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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Gyrowetz war nach seiner Angabe am 19. Februar 1763 in böhmisch
Budweis geboren. Das Jahr stimmt zwar nicht genau mit den 85 Jahren,
wonach es vielmehr 1762 heißen müßte, aber die weiteren Zeitangaben der
Biographie machen doch 1763 wahrscheinlicher, als 1768, das in O. Jahn's
"Mozart" angenommen wird, weil Gyrowetz sich achtzehn Jahre alt nennt,
als er nach Wien kam und dies allerdings nur im Jahre 1785/86 geschehen
sein kann. Er war also jedenfalls zwei- bis dreiundzwanzig Jahre alt, als
er nach Italien kam und mit Goethe verkehrte. Sein Vater war Regenschori,
das heißt im Grunde Kapellmeister, und zwar an der Domkirche. Dieser
bessern sozialen Stellung entspricht auch seine Heirat mit einer Apothekers¬
tochter, sowie der Umstand, daß der Sohn, obwohl er in frühester Jugend
nach Bohnenart bedeutendes Musiktalent zeigte, zum gelehrten Studium bestimmt
wurde. Er war zuerst sechs Jahre auf dem Piaristeugymnasium in Budweis
und kam dann nach Prag auf die Universität. Jedoch zuerst im Chor der
Kirche mitsingend, dann Violine spielend, weiter als Organist und Klavier¬
spieler hatte er inzwischen jede Fertigkeit in der Musik erlangt und ebenso
einen guten Generalbaßunterricht gehabt. Jetzt, das heißt etwa vom 18.
bis zum 21. Jahre, lebte er in Prag, und was das damals, in den achtziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts, heißen will, weiß man aus dem Leben
Mozarts, der ja selbst und zwar ausdrücklich für die Prager und ihr gutes
Theater und Orchester den "Don Juan" schrieb. So war es nur der natürliche
Verlauf der Dinge, daß, als der junge Studiosus der Jurisprudenz. eine
heftige Krankheit überstanden hatte, infolge deren er sich zu schwach fühlte,
seine Studien fortzusetzen, das Loi-xus Mis mir der Partitur und dem Dirigenten-
stabe vertauscht wurde. Es traf sich so glücklich, daß ein Graf Fünfkirchen,
dessen Angestellte nach damaliger guter Adelsgewohnheit in Oesterreich zugleich
Musiker sein mußten, und der daher ein förmliches Orchester hatte, einen
Sekretär brauchte, und diese Stellung erhielt Ghrowetz. Hier schrieb er sechs
Symphonien, und als er dann in Vrünn, wo sein Herr den Winter zuzubringen
pflegte, sich in den dortigen, ebenfalls vortrefflichen musikalischen Kreisen gleich
bedeutend hervorthat, gab man ihm gute Empfehlungsschreiben nach Wien.
Dort wirkten damals noch zu gleicher Zeit Gluck, Haydn, Mozart, und er
ging wirklich im Jahre 1786 nach der Kaiserstadt. Dieses Jahr ergibt sich
aus Gyrowetz' Mittheilung, daß er in dem ersten musikalischen Hause, wo er
"aufgeführt" wurde, beim Hofrath von Keeß, I. Haydn, Mozart, Diedersdorf
und den Geiger Jarnowich angetroffen habe; die beiden letzten Musiker


nisten Kciyser bei sich, der ihm denn auch die alte italiänische Kirchenmusik einigermaßen
erschloß. "Die Kapellmufik ist undenkbar schon, besonders das Miserere von Allegri und die
Jmproperien", schreibt er am 22. März 1733.

Gyrowetz war nach seiner Angabe am 19. Februar 1763 in böhmisch
Budweis geboren. Das Jahr stimmt zwar nicht genau mit den 85 Jahren,
wonach es vielmehr 1762 heißen müßte, aber die weiteren Zeitangaben der
Biographie machen doch 1763 wahrscheinlicher, als 1768, das in O. Jahn's
„Mozart" angenommen wird, weil Gyrowetz sich achtzehn Jahre alt nennt,
als er nach Wien kam und dies allerdings nur im Jahre 1785/86 geschehen
sein kann. Er war also jedenfalls zwei- bis dreiundzwanzig Jahre alt, als
er nach Italien kam und mit Goethe verkehrte. Sein Vater war Regenschori,
das heißt im Grunde Kapellmeister, und zwar an der Domkirche. Dieser
bessern sozialen Stellung entspricht auch seine Heirat mit einer Apothekers¬
tochter, sowie der Umstand, daß der Sohn, obwohl er in frühester Jugend
nach Bohnenart bedeutendes Musiktalent zeigte, zum gelehrten Studium bestimmt
wurde. Er war zuerst sechs Jahre auf dem Piaristeugymnasium in Budweis
und kam dann nach Prag auf die Universität. Jedoch zuerst im Chor der
Kirche mitsingend, dann Violine spielend, weiter als Organist und Klavier¬
spieler hatte er inzwischen jede Fertigkeit in der Musik erlangt und ebenso
einen guten Generalbaßunterricht gehabt. Jetzt, das heißt etwa vom 18.
bis zum 21. Jahre, lebte er in Prag, und was das damals, in den achtziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts, heißen will, weiß man aus dem Leben
Mozarts, der ja selbst und zwar ausdrücklich für die Prager und ihr gutes
Theater und Orchester den „Don Juan" schrieb. So war es nur der natürliche
Verlauf der Dinge, daß, als der junge Studiosus der Jurisprudenz. eine
heftige Krankheit überstanden hatte, infolge deren er sich zu schwach fühlte,
seine Studien fortzusetzen, das Loi-xus Mis mir der Partitur und dem Dirigenten-
stabe vertauscht wurde. Es traf sich so glücklich, daß ein Graf Fünfkirchen,
dessen Angestellte nach damaliger guter Adelsgewohnheit in Oesterreich zugleich
Musiker sein mußten, und der daher ein förmliches Orchester hatte, einen
Sekretär brauchte, und diese Stellung erhielt Ghrowetz. Hier schrieb er sechs
Symphonien, und als er dann in Vrünn, wo sein Herr den Winter zuzubringen
pflegte, sich in den dortigen, ebenfalls vortrefflichen musikalischen Kreisen gleich
bedeutend hervorthat, gab man ihm gute Empfehlungsschreiben nach Wien.
Dort wirkten damals noch zu gleicher Zeit Gluck, Haydn, Mozart, und er
ging wirklich im Jahre 1786 nach der Kaiserstadt. Dieses Jahr ergibt sich
aus Gyrowetz' Mittheilung, daß er in dem ersten musikalischen Hause, wo er
„aufgeführt" wurde, beim Hofrath von Keeß, I. Haydn, Mozart, Diedersdorf
und den Geiger Jarnowich angetroffen habe; die beiden letzten Musiker


nisten Kciyser bei sich, der ihm denn auch die alte italiänische Kirchenmusik einigermaßen
erschloß. „Die Kapellmufik ist undenkbar schon, besonders das Miserere von Allegri und die
Jmproperien", schreibt er am 22. März 1733.
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[0194] Gyrowetz war nach seiner Angabe am 19. Februar 1763 in böhmisch Budweis geboren. Das Jahr stimmt zwar nicht genau mit den 85 Jahren, wonach es vielmehr 1762 heißen müßte, aber die weiteren Zeitangaben der Biographie machen doch 1763 wahrscheinlicher, als 1768, das in O. Jahn's „Mozart" angenommen wird, weil Gyrowetz sich achtzehn Jahre alt nennt, als er nach Wien kam und dies allerdings nur im Jahre 1785/86 geschehen sein kann. Er war also jedenfalls zwei- bis dreiundzwanzig Jahre alt, als er nach Italien kam und mit Goethe verkehrte. Sein Vater war Regenschori, das heißt im Grunde Kapellmeister, und zwar an der Domkirche. Dieser bessern sozialen Stellung entspricht auch seine Heirat mit einer Apothekers¬ tochter, sowie der Umstand, daß der Sohn, obwohl er in frühester Jugend nach Bohnenart bedeutendes Musiktalent zeigte, zum gelehrten Studium bestimmt wurde. Er war zuerst sechs Jahre auf dem Piaristeugymnasium in Budweis und kam dann nach Prag auf die Universität. Jedoch zuerst im Chor der Kirche mitsingend, dann Violine spielend, weiter als Organist und Klavier¬ spieler hatte er inzwischen jede Fertigkeit in der Musik erlangt und ebenso einen guten Generalbaßunterricht gehabt. Jetzt, das heißt etwa vom 18. bis zum 21. Jahre, lebte er in Prag, und was das damals, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, heißen will, weiß man aus dem Leben Mozarts, der ja selbst und zwar ausdrücklich für die Prager und ihr gutes Theater und Orchester den „Don Juan" schrieb. So war es nur der natürliche Verlauf der Dinge, daß, als der junge Studiosus der Jurisprudenz. eine heftige Krankheit überstanden hatte, infolge deren er sich zu schwach fühlte, seine Studien fortzusetzen, das Loi-xus Mis mir der Partitur und dem Dirigenten- stabe vertauscht wurde. Es traf sich so glücklich, daß ein Graf Fünfkirchen, dessen Angestellte nach damaliger guter Adelsgewohnheit in Oesterreich zugleich Musiker sein mußten, und der daher ein förmliches Orchester hatte, einen Sekretär brauchte, und diese Stellung erhielt Ghrowetz. Hier schrieb er sechs Symphonien, und als er dann in Vrünn, wo sein Herr den Winter zuzubringen pflegte, sich in den dortigen, ebenfalls vortrefflichen musikalischen Kreisen gleich bedeutend hervorthat, gab man ihm gute Empfehlungsschreiben nach Wien. Dort wirkten damals noch zu gleicher Zeit Gluck, Haydn, Mozart, und er ging wirklich im Jahre 1786 nach der Kaiserstadt. Dieses Jahr ergibt sich aus Gyrowetz' Mittheilung, daß er in dem ersten musikalischen Hause, wo er „aufgeführt" wurde, beim Hofrath von Keeß, I. Haydn, Mozart, Diedersdorf und den Geiger Jarnowich angetroffen habe; die beiden letzten Musiker nisten Kciyser bei sich, der ihm denn auch die alte italiänische Kirchenmusik einigermaßen erschloß. „Die Kapellmufik ist undenkbar schon, besonders das Miserere von Allegri und die Jmproperien", schreibt er am 22. März 1733.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/194>, abgerufen am 29.05.2024.