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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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holte die Pferde und trieb zum Aufbruch, und die schöne Nacht hatte ein Ende.
Theocharis begleitete uns noch eine Stunde weit bis auf die große Straße nach
Thessalonich, indem er manche schätzbare Weisung über den ferneren Weg mitgab.

Von nun an zog ich durch ein ganz ebenes, üppiges Wiesenland, das
meilenweit bis ans Meer unter den östlichen Abhängen des Olymp sich aus¬
breitet. Stellenweise fand ich große Strecken von hohem Gebüsch, ans allerlei
dornigen Sträuchern und stachlichen Schlingpflanzen so dicht verwachsen, daß
es fast undurchdringlich genannt werden konnte. Ich erfuhr das, als ich, um
einen Fasan, den ich geschossen, zu suchen, mich unvorsichtig hineinbegeben,
und nach der anderen Seite hin den Ausweg hatte erzwingen wollen. Zu
diesem Zwecke mußte ich mich förmlich durch das Gebüsch Hindurchhauen, was
mir mittelst eines langen scharfen türkischen Messers, das ich bei mir führte,
endlich glückte: aber ich brauchte wohl eine Stunde, um ans diese Weise einen
Weg von fünfzig Schritten zurückzulegen. Durch die weite Einöde dieser
Büsche, welche reich sind an allerlei Wild, Hirschen, Rehen und namentlich
Fasanen, führt ein Labyrinth von kleinen Wegen, in welchem ich nur mit
großer Aufmerksamkeit dem Schicksal entging, mich zu verirren, als ich später
von der Seeküste aus mich einmal der Jagd wegen vertiefte. Mitunter erblickt
man darin Gruppen hochwipflicher Silberpappeln, welche genau so aussehen,
als sei ein Dorf in der Nähe. Doch wenn man diese Bäume erreicht hat,
findet man in ihrem Schatten nichts als einen einsamen freien Platz unter
hohen Laubgewölben, ohne alle Spuren menschlicher Ansiedelung. -- Während
meines heutigen Weges durch die Wiesenebenen fiel mir die ungeheure Menge
von Erdbeeren ans, die dort eben reiften, und zuweilen einem rothen Tuche
glichen, das den Boden weithin bedeckte. Sie waren überaus gewürzig und
hatten fast die Größe von Gartenerdbeeren. Auch in dem Walde wuchsen sie
sehr zahlreich, desgleichen ans den Ostabhängen des Olympgebirges.

Als ich in der Nähe des Meeres die Skala des h. Theodoros erreicht,
wollte Saccharos durchaus hier mit seinen Pferden zurückbleiben, und log mir
und den Leuten dort, von denen er Beistand erwartete, frech ins Gesicht, bis
hierher gehe sein Kontrakt und nicht weiter. Ich war aber ganz sicher, daß
ich ihn bis Katrin" gedungen, einem großen Dorfe, von dessen Landungsplatz
fast täglich Schiffe nach Thessalonich gehen, während ich am h. Theodoros
vielleicht Wochen lang auf Ueberfahrt hätte warten können. Auch war hier
nichts als ein einsamer Chan, vor dem jetzt eine Anzahl sehr verdächtig aus-
sehender Gesellen lärmend zechte. Diese waren es, denen er seine Einwendun¬
gen gegen mein Weiterreiten vortrug: indeß ohne vom Pferde abzusteigen, brachte
ich ihn mit einiger Mühe durch die fürchterlichsten Drohungen -- über deren
Erfüllung er natürlich ganz ohne Sorge hätte sein können -- weiter. Als


holte die Pferde und trieb zum Aufbruch, und die schöne Nacht hatte ein Ende.
Theocharis begleitete uns noch eine Stunde weit bis auf die große Straße nach
Thessalonich, indem er manche schätzbare Weisung über den ferneren Weg mitgab.

Von nun an zog ich durch ein ganz ebenes, üppiges Wiesenland, das
meilenweit bis ans Meer unter den östlichen Abhängen des Olymp sich aus¬
breitet. Stellenweise fand ich große Strecken von hohem Gebüsch, ans allerlei
dornigen Sträuchern und stachlichen Schlingpflanzen so dicht verwachsen, daß
es fast undurchdringlich genannt werden konnte. Ich erfuhr das, als ich, um
einen Fasan, den ich geschossen, zu suchen, mich unvorsichtig hineinbegeben,
und nach der anderen Seite hin den Ausweg hatte erzwingen wollen. Zu
diesem Zwecke mußte ich mich förmlich durch das Gebüsch Hindurchhauen, was
mir mittelst eines langen scharfen türkischen Messers, das ich bei mir führte,
endlich glückte: aber ich brauchte wohl eine Stunde, um ans diese Weise einen
Weg von fünfzig Schritten zurückzulegen. Durch die weite Einöde dieser
Büsche, welche reich sind an allerlei Wild, Hirschen, Rehen und namentlich
Fasanen, führt ein Labyrinth von kleinen Wegen, in welchem ich nur mit
großer Aufmerksamkeit dem Schicksal entging, mich zu verirren, als ich später
von der Seeküste aus mich einmal der Jagd wegen vertiefte. Mitunter erblickt
man darin Gruppen hochwipflicher Silberpappeln, welche genau so aussehen,
als sei ein Dorf in der Nähe. Doch wenn man diese Bäume erreicht hat,
findet man in ihrem Schatten nichts als einen einsamen freien Platz unter
hohen Laubgewölben, ohne alle Spuren menschlicher Ansiedelung. — Während
meines heutigen Weges durch die Wiesenebenen fiel mir die ungeheure Menge
von Erdbeeren ans, die dort eben reiften, und zuweilen einem rothen Tuche
glichen, das den Boden weithin bedeckte. Sie waren überaus gewürzig und
hatten fast die Größe von Gartenerdbeeren. Auch in dem Walde wuchsen sie
sehr zahlreich, desgleichen ans den Ostabhängen des Olympgebirges.

Als ich in der Nähe des Meeres die Skala des h. Theodoros erreicht,
wollte Saccharos durchaus hier mit seinen Pferden zurückbleiben, und log mir
und den Leuten dort, von denen er Beistand erwartete, frech ins Gesicht, bis
hierher gehe sein Kontrakt und nicht weiter. Ich war aber ganz sicher, daß
ich ihn bis Katrin« gedungen, einem großen Dorfe, von dessen Landungsplatz
fast täglich Schiffe nach Thessalonich gehen, während ich am h. Theodoros
vielleicht Wochen lang auf Ueberfahrt hätte warten können. Auch war hier
nichts als ein einsamer Chan, vor dem jetzt eine Anzahl sehr verdächtig aus-
sehender Gesellen lärmend zechte. Diese waren es, denen er seine Einwendun¬
gen gegen mein Weiterreiten vortrug: indeß ohne vom Pferde abzusteigen, brachte
ich ihn mit einiger Mühe durch die fürchterlichsten Drohungen — über deren
Erfüllung er natürlich ganz ohne Sorge hätte sein können — weiter. Als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/283>, abgerufen am 10.06.2024.