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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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flächlich bekannten Menschen, dein er selbst wahrscheinlich nicht 10 Mark in
baarem Gelde borgen würoe, einen Bürgschciftsschein für die öffentliche Biblio¬
thek ans, auf Grund dessen dem Betreffenden vielleicht für 200 Mark Bücher
geliehen werden. Selbst das kommt vor, und gar nicht selten, daß gedanken¬
loser Weise Kautionsformnlare, zwar vom Kaventen unterzeichnet, aber ohne
daß der Name dessen, für den die Bürgschaft übernommen wird, eingetragen
wäre, also als vollständiges Vlanquet auf der Bibliothek präsentirt werden.
Ginge ein solcher Schein verloren, so könnte der erste Beste, der ihn findet,
seinen Namen hineinsetzen, eine Anzahl Bücher daraus aus der Bibliothek ent¬
nehmen und zum nächsten Pfandleiher tragen.

Mit derselben Nachlässigkeit wird bei der Ausfüllung der Empfangsbe¬
scheinigungen ans der Bibliothek selbst verfahren. Wer über eine ihm geliehene
Geldsumme quittirt, der wird gewiß die Summe geuau auf Heller und Pfennig
angeben. Wer über ein ihm geliehenes Buch quittirt, der glaubt, sich die
oberflächlichste Bezeichnung gestatten zu dürfen. Die Wenigsten, selbst solche
manchmal nicht, die schon Jahre lang Bibliotheken benutzt haben, nehmen sich
die Mühe oder verstehen es, einen richtigen Büchertitel aufzuschreiben. Fest"
stehende bibliographische Sitte ist es, den Namen des Verfassers dem Titel
des Buches voranzustellen, also: "K. Falkenstein, Geschichte der Buchdrucker-
kunst. Leipzig, 1840." Ist der Entleiher dermaßen Neuling im Bücherwesen,
daß er diesen Brauch nicht kennt, folglich das Titelblatt des Buches gewissen¬
haft auf seiner Empfangsbescheinigung kopirt und schreibt: "Geschichte der Buch-
druckerkunst in ihrer Entstehung und Ausbildung von Dr. Karl Falkenstein.
Leipzig, 1840", so erschwert das zwar ein wenig den Ueberblick bei der Buchung
des Zettels, aber es ist kein Unglück. Gewöhnlich haben jedoch die Entleiher
davon lauten hören, daß ein Name voranstehen soll, ans manchen Bibliotheken
sind wohl auch die Rezepisse rubrizirt, und die erste Rubrik verlangt den
Namen. Da werden denn nun, wenn auf dem Titelblatte mehrere Namen
stehen, auf deu Entleihscheinen Büchertitel fertig, die den Bibliothekar zur Ver¬
zweiflung bringen können. Der eine schreibt: "Donner, Sophokles." Was
soll das nun sein? Hat Donner ein Buch über Sophokles geschrieben? Nein.
Wohl aber hat er den Sophokles übersetzt. Also muß der Titel lauten:
"Sophokles, von Donner" oder noch besser: "Sophokles, deutsch von Donner."
"Röscher, Thukydides" -- das hätte Sinn; denn Röscher hat ein Leben des
Thukydides geschrieben. Ein zweiter zeichnet auf: "Löper, Goethe's Faust."
Wiederum falsch, deun Löper hat kein Buch über den Goethischen "Faust"
geschrieben, sondern er hat eine Ausgabe der Dichtung besorgt. Folglich muß
es heißen: "Goethe's Faust, von Löper." "Düntzer, Schiller's Wallenstein"
-- das kann man gelten lassen, denn Düntzer hat Erläuterungen zum "Wallen-


flächlich bekannten Menschen, dein er selbst wahrscheinlich nicht 10 Mark in
baarem Gelde borgen würoe, einen Bürgschciftsschein für die öffentliche Biblio¬
thek ans, auf Grund dessen dem Betreffenden vielleicht für 200 Mark Bücher
geliehen werden. Selbst das kommt vor, und gar nicht selten, daß gedanken¬
loser Weise Kautionsformnlare, zwar vom Kaventen unterzeichnet, aber ohne
daß der Name dessen, für den die Bürgschaft übernommen wird, eingetragen
wäre, also als vollständiges Vlanquet auf der Bibliothek präsentirt werden.
Ginge ein solcher Schein verloren, so könnte der erste Beste, der ihn findet,
seinen Namen hineinsetzen, eine Anzahl Bücher daraus aus der Bibliothek ent¬
nehmen und zum nächsten Pfandleiher tragen.

Mit derselben Nachlässigkeit wird bei der Ausfüllung der Empfangsbe¬
scheinigungen ans der Bibliothek selbst verfahren. Wer über eine ihm geliehene
Geldsumme quittirt, der wird gewiß die Summe geuau auf Heller und Pfennig
angeben. Wer über ein ihm geliehenes Buch quittirt, der glaubt, sich die
oberflächlichste Bezeichnung gestatten zu dürfen. Die Wenigsten, selbst solche
manchmal nicht, die schon Jahre lang Bibliotheken benutzt haben, nehmen sich
die Mühe oder verstehen es, einen richtigen Büchertitel aufzuschreiben. Fest«
stehende bibliographische Sitte ist es, den Namen des Verfassers dem Titel
des Buches voranzustellen, also: „K. Falkenstein, Geschichte der Buchdrucker-
kunst. Leipzig, 1840." Ist der Entleiher dermaßen Neuling im Bücherwesen,
daß er diesen Brauch nicht kennt, folglich das Titelblatt des Buches gewissen¬
haft auf seiner Empfangsbescheinigung kopirt und schreibt: „Geschichte der Buch-
druckerkunst in ihrer Entstehung und Ausbildung von Dr. Karl Falkenstein.
Leipzig, 1840", so erschwert das zwar ein wenig den Ueberblick bei der Buchung
des Zettels, aber es ist kein Unglück. Gewöhnlich haben jedoch die Entleiher
davon lauten hören, daß ein Name voranstehen soll, ans manchen Bibliotheken
sind wohl auch die Rezepisse rubrizirt, und die erste Rubrik verlangt den
Namen. Da werden denn nun, wenn auf dem Titelblatte mehrere Namen
stehen, auf deu Entleihscheinen Büchertitel fertig, die den Bibliothekar zur Ver¬
zweiflung bringen können. Der eine schreibt: „Donner, Sophokles." Was
soll das nun sein? Hat Donner ein Buch über Sophokles geschrieben? Nein.
Wohl aber hat er den Sophokles übersetzt. Also muß der Titel lauten:
„Sophokles, von Donner" oder noch besser: „Sophokles, deutsch von Donner."
„Röscher, Thukydides" — das hätte Sinn; denn Röscher hat ein Leben des
Thukydides geschrieben. Ein zweiter zeichnet auf: „Löper, Goethe's Faust."
Wiederum falsch, deun Löper hat kein Buch über den Goethischen „Faust"
geschrieben, sondern er hat eine Ausgabe der Dichtung besorgt. Folglich muß
es heißen: „Goethe's Faust, von Löper." „Düntzer, Schiller's Wallenstein"
— das kann man gelten lassen, denn Düntzer hat Erläuterungen zum „Wallen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/261>, abgerufen am 30.05.2024.