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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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uns möglich, mit der anderen, welche die Sammlung beginnt und bei weitem
die umfangreichste ist, der Abhandlung: "Ueber Ursprung und Wesen der Re¬
ligion," uns einverstanden zu erküren. Leider müssen wir darauf verzichten,
eingehender über sie zu referiren und unsern Widerspruch gegen sie näher zu
begründen, weil dies nur unter der Voraussetzung geschehen könnte, daß uns
Raum zu einem selbständigen Aufsatz gegeben wäre. Wir beschränken uns
daher darauf, nur den allgemeinen Standpunkt Zeller's zu charakterisiren, und
den unsern entgegengesetzten in wenigen Strichen zu zeichnen. Was jenen
anlangt, so ist es wesentlich der in neuerer Zeit von Hume vertretene des
Naturalismus, den auch Waitz eingenommen hat, welchen Zeller hier in
scharfsinniger Weise von neuem zur Geltung zu bringen sucht. Dieser Ab¬
fassung des Ursprungs und der anfänglichen Gestalt der Religion ist es eigen¬
thümlich, die subjektive Urform dieser als Furcht und Hoffnung, also als Er¬
scheinungen und Bethätigungen des Egoismus, und als ihr Objekt das Ein¬
zelne in der Natur und zwar das Einzelne als solches zu bestimmen. Es
ist die von Schelling ausgegangene und neuerdings von Max Müller
und O. Pfleiderer fortgeführte religionsphilosophische und religionsgeschicht¬
liche Richtung, welche dem gegenüber auch schon in den ersten Aeußerungen
des religiösen Lebens einem idealen Faktor wirksam sieht. Von dieser Auf¬
fassung aus, welche im Wesentlichen auch die des Referenten ist, sei es diesem
gestattet, einige Sätze, deren nähere Erörterung er sich an diesem Orte versa¬
gen muß, der Anschauungsweise Zelters gegenüber zu stellen: 1) Es ist falsch,
die Klassifikation der Religion nach der Stufenfolge vom Niederen zum Höhe¬
ren auch als maßgebend für den geschichtlichen Entwickelungsgang derselben
zu betrachten. Der Fetischismns repräsentirt nicht den Ausgangspunkt der
Religion, sondern eine verkümmerte Gestalt derselben, ein Herabsinken von
einer höheren Stufe. In dem Fetischismus liegen keine Elemente des Fort¬
schritts, wie ja auch die Völker, die denselben festhalten, ihn von innen heraus
anch nicht überwunden haben. 2) So wahr es ist, daß wir einen ausgebil¬
deten Monotheismus nicht im Beginn des religiösen Lebens suchen dürfen, so
müssen wir doch auch schon hier eine solche Gottesanschauung voraussetzen,
daß von ihr aus einerseits der Uebergang zum wahren Monotheismus, an¬
dererseits der Niedergang zum Polytheismus und von da aus zum Fetischis¬
mus möglich war. Ein solcher mittlerer Standpunkt ist da vorhanden, wo
als Objekt der Religion ein Allgemeines, aber in der Form der Einzelheit ge¬
setzt ist. Die Spannung dieser beiden Momente kann dahin sühren, daß dia¬
lektisch ihr Gegensatz ausgeglichen, und im wahren Monotheismus für das All¬
gemeine die adäquate Gestalt gewonnen wird; kann aber auch dazu verleiten,
daß das Allgemeine in die Vielheit des Einzelnen sich auflöst. 3) Furcht und


uns möglich, mit der anderen, welche die Sammlung beginnt und bei weitem
die umfangreichste ist, der Abhandlung: „Ueber Ursprung und Wesen der Re¬
ligion," uns einverstanden zu erküren. Leider müssen wir darauf verzichten,
eingehender über sie zu referiren und unsern Widerspruch gegen sie näher zu
begründen, weil dies nur unter der Voraussetzung geschehen könnte, daß uns
Raum zu einem selbständigen Aufsatz gegeben wäre. Wir beschränken uns
daher darauf, nur den allgemeinen Standpunkt Zeller's zu charakterisiren, und
den unsern entgegengesetzten in wenigen Strichen zu zeichnen. Was jenen
anlangt, so ist es wesentlich der in neuerer Zeit von Hume vertretene des
Naturalismus, den auch Waitz eingenommen hat, welchen Zeller hier in
scharfsinniger Weise von neuem zur Geltung zu bringen sucht. Dieser Ab¬
fassung des Ursprungs und der anfänglichen Gestalt der Religion ist es eigen¬
thümlich, die subjektive Urform dieser als Furcht und Hoffnung, also als Er¬
scheinungen und Bethätigungen des Egoismus, und als ihr Objekt das Ein¬
zelne in der Natur und zwar das Einzelne als solches zu bestimmen. Es
ist die von Schelling ausgegangene und neuerdings von Max Müller
und O. Pfleiderer fortgeführte religionsphilosophische und religionsgeschicht¬
liche Richtung, welche dem gegenüber auch schon in den ersten Aeußerungen
des religiösen Lebens einem idealen Faktor wirksam sieht. Von dieser Auf¬
fassung aus, welche im Wesentlichen auch die des Referenten ist, sei es diesem
gestattet, einige Sätze, deren nähere Erörterung er sich an diesem Orte versa¬
gen muß, der Anschauungsweise Zelters gegenüber zu stellen: 1) Es ist falsch,
die Klassifikation der Religion nach der Stufenfolge vom Niederen zum Höhe¬
ren auch als maßgebend für den geschichtlichen Entwickelungsgang derselben
zu betrachten. Der Fetischismns repräsentirt nicht den Ausgangspunkt der
Religion, sondern eine verkümmerte Gestalt derselben, ein Herabsinken von
einer höheren Stufe. In dem Fetischismus liegen keine Elemente des Fort¬
schritts, wie ja auch die Völker, die denselben festhalten, ihn von innen heraus
anch nicht überwunden haben. 2) So wahr es ist, daß wir einen ausgebil¬
deten Monotheismus nicht im Beginn des religiösen Lebens suchen dürfen, so
müssen wir doch auch schon hier eine solche Gottesanschauung voraussetzen,
daß von ihr aus einerseits der Uebergang zum wahren Monotheismus, an¬
dererseits der Niedergang zum Polytheismus und von da aus zum Fetischis¬
mus möglich war. Ein solcher mittlerer Standpunkt ist da vorhanden, wo
als Objekt der Religion ein Allgemeines, aber in der Form der Einzelheit ge¬
setzt ist. Die Spannung dieser beiden Momente kann dahin sühren, daß dia¬
lektisch ihr Gegensatz ausgeglichen, und im wahren Monotheismus für das All¬
gemeine die adäquate Gestalt gewonnen wird; kann aber auch dazu verleiten,
daß das Allgemeine in die Vielheit des Einzelnen sich auflöst. 3) Furcht und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/230>, abgerufen am 15.05.2024.