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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ich wurde mit der zuvorkommendsten Gastfreundschaft aufgenommen. Auf
meinen Wunsch blieben wir, ohne uns in die inneren Gemächer zu vertiefen,
auf einer geräumigen Terrasse vor dem Hanse, die nur mit einem aus vier
schlanken Pfeilern ruhenden Regendache versehen, in alle uns umgebende Natur-
schönheiten freien Einblick gestattete. Als ich kaum Platz genommen, erschien
eine zur Familie gehörige alte Frau, sehr groß und sehr lebhaft, setzte sich zu
mir, und fing an ihrer Beredtscimkeit freien Lauf zu lasten. Nachdem sie lange
Zeit hindurch alles Mögliche geschwätzt hatte, stand sie rasch auf, wünschte mir
gute Nacht und ging fort. Ich sah sie nicht wieder, ebensowenig wie ich von
den anderen Frauenzimmern der Familie Jemanden zu sehen bekam -- es mußte
wohl zur Etiquette gehören, daß sie nicht erschienen.

Nach dem Abendessen, das ich mit meinem liebenswürdigen Wirth in der
erwähnten Vorhalle des Hauses verspeiste, fanden sich einige Nachbarn ein,
und wir unterhielten uns noch lauge Zeit miteinander. Man kam sehr bald
auf das alte Thema, sich über die Dirken zu beklagen. "Dürfen wir hoffen",
sprachen fie, "von diesem abscheulichen Joche befreit zu werden? Wann werden
jene (d. h. die Griechen des Königreichs) kommen und uns nehmen?" -- Sie
drangen fortwährend in mich, ihnen darüber etwas zu sagen, denn sonderbarer
Weise konnten sie sich nicht der Idee erwehren, daß ich darüber Auskunft geben
könne, verlangten sogar förmlich, daß ich aussprechen solle, es werde geschehen
und zwar bald goscheheu, daß sie frei würden. Sie beklagten sich besonders
über die Größe und Willkürlichkeit der Abgaben. Ein Armer bezahle 500
Piaster (75 M.) ein Reicher 3000 (450 M), ja es sei schlimmer jetzt als zur
Zeit der Janitscharen. Die Klephthen hätten es vorgezogen, anstatt Steuern
zu bezahlen, sich diese von Andern entrichten zu lassen. -- Auf mein Be¬
fragen wurde mir versichert, daß die Gegend des Olymp jetzt ziemlich rein
von Räubern (Klephtheu) sei, nachdem man den überaus kühnen und gefähr-
lichen Lakos getödtet, der hier als Häuptling gehaust. "Die Türken zogen
aus", sagten sie, "und kämpften mit ihm und seiner Bande, erschlugen Viele
von dieser, und verwundeten den Lakos: ein Schuß traf ihn in den Schenkel,
ein anderer ins Gesicht, der ihm Zähne und Kinnlade zerschmetterte. Dennoch
entfloh er und man wurde seiner erst am folgenden Tage habhaft, nachdem
man, seiner Blutspur folgend, ihn wie ein Stück Wild gejagt hatte. Er wurde
nun nach Larissci gebracht, und dort ohne weitere Umstände sogleich auf dem
Fischmarkt an einem Bückerladen aufgehängt. Die Uebrigen wurden gegen den
Fluß (Peneus) gedrängt und größtentheils gefangen oder niedergemacht -- die
Verwundeten erschossen. Ein kleiner Theil nur von ihnen -- unter diesen
auch ein Schwager des Lakos -- schlug sich nach Zeitnn (im Königreich
Griechenland) durch, wo die Klephthen Haus und Weiber haben, und als ganz


Grenzboten I. 1878. 30

ich wurde mit der zuvorkommendsten Gastfreundschaft aufgenommen. Auf
meinen Wunsch blieben wir, ohne uns in die inneren Gemächer zu vertiefen,
auf einer geräumigen Terrasse vor dem Hanse, die nur mit einem aus vier
schlanken Pfeilern ruhenden Regendache versehen, in alle uns umgebende Natur-
schönheiten freien Einblick gestattete. Als ich kaum Platz genommen, erschien
eine zur Familie gehörige alte Frau, sehr groß und sehr lebhaft, setzte sich zu
mir, und fing an ihrer Beredtscimkeit freien Lauf zu lasten. Nachdem sie lange
Zeit hindurch alles Mögliche geschwätzt hatte, stand sie rasch auf, wünschte mir
gute Nacht und ging fort. Ich sah sie nicht wieder, ebensowenig wie ich von
den anderen Frauenzimmern der Familie Jemanden zu sehen bekam — es mußte
wohl zur Etiquette gehören, daß sie nicht erschienen.

Nach dem Abendessen, das ich mit meinem liebenswürdigen Wirth in der
erwähnten Vorhalle des Hauses verspeiste, fanden sich einige Nachbarn ein,
und wir unterhielten uns noch lauge Zeit miteinander. Man kam sehr bald
auf das alte Thema, sich über die Dirken zu beklagen. „Dürfen wir hoffen",
sprachen fie, „von diesem abscheulichen Joche befreit zu werden? Wann werden
jene (d. h. die Griechen des Königreichs) kommen und uns nehmen?" — Sie
drangen fortwährend in mich, ihnen darüber etwas zu sagen, denn sonderbarer
Weise konnten sie sich nicht der Idee erwehren, daß ich darüber Auskunft geben
könne, verlangten sogar förmlich, daß ich aussprechen solle, es werde geschehen
und zwar bald goscheheu, daß sie frei würden. Sie beklagten sich besonders
über die Größe und Willkürlichkeit der Abgaben. Ein Armer bezahle 500
Piaster (75 M.) ein Reicher 3000 (450 M), ja es sei schlimmer jetzt als zur
Zeit der Janitscharen. Die Klephthen hätten es vorgezogen, anstatt Steuern
zu bezahlen, sich diese von Andern entrichten zu lassen. — Auf mein Be¬
fragen wurde mir versichert, daß die Gegend des Olymp jetzt ziemlich rein
von Räubern (Klephtheu) sei, nachdem man den überaus kühnen und gefähr-
lichen Lakos getödtet, der hier als Häuptling gehaust. „Die Türken zogen
aus", sagten sie, „und kämpften mit ihm und seiner Bande, erschlugen Viele
von dieser, und verwundeten den Lakos: ein Schuß traf ihn in den Schenkel,
ein anderer ins Gesicht, der ihm Zähne und Kinnlade zerschmetterte. Dennoch
entfloh er und man wurde seiner erst am folgenden Tage habhaft, nachdem
man, seiner Blutspur folgend, ihn wie ein Stück Wild gejagt hatte. Er wurde
nun nach Larissci gebracht, und dort ohne weitere Umstände sogleich auf dem
Fischmarkt an einem Bückerladen aufgehängt. Die Uebrigen wurden gegen den
Fluß (Peneus) gedrängt und größtentheils gefangen oder niedergemacht — die
Verwundeten erschossen. Ein kleiner Theil nur von ihnen — unter diesen
auch ein Schwager des Lakos — schlug sich nach Zeitnn (im Königreich
Griechenland) durch, wo die Klephthen Haus und Weiber haben, und als ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/241>, abgerufen am 15.05.2024.