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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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beim Abstieg zu bringen übernommen, sehr, sehr weit, und wegen Steilheit
der Gebirge für Pferde völlig ungangbar sein werde. Er brach nun in dumpfe
Wehklagen aus, Gott weiß welche Schreckbilder im Geiste vor Augen. "Zehn
Tage" murmelte er, "würden wohl nicht hinreichen, in Katrina anzukommen,
wenn wir überhaupt diesen Ort jemals erreichen sollten." Ich lachte ihn
aus, fragte noch andere der Vorübergehenden, und nun stellte sich heraus, daß
der Ort nur drei kleine Tagereisen entfernt sei.

Ein stattlicher Mann, der sich in ein Gespräch mit mir einließ und sich
Zisi Papa Palüospu nannte, stellte mir dringend vor, daß ich doch viel besser
als hier im Freien, im Dorfe die Nacht zubringen würde, wofür er mir mit
der bereitwilligsten Gastfreundschaft sein Haus anbot. Er versprach, sobald
seine Geschäfte in den ferner liegenden Weinbergen beendet seien, mich abzuholen.
Dieser freundlichen Einladung konnte ich trotz meiner Vorliebe für die freie
Natur nicht widerstehen, und nahm das Anerbieten an. Nach Sonnenuntergang
zogen singende Mädchen, mit ihren Wasserkrügen und Arbeitsgerät!) auf dem
Rücken, bei uns vorbei, und gaben dem Saccharos Gelegenheit zu nicht sehr
schmeichelhaften Bemerkungen über ihre Schönheit. "Hier oben sind die Weiber
schwarz", sagte er, "und die jungen Mädchen sehen wie alte Frauen aus,
unten in Larissa sind sie weiß, und die jungen haben auch ein jugendliches
Ansehn." Er erzählte mir bei dieser Gelegenheit auch mit vollständiger Gleich¬
gültigkeit, daß er verheirathet gewesen, und daß seine Frau gestorben sei, was
doch nicht lange her sein konnte, da er nicht viel über 20 Jahr alt war.

Nun kam auch Zisi Palüospu zurück, und wir begaben uns nach dem
Dorfe. Dasselbe ist von ziemlich bedeutender Ausdehnung, und liegt, von
Bäumen und Gärten durchzogen, sehr romantisch mit seinen hohen, phantastisch
gestalteten hölzernen Häusern, zwischen theils waldigen, theils angebauten
Hügeln. Es muß früher in einem sehr blühenden Zustande gewesen sein, da¬
für sprechen die vielen, ursprünglich sehr gut und zierlich gebauten Häuser mit
mehreren Stockwerken. Jetzt aber fand ich! sie meistens in einem trau¬
rigen Zustande des Verfalles und der Zerstörung, so baufällig und schief,
daß man sich kaum getraute, eine Treppe in ihnen zu besteigen. Viele waren
ganz verlassen, und bei nur stückweise noch vorhandenen Dächern den zerstören¬
den Einflüssen der Witterung schutzlos preisgegeben. Von dem reichlich überall
vorhandenen gewesenen Schmuck zierlicher hölzerner Gitter, welche eiserne nach¬
ahmten, fanden sich nur noch kümmerliche Ueberreste. Die Bretter, welche zur
Bekleidung der Wände dienten, waren häufig abgesprungen, und nun in weitem
Bogen über Straße oder Garten winkend, -- Alles durchlöchert, verwittert,
dem Einsturz drohend.

Das Haus meines Wirthes gehörte zu den noch wohl erhaltenen, und


beim Abstieg zu bringen übernommen, sehr, sehr weit, und wegen Steilheit
der Gebirge für Pferde völlig ungangbar sein werde. Er brach nun in dumpfe
Wehklagen aus, Gott weiß welche Schreckbilder im Geiste vor Augen. „Zehn
Tage" murmelte er, „würden wohl nicht hinreichen, in Katrina anzukommen,
wenn wir überhaupt diesen Ort jemals erreichen sollten." Ich lachte ihn
aus, fragte noch andere der Vorübergehenden, und nun stellte sich heraus, daß
der Ort nur drei kleine Tagereisen entfernt sei.

Ein stattlicher Mann, der sich in ein Gespräch mit mir einließ und sich
Zisi Papa Palüospu nannte, stellte mir dringend vor, daß ich doch viel besser
als hier im Freien, im Dorfe die Nacht zubringen würde, wofür er mir mit
der bereitwilligsten Gastfreundschaft sein Haus anbot. Er versprach, sobald
seine Geschäfte in den ferner liegenden Weinbergen beendet seien, mich abzuholen.
Dieser freundlichen Einladung konnte ich trotz meiner Vorliebe für die freie
Natur nicht widerstehen, und nahm das Anerbieten an. Nach Sonnenuntergang
zogen singende Mädchen, mit ihren Wasserkrügen und Arbeitsgerät!) auf dem
Rücken, bei uns vorbei, und gaben dem Saccharos Gelegenheit zu nicht sehr
schmeichelhaften Bemerkungen über ihre Schönheit. „Hier oben sind die Weiber
schwarz", sagte er, „und die jungen Mädchen sehen wie alte Frauen aus,
unten in Larissa sind sie weiß, und die jungen haben auch ein jugendliches
Ansehn." Er erzählte mir bei dieser Gelegenheit auch mit vollständiger Gleich¬
gültigkeit, daß er verheirathet gewesen, und daß seine Frau gestorben sei, was
doch nicht lange her sein konnte, da er nicht viel über 20 Jahr alt war.

Nun kam auch Zisi Palüospu zurück, und wir begaben uns nach dem
Dorfe. Dasselbe ist von ziemlich bedeutender Ausdehnung, und liegt, von
Bäumen und Gärten durchzogen, sehr romantisch mit seinen hohen, phantastisch
gestalteten hölzernen Häusern, zwischen theils waldigen, theils angebauten
Hügeln. Es muß früher in einem sehr blühenden Zustande gewesen sein, da¬
für sprechen die vielen, ursprünglich sehr gut und zierlich gebauten Häuser mit
mehreren Stockwerken. Jetzt aber fand ich! sie meistens in einem trau¬
rigen Zustande des Verfalles und der Zerstörung, so baufällig und schief,
daß man sich kaum getraute, eine Treppe in ihnen zu besteigen. Viele waren
ganz verlassen, und bei nur stückweise noch vorhandenen Dächern den zerstören¬
den Einflüssen der Witterung schutzlos preisgegeben. Von dem reichlich überall
vorhandenen gewesenen Schmuck zierlicher hölzerner Gitter, welche eiserne nach¬
ahmten, fanden sich nur noch kümmerliche Ueberreste. Die Bretter, welche zur
Bekleidung der Wände dienten, waren häufig abgesprungen, und nun in weitem
Bogen über Straße oder Garten winkend, — Alles durchlöchert, verwittert,
dem Einsturz drohend.

Das Haus meines Wirthes gehörte zu den noch wohl erhaltenen, und


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[0240] beim Abstieg zu bringen übernommen, sehr, sehr weit, und wegen Steilheit der Gebirge für Pferde völlig ungangbar sein werde. Er brach nun in dumpfe Wehklagen aus, Gott weiß welche Schreckbilder im Geiste vor Augen. „Zehn Tage" murmelte er, „würden wohl nicht hinreichen, in Katrina anzukommen, wenn wir überhaupt diesen Ort jemals erreichen sollten." Ich lachte ihn aus, fragte noch andere der Vorübergehenden, und nun stellte sich heraus, daß der Ort nur drei kleine Tagereisen entfernt sei. Ein stattlicher Mann, der sich in ein Gespräch mit mir einließ und sich Zisi Papa Palüospu nannte, stellte mir dringend vor, daß ich doch viel besser als hier im Freien, im Dorfe die Nacht zubringen würde, wofür er mir mit der bereitwilligsten Gastfreundschaft sein Haus anbot. Er versprach, sobald seine Geschäfte in den ferner liegenden Weinbergen beendet seien, mich abzuholen. Dieser freundlichen Einladung konnte ich trotz meiner Vorliebe für die freie Natur nicht widerstehen, und nahm das Anerbieten an. Nach Sonnenuntergang zogen singende Mädchen, mit ihren Wasserkrügen und Arbeitsgerät!) auf dem Rücken, bei uns vorbei, und gaben dem Saccharos Gelegenheit zu nicht sehr schmeichelhaften Bemerkungen über ihre Schönheit. „Hier oben sind die Weiber schwarz", sagte er, „und die jungen Mädchen sehen wie alte Frauen aus, unten in Larissa sind sie weiß, und die jungen haben auch ein jugendliches Ansehn." Er erzählte mir bei dieser Gelegenheit auch mit vollständiger Gleich¬ gültigkeit, daß er verheirathet gewesen, und daß seine Frau gestorben sei, was doch nicht lange her sein konnte, da er nicht viel über 20 Jahr alt war. Nun kam auch Zisi Palüospu zurück, und wir begaben uns nach dem Dorfe. Dasselbe ist von ziemlich bedeutender Ausdehnung, und liegt, von Bäumen und Gärten durchzogen, sehr romantisch mit seinen hohen, phantastisch gestalteten hölzernen Häusern, zwischen theils waldigen, theils angebauten Hügeln. Es muß früher in einem sehr blühenden Zustande gewesen sein, da¬ für sprechen die vielen, ursprünglich sehr gut und zierlich gebauten Häuser mit mehreren Stockwerken. Jetzt aber fand ich! sie meistens in einem trau¬ rigen Zustande des Verfalles und der Zerstörung, so baufällig und schief, daß man sich kaum getraute, eine Treppe in ihnen zu besteigen. Viele waren ganz verlassen, und bei nur stückweise noch vorhandenen Dächern den zerstören¬ den Einflüssen der Witterung schutzlos preisgegeben. Von dem reichlich überall vorhandenen gewesenen Schmuck zierlicher hölzerner Gitter, welche eiserne nach¬ ahmten, fanden sich nur noch kümmerliche Ueberreste. Die Bretter, welche zur Bekleidung der Wände dienten, waren häufig abgesprungen, und nun in weitem Bogen über Straße oder Garten winkend, — Alles durchlöchert, verwittert, dem Einsturz drohend. Das Haus meines Wirthes gehörte zu den noch wohl erhaltenen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/240>, abgerufen am 29.05.2024.