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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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daß Athen gesiegt haben würde. Das ganze sizilische Unternehmen stand unter
einem bösen Stern. Alkibiades, der es allein hätte vollenden können, gab
durch genialen Leichtsinn den Intriguen seiner oligarchischen und demokratischen
Gegner daheim die beste Gelegenheit, ihn zu stürzen. Und indem nun der
beleidigte Mibiades den Spartanern die Wege wies, Athen zu bewältigen, in¬
dem er ihnen die Satrapen Kleinasiens und das Gold des Großkönigs zu¬
brachte, begann der Todeskampf Athens, gegen das sich mit Sparta die Flotten
der abgefallenen Bündner wie die Korinths und Siziliens vereinigten. -- Der
dritte Abschnitt des peloponnesischen Krieges bringt die Einnahme von Athen
und den vollständigen Sieg der Spartaner. Vergeblich, daß Athen das Aeußerste
mischte für sein zusammenbrechendes Staatswesen. Nach dem letzten Siege
den es errang, den bei den Arginusen, erlag es den Parteien im Inneren, dem
Verrathe seiner Feldherrn, dem Hunger. Der Spartaner Lysandros brach die
langen Mauern und übergab Athen der Herrschaft der Dreißig.

Die Spartiaten mißbrauchten ihren Sieg. Durch den Hohn, mit dem
sie ihre eigenen Bundesgenossen behandelten, durch die Einrichtung der griechi¬
schen Städte nach spartanischen Muster, durch ihr Bestreben, die Gebiete der
Stämme in kleine ohnmächtige Bezirke zu zersplittern, um sie so besser be¬
herrschen zu können, entfremdeten sie sich Hellas. Die Thebäer boten den
attischen Flüchtlingen, welche von den Spartiaten und deren Kreaturen aus
Athen vertrieben waren, muthig die Hand und ermöglichten so die Staatsum¬
wälzung des Thrasybulos, durch welche Athen fallor 403 seine Freiheit und
Selbständigkeit zurückerlangte.

Aber es war nicht mehr das Alte! Am gründlichsten aufgeräumt -- sagt
Droysen -- war mit dem alten hoplitischen Bauernstande, der jahrelang vom
Feinde in die Stadt getrieben und im Strudel des städtischen Lebens zum
Pöbel geworden war. Nur der Name der solonischen Verfassung wurde
wieder hergestellt. Alles war kraft- und schwuuglos, heruntergekommen und
armselig, und die Steigerung der Demokratie bahnte nur weiterer Auslösung
den Weg. -- Und kaum besser daran war das siegreiche Sparta! Wohl schien
jetzt seine Hegemonie das Griechenthum zu vereinigen; doch statt der früheren
Bürgertugenden der edlen Dorer, machten sich jetzt habgierige Genußsucht, her¬
rische Geistesarmuth, Heimtücke und Heuchelei breit. Für die Strenge der
Lebensformen in der Heimath entschädigten sich die Spartiaten außer Landes
als Harmosten, d. h. als willkürliche und grausame Statthalter. -- Die Ideale
der Vergangenheit waren dahin und keine neuen an ihre Stelle getreten.

Ein solcher Umschwung der sozialen und sittlichen Lebensbedingungen
mußte naturgemäß auch einen Wechsel der Wehrverfassungen zur Folge haben,
und in der That hatte sich während des fast dreißigjährigen Ringens um die


Grenzboten l. 1878.

daß Athen gesiegt haben würde. Das ganze sizilische Unternehmen stand unter
einem bösen Stern. Alkibiades, der es allein hätte vollenden können, gab
durch genialen Leichtsinn den Intriguen seiner oligarchischen und demokratischen
Gegner daheim die beste Gelegenheit, ihn zu stürzen. Und indem nun der
beleidigte Mibiades den Spartanern die Wege wies, Athen zu bewältigen, in¬
dem er ihnen die Satrapen Kleinasiens und das Gold des Großkönigs zu¬
brachte, begann der Todeskampf Athens, gegen das sich mit Sparta die Flotten
der abgefallenen Bündner wie die Korinths und Siziliens vereinigten. — Der
dritte Abschnitt des peloponnesischen Krieges bringt die Einnahme von Athen
und den vollständigen Sieg der Spartaner. Vergeblich, daß Athen das Aeußerste
mischte für sein zusammenbrechendes Staatswesen. Nach dem letzten Siege
den es errang, den bei den Arginusen, erlag es den Parteien im Inneren, dem
Verrathe seiner Feldherrn, dem Hunger. Der Spartaner Lysandros brach die
langen Mauern und übergab Athen der Herrschaft der Dreißig.

Die Spartiaten mißbrauchten ihren Sieg. Durch den Hohn, mit dem
sie ihre eigenen Bundesgenossen behandelten, durch die Einrichtung der griechi¬
schen Städte nach spartanischen Muster, durch ihr Bestreben, die Gebiete der
Stämme in kleine ohnmächtige Bezirke zu zersplittern, um sie so besser be¬
herrschen zu können, entfremdeten sie sich Hellas. Die Thebäer boten den
attischen Flüchtlingen, welche von den Spartiaten und deren Kreaturen aus
Athen vertrieben waren, muthig die Hand und ermöglichten so die Staatsum¬
wälzung des Thrasybulos, durch welche Athen fallor 403 seine Freiheit und
Selbständigkeit zurückerlangte.

Aber es war nicht mehr das Alte! Am gründlichsten aufgeräumt — sagt
Droysen — war mit dem alten hoplitischen Bauernstande, der jahrelang vom
Feinde in die Stadt getrieben und im Strudel des städtischen Lebens zum
Pöbel geworden war. Nur der Name der solonischen Verfassung wurde
wieder hergestellt. Alles war kraft- und schwuuglos, heruntergekommen und
armselig, und die Steigerung der Demokratie bahnte nur weiterer Auslösung
den Weg. — Und kaum besser daran war das siegreiche Sparta! Wohl schien
jetzt seine Hegemonie das Griechenthum zu vereinigen; doch statt der früheren
Bürgertugenden der edlen Dorer, machten sich jetzt habgierige Genußsucht, her¬
rische Geistesarmuth, Heimtücke und Heuchelei breit. Für die Strenge der
Lebensformen in der Heimath entschädigten sich die Spartiaten außer Landes
als Harmosten, d. h. als willkürliche und grausame Statthalter. — Die Ideale
der Vergangenheit waren dahin und keine neuen an ihre Stelle getreten.

Ein solcher Umschwung der sozialen und sittlichen Lebensbedingungen
mußte naturgemäß auch einen Wechsel der Wehrverfassungen zur Folge haben,
und in der That hatte sich während des fast dreißigjährigen Ringens um die


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[0217] daß Athen gesiegt haben würde. Das ganze sizilische Unternehmen stand unter einem bösen Stern. Alkibiades, der es allein hätte vollenden können, gab durch genialen Leichtsinn den Intriguen seiner oligarchischen und demokratischen Gegner daheim die beste Gelegenheit, ihn zu stürzen. Und indem nun der beleidigte Mibiades den Spartanern die Wege wies, Athen zu bewältigen, in¬ dem er ihnen die Satrapen Kleinasiens und das Gold des Großkönigs zu¬ brachte, begann der Todeskampf Athens, gegen das sich mit Sparta die Flotten der abgefallenen Bündner wie die Korinths und Siziliens vereinigten. — Der dritte Abschnitt des peloponnesischen Krieges bringt die Einnahme von Athen und den vollständigen Sieg der Spartaner. Vergeblich, daß Athen das Aeußerste mischte für sein zusammenbrechendes Staatswesen. Nach dem letzten Siege den es errang, den bei den Arginusen, erlag es den Parteien im Inneren, dem Verrathe seiner Feldherrn, dem Hunger. Der Spartaner Lysandros brach die langen Mauern und übergab Athen der Herrschaft der Dreißig. Die Spartiaten mißbrauchten ihren Sieg. Durch den Hohn, mit dem sie ihre eigenen Bundesgenossen behandelten, durch die Einrichtung der griechi¬ schen Städte nach spartanischen Muster, durch ihr Bestreben, die Gebiete der Stämme in kleine ohnmächtige Bezirke zu zersplittern, um sie so besser be¬ herrschen zu können, entfremdeten sie sich Hellas. Die Thebäer boten den attischen Flüchtlingen, welche von den Spartiaten und deren Kreaturen aus Athen vertrieben waren, muthig die Hand und ermöglichten so die Staatsum¬ wälzung des Thrasybulos, durch welche Athen fallor 403 seine Freiheit und Selbständigkeit zurückerlangte. Aber es war nicht mehr das Alte! Am gründlichsten aufgeräumt — sagt Droysen — war mit dem alten hoplitischen Bauernstande, der jahrelang vom Feinde in die Stadt getrieben und im Strudel des städtischen Lebens zum Pöbel geworden war. Nur der Name der solonischen Verfassung wurde wieder hergestellt. Alles war kraft- und schwuuglos, heruntergekommen und armselig, und die Steigerung der Demokratie bahnte nur weiterer Auslösung den Weg. — Und kaum besser daran war das siegreiche Sparta! Wohl schien jetzt seine Hegemonie das Griechenthum zu vereinigen; doch statt der früheren Bürgertugenden der edlen Dorer, machten sich jetzt habgierige Genußsucht, her¬ rische Geistesarmuth, Heimtücke und Heuchelei breit. Für die Strenge der Lebensformen in der Heimath entschädigten sich die Spartiaten außer Landes als Harmosten, d. h. als willkürliche und grausame Statthalter. — Die Ideale der Vergangenheit waren dahin und keine neuen an ihre Stelle getreten. Ein solcher Umschwung der sozialen und sittlichen Lebensbedingungen mußte naturgemäß auch einen Wechsel der Wehrverfassungen zur Folge haben, und in der That hatte sich während des fast dreißigjährigen Ringens um die Grenzboten l. 1878.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/217>, abgerufen am 15.05.2024.