Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsmann näher ins Ange zu fassen. Nicht leicht ist die Aufgabe; wer
sich an sie machen will, muß von vornherein darauf gefaßt sein, bei den extremen
Parteien und den auf extremen Parteianschannngen beruhenden historischen
Expektorationen anzustoßen; rechts und links muß er bereit sein Aerger zu er¬
regen und Haß zu entfachen. Eine der größten Schwierigkeiten besteht in der
Herbeischaffung des Materinles; höchst lückenhaft und zufällig ist unsere Kenntniß
der Dinge, die in erster Linie beachtenswerth sind. So müßte man den Ver¬
such, in diesem Augenblicke ein zusammenfassendes, irgendwie abschließendes
Urtheil formuliren zu wollen, gradezu als unmöglich und vermessen bezeichnen.
Es handelt sich jetzt nur darum, durch eingehende Erörterung von Einzeln-
heiten zur Lösung der Frage beizutragen und vorzubereiten. Man kann gegen¬
wärtig nur die Discussion anregen, nicht sie abschließen oder erledigen. Es
gilt einzelne hervorragende Ereignisse oder Handlungen, einzelne besonders
wichtige Momente in Schön's Leben herauszugreifen und zu beleuchten, wie
grade das zu Gebote stehende Material es gestattet. Und wirkliche Förderung
geschichtlichen Wissens wird ein derartiges Unternehmen dann allein bringen,
wenn es "Mo ira, "ze Stückn) angefaßt, weder aus Haß noch ans Vergötterung
Schön's seine Impulse empfängt.

Wie im April 1875 ich meines Wissens der erste Historiker war, der
seine Stimme gegen Schön's Glaubwürdigkeit als Memoirenschriftsteller er¬
hoben, so will ich jetzt den Anfang mit einer objektiven rein historischen
Discussion der staatsmännischen Leistungen des Oberpräsidenten machen. Ein
zu meiner Kenntniß gelangtes Aktenstück giebt mir den willkommenen Anlaß
zu dieser Arbeit, bei der ich selbst mich auf die Rolle des unparteiischen Refe¬
renten beschränken darf. Ich denke, die verständigeren und maßvolleren Verehrer
Schön's werden guten Grund haben, mir die hier folgenden Mittheilungen zu
danken.

Bekanntlich wurde Schön 1824 von Danzig nach Königsberg, als Ober¬
präsident der damals erst vereinigten Provinzen Ost- und Wesipreußeu ver¬
setzt. Die Zeit seines Waltens an der Spitze der gescnnmten Provinz ist es,
auf welcher sein Ansehen bei den Zeitgenossen und sein Ruf bei der Nachwelt
basirt. Er begann seine Thätigkeit mit einem höchst delikaten Auftrag, der
einerseits zeigte ein wie großes Vertrauen man an maßgebender Stelle in ihn
gesetzt, der andrerseits geeignet war, seine Umsicht, seine Menschenkenntniß und
sein Verwaltungsgeschick auf eine entscheidende Probe zu stellen. Hören wir
seine eigene Erzählung in der 1844 verfaßten Selbstbiographie (Aus den
Papieren Schön's. III. 77--80).

"Bevor ich meinen Wohnsitz nach Königsberg verlegte, wurde ich nach
Berlin berufen. Der Krieg von 18(X>/7 hatte einen großen Theil von Ost-


Staatsmann näher ins Ange zu fassen. Nicht leicht ist die Aufgabe; wer
sich an sie machen will, muß von vornherein darauf gefaßt sein, bei den extremen
Parteien und den auf extremen Parteianschannngen beruhenden historischen
Expektorationen anzustoßen; rechts und links muß er bereit sein Aerger zu er¬
regen und Haß zu entfachen. Eine der größten Schwierigkeiten besteht in der
Herbeischaffung des Materinles; höchst lückenhaft und zufällig ist unsere Kenntniß
der Dinge, die in erster Linie beachtenswerth sind. So müßte man den Ver¬
such, in diesem Augenblicke ein zusammenfassendes, irgendwie abschließendes
Urtheil formuliren zu wollen, gradezu als unmöglich und vermessen bezeichnen.
Es handelt sich jetzt nur darum, durch eingehende Erörterung von Einzeln-
heiten zur Lösung der Frage beizutragen und vorzubereiten. Man kann gegen¬
wärtig nur die Discussion anregen, nicht sie abschließen oder erledigen. Es
gilt einzelne hervorragende Ereignisse oder Handlungen, einzelne besonders
wichtige Momente in Schön's Leben herauszugreifen und zu beleuchten, wie
grade das zu Gebote stehende Material es gestattet. Und wirkliche Förderung
geschichtlichen Wissens wird ein derartiges Unternehmen dann allein bringen,
wenn es «Mo ira, «ze Stückn) angefaßt, weder aus Haß noch ans Vergötterung
Schön's seine Impulse empfängt.

Wie im April 1875 ich meines Wissens der erste Historiker war, der
seine Stimme gegen Schön's Glaubwürdigkeit als Memoirenschriftsteller er¬
hoben, so will ich jetzt den Anfang mit einer objektiven rein historischen
Discussion der staatsmännischen Leistungen des Oberpräsidenten machen. Ein
zu meiner Kenntniß gelangtes Aktenstück giebt mir den willkommenen Anlaß
zu dieser Arbeit, bei der ich selbst mich auf die Rolle des unparteiischen Refe¬
renten beschränken darf. Ich denke, die verständigeren und maßvolleren Verehrer
Schön's werden guten Grund haben, mir die hier folgenden Mittheilungen zu
danken.

Bekanntlich wurde Schön 1824 von Danzig nach Königsberg, als Ober¬
präsident der damals erst vereinigten Provinzen Ost- und Wesipreußeu ver¬
setzt. Die Zeit seines Waltens an der Spitze der gescnnmten Provinz ist es,
auf welcher sein Ansehen bei den Zeitgenossen und sein Ruf bei der Nachwelt
basirt. Er begann seine Thätigkeit mit einem höchst delikaten Auftrag, der
einerseits zeigte ein wie großes Vertrauen man an maßgebender Stelle in ihn
gesetzt, der andrerseits geeignet war, seine Umsicht, seine Menschenkenntniß und
sein Verwaltungsgeschick auf eine entscheidende Probe zu stellen. Hören wir
seine eigene Erzählung in der 1844 verfaßten Selbstbiographie (Aus den
Papieren Schön's. III. 77—80).

„Bevor ich meinen Wohnsitz nach Königsberg verlegte, wurde ich nach
Berlin berufen. Der Krieg von 18(X>/7 hatte einen großen Theil von Ost-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139316"/>
          <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> Staatsmann näher ins Ange zu fassen. Nicht leicht ist die Aufgabe; wer<lb/>
sich an sie machen will, muß von vornherein darauf gefaßt sein, bei den extremen<lb/>
Parteien und den auf extremen Parteianschannngen beruhenden historischen<lb/>
Expektorationen anzustoßen; rechts und links muß er bereit sein Aerger zu er¬<lb/>
regen und Haß zu entfachen. Eine der größten Schwierigkeiten besteht in der<lb/>
Herbeischaffung des Materinles; höchst lückenhaft und zufällig ist unsere Kenntniß<lb/>
der Dinge, die in erster Linie beachtenswerth sind. So müßte man den Ver¬<lb/>
such, in diesem Augenblicke ein zusammenfassendes, irgendwie abschließendes<lb/>
Urtheil formuliren zu wollen, gradezu als unmöglich und vermessen bezeichnen.<lb/>
Es handelt sich jetzt nur darum, durch eingehende Erörterung von Einzeln-<lb/>
heiten zur Lösung der Frage beizutragen und vorzubereiten. Man kann gegen¬<lb/>
wärtig nur die Discussion anregen, nicht sie abschließen oder erledigen. Es<lb/>
gilt einzelne hervorragende Ereignisse oder Handlungen, einzelne besonders<lb/>
wichtige Momente in Schön's Leben herauszugreifen und zu beleuchten, wie<lb/>
grade das zu Gebote stehende Material es gestattet. Und wirkliche Förderung<lb/>
geschichtlichen Wissens wird ein derartiges Unternehmen dann allein bringen,<lb/>
wenn es «Mo ira, «ze Stückn) angefaßt, weder aus Haß noch ans Vergötterung<lb/>
Schön's seine Impulse empfängt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_57"> Wie im April 1875 ich meines Wissens der erste Historiker war, der<lb/>
seine Stimme gegen Schön's Glaubwürdigkeit als Memoirenschriftsteller er¬<lb/>
hoben, so will ich jetzt den Anfang mit einer objektiven rein historischen<lb/>
Discussion der staatsmännischen Leistungen des Oberpräsidenten machen. Ein<lb/>
zu meiner Kenntniß gelangtes Aktenstück giebt mir den willkommenen Anlaß<lb/>
zu dieser Arbeit, bei der ich selbst mich auf die Rolle des unparteiischen Refe¬<lb/>
renten beschränken darf. Ich denke, die verständigeren und maßvolleren Verehrer<lb/>
Schön's werden guten Grund haben, mir die hier folgenden Mittheilungen zu<lb/>
danken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_58"> Bekanntlich wurde Schön 1824 von Danzig nach Königsberg, als Ober¬<lb/>
präsident der damals erst vereinigten Provinzen Ost- und Wesipreußeu ver¬<lb/>
setzt. Die Zeit seines Waltens an der Spitze der gescnnmten Provinz ist es,<lb/>
auf welcher sein Ansehen bei den Zeitgenossen und sein Ruf bei der Nachwelt<lb/>
basirt. Er begann seine Thätigkeit mit einem höchst delikaten Auftrag, der<lb/>
einerseits zeigte ein wie großes Vertrauen man an maßgebender Stelle in ihn<lb/>
gesetzt, der andrerseits geeignet war, seine Umsicht, seine Menschenkenntniß und<lb/>
sein Verwaltungsgeschick auf eine entscheidende Probe zu stellen. Hören wir<lb/>
seine eigene Erzählung in der 1844 verfaßten Selbstbiographie (Aus den<lb/>
Papieren Schön's. III. 77&#x2014;80).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_59" next="#ID_60"> &#x201E;Bevor ich meinen Wohnsitz nach Königsberg verlegte, wurde ich nach<lb/>
Berlin berufen. Der Krieg von 18(X&gt;/7 hatte einen großen Theil von Ost-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Staatsmann näher ins Ange zu fassen. Nicht leicht ist die Aufgabe; wer sich an sie machen will, muß von vornherein darauf gefaßt sein, bei den extremen Parteien und den auf extremen Parteianschannngen beruhenden historischen Expektorationen anzustoßen; rechts und links muß er bereit sein Aerger zu er¬ regen und Haß zu entfachen. Eine der größten Schwierigkeiten besteht in der Herbeischaffung des Materinles; höchst lückenhaft und zufällig ist unsere Kenntniß der Dinge, die in erster Linie beachtenswerth sind. So müßte man den Ver¬ such, in diesem Augenblicke ein zusammenfassendes, irgendwie abschließendes Urtheil formuliren zu wollen, gradezu als unmöglich und vermessen bezeichnen. Es handelt sich jetzt nur darum, durch eingehende Erörterung von Einzeln- heiten zur Lösung der Frage beizutragen und vorzubereiten. Man kann gegen¬ wärtig nur die Discussion anregen, nicht sie abschließen oder erledigen. Es gilt einzelne hervorragende Ereignisse oder Handlungen, einzelne besonders wichtige Momente in Schön's Leben herauszugreifen und zu beleuchten, wie grade das zu Gebote stehende Material es gestattet. Und wirkliche Förderung geschichtlichen Wissens wird ein derartiges Unternehmen dann allein bringen, wenn es «Mo ira, «ze Stückn) angefaßt, weder aus Haß noch ans Vergötterung Schön's seine Impulse empfängt. Wie im April 1875 ich meines Wissens der erste Historiker war, der seine Stimme gegen Schön's Glaubwürdigkeit als Memoirenschriftsteller er¬ hoben, so will ich jetzt den Anfang mit einer objektiven rein historischen Discussion der staatsmännischen Leistungen des Oberpräsidenten machen. Ein zu meiner Kenntniß gelangtes Aktenstück giebt mir den willkommenen Anlaß zu dieser Arbeit, bei der ich selbst mich auf die Rolle des unparteiischen Refe¬ renten beschränken darf. Ich denke, die verständigeren und maßvolleren Verehrer Schön's werden guten Grund haben, mir die hier folgenden Mittheilungen zu danken. Bekanntlich wurde Schön 1824 von Danzig nach Königsberg, als Ober¬ präsident der damals erst vereinigten Provinzen Ost- und Wesipreußeu ver¬ setzt. Die Zeit seines Waltens an der Spitze der gescnnmten Provinz ist es, auf welcher sein Ansehen bei den Zeitgenossen und sein Ruf bei der Nachwelt basirt. Er begann seine Thätigkeit mit einem höchst delikaten Auftrag, der einerseits zeigte ein wie großes Vertrauen man an maßgebender Stelle in ihn gesetzt, der andrerseits geeignet war, seine Umsicht, seine Menschenkenntniß und sein Verwaltungsgeschick auf eine entscheidende Probe zu stellen. Hören wir seine eigene Erzählung in der 1844 verfaßten Selbstbiographie (Aus den Papieren Schön's. III. 77—80). „Bevor ich meinen Wohnsitz nach Königsberg verlegte, wurde ich nach Berlin berufen. Der Krieg von 18(X>/7 hatte einen großen Theil von Ost-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/23>, abgerufen am 14.05.2024.