, das Wort "Kulturkampf" in den Mund zu
nehmen. Man ist der Wahrheit zuwider ängstlich bemüht, den Streit zwischen
Staat und Kirche als lediglich an den beiderseitigen Außenwerken sich ab¬
spielend darzustellen. Wir haben oben bereits das Wesen des gegenwärtigen
staatlich-kirchlichen Kampfes kurz angedeutet. Die Auffassung, welche den
Kampf dahin deutet, daß derselbe bloß die Wahrung bezw. -- vom kirchlichen
Standpunkt aus betrachtet -- Schädigung der Staatsautorität bezwecke,
haftet nur auf der Oberfläche. Aber auch bei dieser Auffassung sollte es
für einen Staatsmann nicht diskutabel sein, "ob die Kirche ihren Anspruch
aufgeben kann" (possumus!). Fast ein Bedauern hat man heraushören wollen
aus den Worten, daß, "da der Staat seinen Anspruch nicht aufgeben darf",
die Gegensätze unbeglichen bleiben und Konflikte kaum zu vermeiden sind.
In dem Kampf des modernen Staats gegen die mittelalterliche römische Priester¬
kirche gilt staatlicher Seits nur die schärfste, konsequenteste, rückhaltloseste
Energie. Wo ein Minister über diese Dinge spricht, da sollte jene Energie
zum kräftigsten Ausdruck kommen. Geschieht das nicht, so wird gar leicht des
Schadens mehr sein, als des Nutzens.

Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß die Rede in dem Regierungs¬
organ, der "Karlsr. Zeitung" wörtlich zur Veröffentlichung gelangte. Schon da¬
mit hat sie in den Augen des Publikums die ihr nachher offiziöserseits
auch nicht abgesprochene Bedeutung eines Regierungsprogramms des jetzigen
Ministeriums erhalten. Auch der Großherzog hat sich, wie mehrfach glaub¬
würdigst versichert wurde, vollständig zu dem Inhalt der Rede bekannt.

Wir haben oben den Fall Glattfelder erwähnt. Selbst die unbedingtesten
Verehrer der Regierung müssen zugestehen, daß in demselben die Staatsautorität
schlecht gewahrt wurde. Größere Energie, mehr Entschlossenheit und Konsequenz
hat die Regierung in mehreren anderen Fällen gezeigt. Einigen altkatholischen


Grenzboten I. 1S78, 20

über die Bemühungen zu deren Wiederherstellung u. s. w. Es wurde ir¬
gendwo in der Presse bemerkt, daß dieses staatsmännische Theologisiren
nicht nach Jedermanns Geschmack sei. Nach unserm Geschmack ist es nun
schon ganz und gar nicht. Wir glauben, daß jeder Staatsmann welcher
spezifisch religiöse Gesichtspunkte in's Auge saßt, in höchster Gefahr steht,
staatlich von der richtigen Bahn abzulenken. Die Geschichte bestätigt dies
tausendfach. Ganz anders verhält es sich selbstverständlich mit der lediglich
vom staatlichen Standpunkt ans zu betrachtenden staatlich-kirchlichen Frage.
Zu dieser muß ein deutscher Minister unserer Tage absolut klare, sichere
Stellung genommen haben. Wenn über irgend einen Punkt, so muß über
diesen die Programmrede, die er spricht, klarsten Aufschluß geben. Die
hier besprochene Programmrede thut es nicht. Man hat in neuester Zeit'
eine gewisse sentimentale Scheu, das Wort „Kulturkampf" in den Mund zu
nehmen. Man ist der Wahrheit zuwider ängstlich bemüht, den Streit zwischen
Staat und Kirche als lediglich an den beiderseitigen Außenwerken sich ab¬
spielend darzustellen. Wir haben oben bereits das Wesen des gegenwärtigen
staatlich-kirchlichen Kampfes kurz angedeutet. Die Auffassung, welche den
Kampf dahin deutet, daß derselbe bloß die Wahrung bezw. — vom kirchlichen
Standpunkt aus betrachtet — Schädigung der Staatsautorität bezwecke,
haftet nur auf der Oberfläche. Aber auch bei dieser Auffassung sollte es
für einen Staatsmann nicht diskutabel sein, „ob die Kirche ihren Anspruch
aufgeben kann" (possumus!). Fast ein Bedauern hat man heraushören wollen
aus den Worten, daß, „da der Staat seinen Anspruch nicht aufgeben darf",
die Gegensätze unbeglichen bleiben und Konflikte kaum zu vermeiden sind.
In dem Kampf des modernen Staats gegen die mittelalterliche römische Priester¬
kirche gilt staatlicher Seits nur die schärfste, konsequenteste, rückhaltloseste
Energie. Wo ein Minister über diese Dinge spricht, da sollte jene Energie
zum kräftigsten Ausdruck kommen. Geschieht das nicht, so wird gar leicht des
Schadens mehr sein, als des Nutzens.

Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß die Rede in dem Regierungs¬
organ, der „Karlsr. Zeitung" wörtlich zur Veröffentlichung gelangte. Schon da¬
mit hat sie in den Augen des Publikums die ihr nachher offiziöserseits
auch nicht abgesprochene Bedeutung eines Regierungsprogramms des jetzigen
Ministeriums erhalten. Auch der Großherzog hat sich, wie mehrfach glaub¬
würdigst versichert wurde, vollständig zu dem Inhalt der Rede bekannt.

Wir haben oben den Fall Glattfelder erwähnt. Selbst die unbedingtesten
Verehrer der Regierung müssen zugestehen, daß in demselben die Staatsautorität
schlecht gewahrt wurde. Größere Energie, mehr Entschlossenheit und Konsequenz
hat die Regierung in mehreren anderen Fällen gezeigt. Einigen altkatholischen


Grenzboten I. 1S78, 20
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[0161] über die Bemühungen zu deren Wiederherstellung u. s. w. Es wurde ir¬ gendwo in der Presse bemerkt, daß dieses staatsmännische Theologisiren nicht nach Jedermanns Geschmack sei. Nach unserm Geschmack ist es nun schon ganz und gar nicht. Wir glauben, daß jeder Staatsmann welcher spezifisch religiöse Gesichtspunkte in's Auge saßt, in höchster Gefahr steht, staatlich von der richtigen Bahn abzulenken. Die Geschichte bestätigt dies tausendfach. Ganz anders verhält es sich selbstverständlich mit der lediglich vom staatlichen Standpunkt ans zu betrachtenden staatlich-kirchlichen Frage. Zu dieser muß ein deutscher Minister unserer Tage absolut klare, sichere Stellung genommen haben. Wenn über irgend einen Punkt, so muß über diesen die Programmrede, die er spricht, klarsten Aufschluß geben. Die hier besprochene Programmrede thut es nicht. Man hat in neuester Zeit' eine gewisse sentimentale Scheu, das Wort „Kulturkampf" in den Mund zu nehmen. Man ist der Wahrheit zuwider ängstlich bemüht, den Streit zwischen Staat und Kirche als lediglich an den beiderseitigen Außenwerken sich ab¬ spielend darzustellen. Wir haben oben bereits das Wesen des gegenwärtigen staatlich-kirchlichen Kampfes kurz angedeutet. Die Auffassung, welche den Kampf dahin deutet, daß derselbe bloß die Wahrung bezw. — vom kirchlichen Standpunkt aus betrachtet — Schädigung der Staatsautorität bezwecke, haftet nur auf der Oberfläche. Aber auch bei dieser Auffassung sollte es für einen Staatsmann nicht diskutabel sein, „ob die Kirche ihren Anspruch aufgeben kann" (possumus!). Fast ein Bedauern hat man heraushören wollen aus den Worten, daß, „da der Staat seinen Anspruch nicht aufgeben darf", die Gegensätze unbeglichen bleiben und Konflikte kaum zu vermeiden sind. In dem Kampf des modernen Staats gegen die mittelalterliche römische Priester¬ kirche gilt staatlicher Seits nur die schärfste, konsequenteste, rückhaltloseste Energie. Wo ein Minister über diese Dinge spricht, da sollte jene Energie zum kräftigsten Ausdruck kommen. Geschieht das nicht, so wird gar leicht des Schadens mehr sein, als des Nutzens. Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß die Rede in dem Regierungs¬ organ, der „Karlsr. Zeitung" wörtlich zur Veröffentlichung gelangte. Schon da¬ mit hat sie in den Augen des Publikums die ihr nachher offiziöserseits auch nicht abgesprochene Bedeutung eines Regierungsprogramms des jetzigen Ministeriums erhalten. Auch der Großherzog hat sich, wie mehrfach glaub¬ würdigst versichert wurde, vollständig zu dem Inhalt der Rede bekannt. Wir haben oben den Fall Glattfelder erwähnt. Selbst die unbedingtesten Verehrer der Regierung müssen zugestehen, daß in demselben die Staatsautorität schlecht gewahrt wurde. Größere Energie, mehr Entschlossenheit und Konsequenz hat die Regierung in mehreren anderen Fällen gezeigt. Einigen altkatholischen Grenzboten I. 1S78, 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/161>, abgerufen am 09.06.2024.