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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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günstiger gewesen wäre, war Rodbertus todt, waren Wagener und Meyer im
öffentlichen Leben unmöglich geworden. Ein Erbe ihres Geistes und ihrer
Traditionen fehlte, indeß das dringende Bedürfniß der reaktionär-ultramontanen
Presse, ans demsozialdemokratischen Hexenkessel Brandfackeln gegen die liberale
Weltanschammg zu reguiriren, war wo möglich noch gewachsen und in ihrer
Unfähigkeit, es zu bändigen, nahm sie, was sie eben fand. Sie fand aber
nur ein dickes Pamphlet, das ein Landgeistlicher in der Welteinsamkeit eines
märkischen Pfarrhofes über die Lösung der sozialen Frage zusammenphantasirt
hatte/') Dies Buch ist unter allein konfusen Zeug, welches seit einem Jahrzehnt
über diese Themata geschrieben ist, weitaus die konfuseste Leistung, wieviel
immer das sagen will. Die wissenschaftliche Methode Todt's besteht darin,
nicht etwa die Gedanken eines Oven und Se. Simon oder sonst religiös ange¬
hauchten Sozialisten, sondern die ganz gewöhnlichen Hetz- und Schlagworte
eines Hasenelever, Hasselmann, Liebknecht mit den Reden Jesu zu vergleichen,
so wie sie von der Bibel überliefert werden, und schließlich zu dein Resultate
zu gelangen, daß, was jene sozialdemokratischen Reiseapostel predigen, nach
Sinn und Wort genan dasselbe sei, was einst Jesus von Nazareth auf seinen
Wanderungen im heiligen Lande lehrte. Hr. Todt resumirt seine weitläufigen
Auseinandersetzungen über die sozialdemokratische Lehre also: "Ihre Grund¬
prinzipien bestehen nicht nur vor der Kritik des neuen Testamentes, sondern
enthalten geradezu evangelische, göttliche Wahrheiten; ihre Anklagen gegen die
heutige Gesellschaftsordnung sind größtentheils begründet, ihre Forderungen
berechtigt." "Größtentheils", sagt Hr. Todt allerdings nur, allein diese
Restrinktivn bezieht sich ausschließlich auf den Atheismus der Sozialdemokratie,
für den freilich selbst jesuitische Dialektik keine Belegstellen in den Reden Jesu
auffinde" kann. Indeß anch dieser betrübende Kasus macht Herrn Todt nur
lachen; er erklärt, daß der Atheismus keine inhaerente Eigenschaft der sozialistischen
Weltanschauung, sondern nur ein äußerliches Accidenz, eine schlechte Ange¬
wohnheit sei, durch welche das böse Beispiel der Liberalen die guten Sitten
der Sozialdemokraten verdorben habe. Selbstverständlich fließt das Buch über
von den wildesten und zügellosesten Schmähungen gegen den Liberalismus, in
welchen die Friedfertigkeit dieses Predigers der Liebe ebenso prägnanten Aus¬
druck findet, wie seine Wahrhaftigkeit; umgekehrt wird jede sozialdemokratische
Schmähung und Verdächtigung als baare und blanke Münze genommen und
der Autor scheut sich selbst nicht, einem Manne von Gladstone's Weltruf die



Rudolf Todt, der radikale deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft.
Versuch einer Darstellung des sozialen Gehalts des Christenthums und der sozialen Auf¬
gabe der christlichen Gesellschaft auf Grund einer Untersuchung des neuen Testaments. Witten-
berg, Ruft 1877.

günstiger gewesen wäre, war Rodbertus todt, waren Wagener und Meyer im
öffentlichen Leben unmöglich geworden. Ein Erbe ihres Geistes und ihrer
Traditionen fehlte, indeß das dringende Bedürfniß der reaktionär-ultramontanen
Presse, ans demsozialdemokratischen Hexenkessel Brandfackeln gegen die liberale
Weltanschammg zu reguiriren, war wo möglich noch gewachsen und in ihrer
Unfähigkeit, es zu bändigen, nahm sie, was sie eben fand. Sie fand aber
nur ein dickes Pamphlet, das ein Landgeistlicher in der Welteinsamkeit eines
märkischen Pfarrhofes über die Lösung der sozialen Frage zusammenphantasirt
hatte/') Dies Buch ist unter allein konfusen Zeug, welches seit einem Jahrzehnt
über diese Themata geschrieben ist, weitaus die konfuseste Leistung, wieviel
immer das sagen will. Die wissenschaftliche Methode Todt's besteht darin,
nicht etwa die Gedanken eines Oven und Se. Simon oder sonst religiös ange¬
hauchten Sozialisten, sondern die ganz gewöhnlichen Hetz- und Schlagworte
eines Hasenelever, Hasselmann, Liebknecht mit den Reden Jesu zu vergleichen,
so wie sie von der Bibel überliefert werden, und schließlich zu dein Resultate
zu gelangen, daß, was jene sozialdemokratischen Reiseapostel predigen, nach
Sinn und Wort genan dasselbe sei, was einst Jesus von Nazareth auf seinen
Wanderungen im heiligen Lande lehrte. Hr. Todt resumirt seine weitläufigen
Auseinandersetzungen über die sozialdemokratische Lehre also: „Ihre Grund¬
prinzipien bestehen nicht nur vor der Kritik des neuen Testamentes, sondern
enthalten geradezu evangelische, göttliche Wahrheiten; ihre Anklagen gegen die
heutige Gesellschaftsordnung sind größtentheils begründet, ihre Forderungen
berechtigt." „Größtentheils", sagt Hr. Todt allerdings nur, allein diese
Restrinktivn bezieht sich ausschließlich auf den Atheismus der Sozialdemokratie,
für den freilich selbst jesuitische Dialektik keine Belegstellen in den Reden Jesu
auffinde» kann. Indeß anch dieser betrübende Kasus macht Herrn Todt nur
lachen; er erklärt, daß der Atheismus keine inhaerente Eigenschaft der sozialistischen
Weltanschauung, sondern nur ein äußerliches Accidenz, eine schlechte Ange¬
wohnheit sei, durch welche das böse Beispiel der Liberalen die guten Sitten
der Sozialdemokraten verdorben habe. Selbstverständlich fließt das Buch über
von den wildesten und zügellosesten Schmähungen gegen den Liberalismus, in
welchen die Friedfertigkeit dieses Predigers der Liebe ebenso prägnanten Aus¬
druck findet, wie seine Wahrhaftigkeit; umgekehrt wird jede sozialdemokratische
Schmähung und Verdächtigung als baare und blanke Münze genommen und
der Autor scheut sich selbst nicht, einem Manne von Gladstone's Weltruf die



Rudolf Todt, der radikale deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft.
Versuch einer Darstellung des sozialen Gehalts des Christenthums und der sozialen Auf¬
gabe der christlichen Gesellschaft auf Grund einer Untersuchung des neuen Testaments. Witten-
berg, Ruft 1877.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/187>, abgerufen am 09.06.2024.