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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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8trg.äg. IrmitK nahe der ?ig,22A, al Liiagng. speiste. Dort wurde dann Verschie¬
denes über Kunst, Vaterland, Ereignisse und zufällige Abenteuer gesprochen.....

Kurz darauf erschien der schon damals berühmte Schriftsteller und Dichter
Goethe, welchen der Großherzog von Weimar nach Sizilien schickte (?), um
dort die Merkwürdigkeiten der Natur zu besehen und zu beschreiben, welche
nebst vielen andern bewundernswürdigen Sachen auch darin bestehen, daß man
in den Felsenwänden ganz ordentliche Schlachten und Gemäldevorstellungeu
allein durch die Natur so gezeichnet und ausgebildet antrifft, als hätte sie der
erste Künstler gezeichnet und ausgehauen. Einstweilen blieb Goethe für einige
Zeit in Rom, und es bot sich dem Gyrowetz die erwünschte Gelegenheit dar,
dessen nähere Bekanntschaft zu machen. So geschah es, daß Gyrowetz in
Goethe's Gesellschaft die Merkwürdigkeiten und Alterthümer Roms besah,
manche alte Ruine selbst mit Gefahr bestieg und auf diese Art die meiste Zeit
in Durchschauung und Durchkriechung verfallener Denkmäler und in Bewunde¬
rung so mancher künstlerischen Schätze zubrachte. Die Bäder des Caracalla
wurden durchsucht, wo man auf lauter Mosaikbruchstücken herumwandelt und
noch die Säle zu sehen sind, worin die Gladiatoren ihre Spiele übten. Auch
sand man unter diesen Ruinen zuweilen einige Bruchstücke von alten musika¬
lischen Instrumenten, welches dann Gelegenheit gab, über alte und neue Musik
und deren Ausübung und Zustand manches zu sprechen und zu bemerken,
worin auch Goethe bewies, daß er einen richtigen Begriff von gründlicher und
wohlgeordneter Musik besaß,und nicht mit denjenigen gleicher Meinung war,
welche jede Musik, geordnet oder ungeordnet, für klassisch halten, wenn selbe
durch bizarre ungeregelte Ideen, durch Getöse und Lärm oder durch verwirrte
Modulationen dem Ohre fremd klingt, und so etwas in der Musik für neu
halten, weil es eben dnrch seine Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit ihrem
Ohre als ungewöhnlich erscheint, und womit sich manche selbst verständig
scheinende Musiker gröblich täuschen lassen.

Wenn diese Durchsuchungen und Beschallungen so vieler Alterthümer
zum Theil beendet waren und der Tag sich zu neigen schien, wurde eine
Abendgesellschaft beschlossen, in der sich mehre Künstler und Schriftsteller ein¬
fanden. Man bildete einen Kreis inmitten eines großen Zimmers, in welchem
sich ein Kessel mit glühenden Kohlen befand, der die Anwesenden, weil es da¬
mals schon Winter war, nach Art der Römer vor Kälte schützte und sie in
Vertraulichkeit einander näher brachte. Goethe führte den Vorsitz. Gespräche
aller Art wurden nun gewechselt, ein Jeder erzählte die besonderen Ergebnisse
seines Lebens. Abenteuer und Zufälligkeiten bildeten den Stoff der Erzählungen,
bis die spätere Abendzeit einbrach und einige Erfrischungen aufgetischt wurden,
welche in Brot, Käse, Salami und derlei kalten Speisen bestanden, wozu dann


8trg.äg. IrmitK nahe der ?ig,22A, al Liiagng. speiste. Dort wurde dann Verschie¬
denes über Kunst, Vaterland, Ereignisse und zufällige Abenteuer gesprochen.....

Kurz darauf erschien der schon damals berühmte Schriftsteller und Dichter
Goethe, welchen der Großherzog von Weimar nach Sizilien schickte (?), um
dort die Merkwürdigkeiten der Natur zu besehen und zu beschreiben, welche
nebst vielen andern bewundernswürdigen Sachen auch darin bestehen, daß man
in den Felsenwänden ganz ordentliche Schlachten und Gemäldevorstellungeu
allein durch die Natur so gezeichnet und ausgebildet antrifft, als hätte sie der
erste Künstler gezeichnet und ausgehauen. Einstweilen blieb Goethe für einige
Zeit in Rom, und es bot sich dem Gyrowetz die erwünschte Gelegenheit dar,
dessen nähere Bekanntschaft zu machen. So geschah es, daß Gyrowetz in
Goethe's Gesellschaft die Merkwürdigkeiten und Alterthümer Roms besah,
manche alte Ruine selbst mit Gefahr bestieg und auf diese Art die meiste Zeit
in Durchschauung und Durchkriechung verfallener Denkmäler und in Bewunde¬
rung so mancher künstlerischen Schätze zubrachte. Die Bäder des Caracalla
wurden durchsucht, wo man auf lauter Mosaikbruchstücken herumwandelt und
noch die Säle zu sehen sind, worin die Gladiatoren ihre Spiele übten. Auch
sand man unter diesen Ruinen zuweilen einige Bruchstücke von alten musika¬
lischen Instrumenten, welches dann Gelegenheit gab, über alte und neue Musik
und deren Ausübung und Zustand manches zu sprechen und zu bemerken,
worin auch Goethe bewies, daß er einen richtigen Begriff von gründlicher und
wohlgeordneter Musik besaß,und nicht mit denjenigen gleicher Meinung war,
welche jede Musik, geordnet oder ungeordnet, für klassisch halten, wenn selbe
durch bizarre ungeregelte Ideen, durch Getöse und Lärm oder durch verwirrte
Modulationen dem Ohre fremd klingt, und so etwas in der Musik für neu
halten, weil es eben dnrch seine Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit ihrem
Ohre als ungewöhnlich erscheint, und womit sich manche selbst verständig
scheinende Musiker gröblich täuschen lassen.

Wenn diese Durchsuchungen und Beschallungen so vieler Alterthümer
zum Theil beendet waren und der Tag sich zu neigen schien, wurde eine
Abendgesellschaft beschlossen, in der sich mehre Künstler und Schriftsteller ein¬
fanden. Man bildete einen Kreis inmitten eines großen Zimmers, in welchem
sich ein Kessel mit glühenden Kohlen befand, der die Anwesenden, weil es da¬
mals schon Winter war, nach Art der Römer vor Kälte schützte und sie in
Vertraulichkeit einander näher brachte. Goethe führte den Vorsitz. Gespräche
aller Art wurden nun gewechselt, ein Jeder erzählte die besonderen Ergebnisse
seines Lebens. Abenteuer und Zufälligkeiten bildeten den Stoff der Erzählungen,
bis die spätere Abendzeit einbrach und einige Erfrischungen aufgetischt wurden,
welche in Brot, Käse, Salami und derlei kalten Speisen bestanden, wozu dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/196>, abgerufen am 31.05.2024.