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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sich endlich herunter zu kommen und knurrend und brummend zu öffnen.
Sie führte mich über eine zerfallene hölzerne Treppe auf einen eben so wenig
soliden bretternen Flur, wo ich eingeladen wurde, auf einem schlechten Teppich
Platz zu nehmen. Dort fand ich noch ein anderes altes Weib, und beide setz¬
ten nun ihre Beschäftigung fort, Baumwolle zu krempeln. Sie waren die
einzigen menschlichen Wesen, die ich in dem weiten Kloster (es trägt den Na¬
men des h. Demetrius), das wohl 50--60 Zellen enthalten mochte, vorfand,
denn von den 6 Mönchen, die hier wohnten, war keiner anwesend, und der
Abt war in die Ebene hinuntergeritten, um einen entlaufener Esel zu suchen.
Ich fand bald das Mittel, den alten Damen die Zunge zu lösen. Ich forderte
ein Glas Wasser und goß etwas Rum hinein, den ich bei mir hatte. Sie
fragten, was die gelbe Flüssigkeit, die sie angeblich nicht kannten, für ein Ge¬
tränk sei, und da ich ihnen nun reichlich davon einschenkte, und sie reichlich
davon tranken, wurden sie auf einmal sehr gesprächig und rührend liebens¬
würdig. Einen solchen Genuß hatten sie in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit
uicht erwartet. Ich wurde nun im ganzen Kloster bereitwillig herumgeführt, das
ehemals überaus reich und blühend gewesen sein muß. Aber Treppen, Korri¬
dore, Wände, Fenster und Thüren fand ich überall im tiefsten Verfall. An
vielen Stellen fehlten die Planken des Fußbodens, oder wölbten sich wie losge¬
schnellte Federn in weitem Bogen zu dunkler Tiefe, an anderen krachten und
wankten sie, daß man sich fürchten mußte, hinabzustürzen, wenn man sie
beträte. Ueberall lag handhoch uralter Staub, und fehlte nur da, wo der
durch mangelhafte Bedachung hereingeflossene Regen ihn weggespült. Das
Ganze schien mir wie ein behextes Schloß, zu dem die mich begleitenden roth-
äugigen alten Weiber als Hexen ganz gut paßten. Dieser Zustand des Ver¬
falles machte einen so unheimlichen Eindruck auf mich, daß meine Lust schwand,
hier länger zu verweilen, trotz der unbeschreiblich schönen Aussicht, die sich nach
allen vier Weltgegenden aus den Fenstern bot. Gegen Osten schweifte der Blick
über das weite Meer bis zu den blauen Höhen von Chalcidiae und dem Berge
Athos, auf den anderen Seiten fesselte ihn das tiefe Dunkel des Lindenwal¬
des mit seinen wundervollen Baumgruppen. Nur die Ringmauern, welche nach
griechischer Weise zugleich die Mauern des Klostergebäudes sind, und die ur¬
alte Kirche in der Mitte des Klosterhofes, standen noch wohl erhalten. Die
Kirche ist interessant durch ihren Reichthum an alten byzantinischen Mosaik¬
bildern, welche mit ihrem Goldgrunde wie gestern fertig geworden prangen.
Das Bild in der Mitte der Kuppel ist ein kolossaler Christus, von dessen
Barte an einer langen Kette ein Kronleuchter herabhängt. Die alten Weiber
wiesen auf dies Bild und sagten? "Wer ist das?" - Als ich antwortete: "Es
ist der Herr Christus" erwiderten sie: "Es ist Gott!" --


Grenzboten I. 1878. 29

sich endlich herunter zu kommen und knurrend und brummend zu öffnen.
Sie führte mich über eine zerfallene hölzerne Treppe auf einen eben so wenig
soliden bretternen Flur, wo ich eingeladen wurde, auf einem schlechten Teppich
Platz zu nehmen. Dort fand ich noch ein anderes altes Weib, und beide setz¬
ten nun ihre Beschäftigung fort, Baumwolle zu krempeln. Sie waren die
einzigen menschlichen Wesen, die ich in dem weiten Kloster (es trägt den Na¬
men des h. Demetrius), das wohl 50—60 Zellen enthalten mochte, vorfand,
denn von den 6 Mönchen, die hier wohnten, war keiner anwesend, und der
Abt war in die Ebene hinuntergeritten, um einen entlaufener Esel zu suchen.
Ich fand bald das Mittel, den alten Damen die Zunge zu lösen. Ich forderte
ein Glas Wasser und goß etwas Rum hinein, den ich bei mir hatte. Sie
fragten, was die gelbe Flüssigkeit, die sie angeblich nicht kannten, für ein Ge¬
tränk sei, und da ich ihnen nun reichlich davon einschenkte, und sie reichlich
davon tranken, wurden sie auf einmal sehr gesprächig und rührend liebens¬
würdig. Einen solchen Genuß hatten sie in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit
uicht erwartet. Ich wurde nun im ganzen Kloster bereitwillig herumgeführt, das
ehemals überaus reich und blühend gewesen sein muß. Aber Treppen, Korri¬
dore, Wände, Fenster und Thüren fand ich überall im tiefsten Verfall. An
vielen Stellen fehlten die Planken des Fußbodens, oder wölbten sich wie losge¬
schnellte Federn in weitem Bogen zu dunkler Tiefe, an anderen krachten und
wankten sie, daß man sich fürchten mußte, hinabzustürzen, wenn man sie
beträte. Ueberall lag handhoch uralter Staub, und fehlte nur da, wo der
durch mangelhafte Bedachung hereingeflossene Regen ihn weggespült. Das
Ganze schien mir wie ein behextes Schloß, zu dem die mich begleitenden roth-
äugigen alten Weiber als Hexen ganz gut paßten. Dieser Zustand des Ver¬
falles machte einen so unheimlichen Eindruck auf mich, daß meine Lust schwand,
hier länger zu verweilen, trotz der unbeschreiblich schönen Aussicht, die sich nach
allen vier Weltgegenden aus den Fenstern bot. Gegen Osten schweifte der Blick
über das weite Meer bis zu den blauen Höhen von Chalcidiae und dem Berge
Athos, auf den anderen Seiten fesselte ihn das tiefe Dunkel des Lindenwal¬
des mit seinen wundervollen Baumgruppen. Nur die Ringmauern, welche nach
griechischer Weise zugleich die Mauern des Klostergebäudes sind, und die ur¬
alte Kirche in der Mitte des Klosterhofes, standen noch wohl erhalten. Die
Kirche ist interessant durch ihren Reichthum an alten byzantinischen Mosaik¬
bildern, welche mit ihrem Goldgrunde wie gestern fertig geworden prangen.
Das Bild in der Mitte der Kuppel ist ein kolossaler Christus, von dessen
Barte an einer langen Kette ein Kronleuchter herabhängt. Die alten Weiber
wiesen auf dies Bild und sagten? „Wer ist das?" - Als ich antwortete: „Es
ist der Herr Christus" erwiderten sie: „Es ist Gott!" —


Grenzboten I. 1878. 29
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[0233] sich endlich herunter zu kommen und knurrend und brummend zu öffnen. Sie führte mich über eine zerfallene hölzerne Treppe auf einen eben so wenig soliden bretternen Flur, wo ich eingeladen wurde, auf einem schlechten Teppich Platz zu nehmen. Dort fand ich noch ein anderes altes Weib, und beide setz¬ ten nun ihre Beschäftigung fort, Baumwolle zu krempeln. Sie waren die einzigen menschlichen Wesen, die ich in dem weiten Kloster (es trägt den Na¬ men des h. Demetrius), das wohl 50—60 Zellen enthalten mochte, vorfand, denn von den 6 Mönchen, die hier wohnten, war keiner anwesend, und der Abt war in die Ebene hinuntergeritten, um einen entlaufener Esel zu suchen. Ich fand bald das Mittel, den alten Damen die Zunge zu lösen. Ich forderte ein Glas Wasser und goß etwas Rum hinein, den ich bei mir hatte. Sie fragten, was die gelbe Flüssigkeit, die sie angeblich nicht kannten, für ein Ge¬ tränk sei, und da ich ihnen nun reichlich davon einschenkte, und sie reichlich davon tranken, wurden sie auf einmal sehr gesprächig und rührend liebens¬ würdig. Einen solchen Genuß hatten sie in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit uicht erwartet. Ich wurde nun im ganzen Kloster bereitwillig herumgeführt, das ehemals überaus reich und blühend gewesen sein muß. Aber Treppen, Korri¬ dore, Wände, Fenster und Thüren fand ich überall im tiefsten Verfall. An vielen Stellen fehlten die Planken des Fußbodens, oder wölbten sich wie losge¬ schnellte Federn in weitem Bogen zu dunkler Tiefe, an anderen krachten und wankten sie, daß man sich fürchten mußte, hinabzustürzen, wenn man sie beträte. Ueberall lag handhoch uralter Staub, und fehlte nur da, wo der durch mangelhafte Bedachung hereingeflossene Regen ihn weggespült. Das Ganze schien mir wie ein behextes Schloß, zu dem die mich begleitenden roth- äugigen alten Weiber als Hexen ganz gut paßten. Dieser Zustand des Ver¬ falles machte einen so unheimlichen Eindruck auf mich, daß meine Lust schwand, hier länger zu verweilen, trotz der unbeschreiblich schönen Aussicht, die sich nach allen vier Weltgegenden aus den Fenstern bot. Gegen Osten schweifte der Blick über das weite Meer bis zu den blauen Höhen von Chalcidiae und dem Berge Athos, auf den anderen Seiten fesselte ihn das tiefe Dunkel des Lindenwal¬ des mit seinen wundervollen Baumgruppen. Nur die Ringmauern, welche nach griechischer Weise zugleich die Mauern des Klostergebäudes sind, und die ur¬ alte Kirche in der Mitte des Klosterhofes, standen noch wohl erhalten. Die Kirche ist interessant durch ihren Reichthum an alten byzantinischen Mosaik¬ bildern, welche mit ihrem Goldgrunde wie gestern fertig geworden prangen. Das Bild in der Mitte der Kuppel ist ein kolossaler Christus, von dessen Barte an einer langen Kette ein Kronleuchter herabhängt. Die alten Weiber wiesen auf dies Bild und sagten? „Wer ist das?" - Als ich antwortete: „Es ist der Herr Christus" erwiderten sie: „Es ist Gott!" — Grenzboten I. 1878. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/233>, abgerufen am 29.05.2024.