Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fachen vorkommende Ornamente: Spiralen, Mäander, konzentrische Kreise!c.,
die jedoch den arischen Völkern in ihrer Urzeit gemeinsam sind, die Behaup¬
tung aufgestellt, die entdeckten Gräber seien nicht hellenischen, sondern ger¬
manischen Ursprungs. Ein germanistischer Forscher, L. Lindenschmit, hat
diesen Irrthum bereits gebührend zurückgewiesen, so daß wir uns mit seiner
Widerlegung nicht länger zu befassen brauchen. Derselbe Engländer hat auch
die künstlich in den Fels gehauenen Gräber, von denen uns Schliemann ge¬
naue Pläne und Durchschnitte giebt, "formlose Gruben" genannt und den
Ursprung der meisten aufgefundenen Gegenstände höchstens in das sechste Jahr¬
hundert versetzt. Der erste Theil dieser Behauptung widerlegt sich durch einen
Blick in Schliemann's Publikation, die Haltlosigkeit der zweiten wird sich im
Laufe unserer Darstellung ergeben.

Der Hauptwerth des Schliemcinn'schen Buches liegt in den Abbildungen,
welche ohne Vergleich besser und zuverlässiger ausgefallen sind als diejenigen,
welche seine "Trojanischen Alterthümer" illustrirten. Der Text, der an vielen
Stellen von ermüdender Weitschweifigkeit ist, da er die abgebildeteten Gegen¬
stände noch einmal mit größter Umständlichkeit beschreibt, hat nur insoweit
einen Werth, als er uns über den Gang der Ausgrabungen und über die
Fundorte orientirt. Wo Schliemann dagegen das Gebiet wissenschaftlicher
Diskussion und archäologischer Interpretation betritt, verliert er sich in nebel¬
graue Fernen, in welche ihm kein klar und Vorurtheilslos denkender Mensch
zu folgen vermag. Mit einer beispiellosen Zuversicht behandelt und löst er,
mit dem Homer und den Tragikern in der Hand, die schwierigsten Fragen, an
deren Lösung die Wissenschaft seit Jahrzehnten arbeitet. Mit verblüffender
Schnelligkeit stellt er die kühnsten Hypothesen zu einem Gebäude von schwin¬
delnder Höhe zusammen, das bei dem ersten, kräftigen Messerschmied einer ruhig
vorgehenden Kritik einstürzt. Die beiden Ergebnisse, die er selbst für die wich¬
tigsten seiner Ausgrabungen hält, die Entdeckung der Agora der Mykenäer
und der von Pausanias erwähnten Königsgräber, sind eitel Täuschung, die er
durch eine Reihe von Trugschlüssen selbst verschuldet hat. Seine erstaunliche
Belesenheit im Verein mit seiner fruchtbaren, von Jugend auf durch die ho¬
merischen Sagen genährten Phantasie, dann sein Dilettantismus <in der Be¬
handlung wissenschaftlicher Fragen, der sich aus seinem Bildungsgang erklärt,
sind die unübersteiglichen Hindernisse, die ihn von den Elementen der historischen
Kritik trennen.

Es ist von Interesse, einen Blick auf den Lebensgang dieses in mehr als
einer Hinsicht merkwürdigen Mannes zu werfen. Im Jahre 1869 hat Schlie¬
mann eine Reihe von "archäologische" Forschungen", wie er sie selbst nennt, oder
richtiger eine Reisebeschreibung unter dem Titel "ItliÄlzus, 1o?s1oxoQllöss, ?rois"


fachen vorkommende Ornamente: Spiralen, Mäander, konzentrische Kreise!c.,
die jedoch den arischen Völkern in ihrer Urzeit gemeinsam sind, die Behaup¬
tung aufgestellt, die entdeckten Gräber seien nicht hellenischen, sondern ger¬
manischen Ursprungs. Ein germanistischer Forscher, L. Lindenschmit, hat
diesen Irrthum bereits gebührend zurückgewiesen, so daß wir uns mit seiner
Widerlegung nicht länger zu befassen brauchen. Derselbe Engländer hat auch
die künstlich in den Fels gehauenen Gräber, von denen uns Schliemann ge¬
naue Pläne und Durchschnitte giebt, „formlose Gruben" genannt und den
Ursprung der meisten aufgefundenen Gegenstände höchstens in das sechste Jahr¬
hundert versetzt. Der erste Theil dieser Behauptung widerlegt sich durch einen
Blick in Schliemann's Publikation, die Haltlosigkeit der zweiten wird sich im
Laufe unserer Darstellung ergeben.

Der Hauptwerth des Schliemcinn'schen Buches liegt in den Abbildungen,
welche ohne Vergleich besser und zuverlässiger ausgefallen sind als diejenigen,
welche seine „Trojanischen Alterthümer" illustrirten. Der Text, der an vielen
Stellen von ermüdender Weitschweifigkeit ist, da er die abgebildeteten Gegen¬
stände noch einmal mit größter Umständlichkeit beschreibt, hat nur insoweit
einen Werth, als er uns über den Gang der Ausgrabungen und über die
Fundorte orientirt. Wo Schliemann dagegen das Gebiet wissenschaftlicher
Diskussion und archäologischer Interpretation betritt, verliert er sich in nebel¬
graue Fernen, in welche ihm kein klar und Vorurtheilslos denkender Mensch
zu folgen vermag. Mit einer beispiellosen Zuversicht behandelt und löst er,
mit dem Homer und den Tragikern in der Hand, die schwierigsten Fragen, an
deren Lösung die Wissenschaft seit Jahrzehnten arbeitet. Mit verblüffender
Schnelligkeit stellt er die kühnsten Hypothesen zu einem Gebäude von schwin¬
delnder Höhe zusammen, das bei dem ersten, kräftigen Messerschmied einer ruhig
vorgehenden Kritik einstürzt. Die beiden Ergebnisse, die er selbst für die wich¬
tigsten seiner Ausgrabungen hält, die Entdeckung der Agora der Mykenäer
und der von Pausanias erwähnten Königsgräber, sind eitel Täuschung, die er
durch eine Reihe von Trugschlüssen selbst verschuldet hat. Seine erstaunliche
Belesenheit im Verein mit seiner fruchtbaren, von Jugend auf durch die ho¬
merischen Sagen genährten Phantasie, dann sein Dilettantismus <in der Be¬
handlung wissenschaftlicher Fragen, der sich aus seinem Bildungsgang erklärt,
sind die unübersteiglichen Hindernisse, die ihn von den Elementen der historischen
Kritik trennen.

Es ist von Interesse, einen Blick auf den Lebensgang dieses in mehr als
einer Hinsicht merkwürdigen Mannes zu werfen. Im Jahre 1869 hat Schlie¬
mann eine Reihe von „archäologische» Forschungen", wie er sie selbst nennt, oder
richtiger eine Reisebeschreibung unter dem Titel „ItliÄlzus, 1o?s1oxoQllöss, ?rois"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139584"/>
          <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> fachen vorkommende Ornamente: Spiralen, Mäander, konzentrische Kreise!c.,<lb/>
die jedoch den arischen Völkern in ihrer Urzeit gemeinsam sind, die Behaup¬<lb/>
tung aufgestellt, die entdeckten Gräber seien nicht hellenischen, sondern ger¬<lb/>
manischen Ursprungs. Ein germanistischer Forscher, L. Lindenschmit, hat<lb/>
diesen Irrthum bereits gebührend zurückgewiesen, so daß wir uns mit seiner<lb/>
Widerlegung nicht länger zu befassen brauchen. Derselbe Engländer hat auch<lb/>
die künstlich in den Fels gehauenen Gräber, von denen uns Schliemann ge¬<lb/>
naue Pläne und Durchschnitte giebt, &#x201E;formlose Gruben" genannt und den<lb/>
Ursprung der meisten aufgefundenen Gegenstände höchstens in das sechste Jahr¬<lb/>
hundert versetzt. Der erste Theil dieser Behauptung widerlegt sich durch einen<lb/>
Blick in Schliemann's Publikation, die Haltlosigkeit der zweiten wird sich im<lb/>
Laufe unserer Darstellung ergeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_811"> Der Hauptwerth des Schliemcinn'schen Buches liegt in den Abbildungen,<lb/>
welche ohne Vergleich besser und zuverlässiger ausgefallen sind als diejenigen,<lb/>
welche seine &#x201E;Trojanischen Alterthümer" illustrirten. Der Text, der an vielen<lb/>
Stellen von ermüdender Weitschweifigkeit ist, da er die abgebildeteten Gegen¬<lb/>
stände noch einmal mit größter Umständlichkeit beschreibt, hat nur insoweit<lb/>
einen Werth, als er uns über den Gang der Ausgrabungen und über die<lb/>
Fundorte orientirt. Wo Schliemann dagegen das Gebiet wissenschaftlicher<lb/>
Diskussion und archäologischer Interpretation betritt, verliert er sich in nebel¬<lb/>
graue Fernen, in welche ihm kein klar und Vorurtheilslos denkender Mensch<lb/>
zu folgen vermag. Mit einer beispiellosen Zuversicht behandelt und löst er,<lb/>
mit dem Homer und den Tragikern in der Hand, die schwierigsten Fragen, an<lb/>
deren Lösung die Wissenschaft seit Jahrzehnten arbeitet. Mit verblüffender<lb/>
Schnelligkeit stellt er die kühnsten Hypothesen zu einem Gebäude von schwin¬<lb/>
delnder Höhe zusammen, das bei dem ersten, kräftigen Messerschmied einer ruhig<lb/>
vorgehenden Kritik einstürzt. Die beiden Ergebnisse, die er selbst für die wich¬<lb/>
tigsten seiner Ausgrabungen hält, die Entdeckung der Agora der Mykenäer<lb/>
und der von Pausanias erwähnten Königsgräber, sind eitel Täuschung, die er<lb/>
durch eine Reihe von Trugschlüssen selbst verschuldet hat. Seine erstaunliche<lb/>
Belesenheit im Verein mit seiner fruchtbaren, von Jugend auf durch die ho¬<lb/>
merischen Sagen genährten Phantasie, dann sein Dilettantismus &lt;in der Be¬<lb/>
handlung wissenschaftlicher Fragen, der sich aus seinem Bildungsgang erklärt,<lb/>
sind die unübersteiglichen Hindernisse, die ihn von den Elementen der historischen<lb/>
Kritik trennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_812" next="#ID_813"> Es ist von Interesse, einen Blick auf den Lebensgang dieses in mehr als<lb/>
einer Hinsicht merkwürdigen Mannes zu werfen. Im Jahre 1869 hat Schlie¬<lb/>
mann eine Reihe von &#x201E;archäologische» Forschungen", wie er sie selbst nennt, oder<lb/>
richtiger eine Reisebeschreibung unter dem Titel &#x201E;ItliÄlzus, 1o?s1oxoQllöss, ?rois"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] fachen vorkommende Ornamente: Spiralen, Mäander, konzentrische Kreise!c., die jedoch den arischen Völkern in ihrer Urzeit gemeinsam sind, die Behaup¬ tung aufgestellt, die entdeckten Gräber seien nicht hellenischen, sondern ger¬ manischen Ursprungs. Ein germanistischer Forscher, L. Lindenschmit, hat diesen Irrthum bereits gebührend zurückgewiesen, so daß wir uns mit seiner Widerlegung nicht länger zu befassen brauchen. Derselbe Engländer hat auch die künstlich in den Fels gehauenen Gräber, von denen uns Schliemann ge¬ naue Pläne und Durchschnitte giebt, „formlose Gruben" genannt und den Ursprung der meisten aufgefundenen Gegenstände höchstens in das sechste Jahr¬ hundert versetzt. Der erste Theil dieser Behauptung widerlegt sich durch einen Blick in Schliemann's Publikation, die Haltlosigkeit der zweiten wird sich im Laufe unserer Darstellung ergeben. Der Hauptwerth des Schliemcinn'schen Buches liegt in den Abbildungen, welche ohne Vergleich besser und zuverlässiger ausgefallen sind als diejenigen, welche seine „Trojanischen Alterthümer" illustrirten. Der Text, der an vielen Stellen von ermüdender Weitschweifigkeit ist, da er die abgebildeteten Gegen¬ stände noch einmal mit größter Umständlichkeit beschreibt, hat nur insoweit einen Werth, als er uns über den Gang der Ausgrabungen und über die Fundorte orientirt. Wo Schliemann dagegen das Gebiet wissenschaftlicher Diskussion und archäologischer Interpretation betritt, verliert er sich in nebel¬ graue Fernen, in welche ihm kein klar und Vorurtheilslos denkender Mensch zu folgen vermag. Mit einer beispiellosen Zuversicht behandelt und löst er, mit dem Homer und den Tragikern in der Hand, die schwierigsten Fragen, an deren Lösung die Wissenschaft seit Jahrzehnten arbeitet. Mit verblüffender Schnelligkeit stellt er die kühnsten Hypothesen zu einem Gebäude von schwin¬ delnder Höhe zusammen, das bei dem ersten, kräftigen Messerschmied einer ruhig vorgehenden Kritik einstürzt. Die beiden Ergebnisse, die er selbst für die wich¬ tigsten seiner Ausgrabungen hält, die Entdeckung der Agora der Mykenäer und der von Pausanias erwähnten Königsgräber, sind eitel Täuschung, die er durch eine Reihe von Trugschlüssen selbst verschuldet hat. Seine erstaunliche Belesenheit im Verein mit seiner fruchtbaren, von Jugend auf durch die ho¬ merischen Sagen genährten Phantasie, dann sein Dilettantismus <in der Be¬ handlung wissenschaftlicher Fragen, der sich aus seinem Bildungsgang erklärt, sind die unübersteiglichen Hindernisse, die ihn von den Elementen der historischen Kritik trennen. Es ist von Interesse, einen Blick auf den Lebensgang dieses in mehr als einer Hinsicht merkwürdigen Mannes zu werfen. Im Jahre 1869 hat Schlie¬ mann eine Reihe von „archäologische» Forschungen", wie er sie selbst nennt, oder richtiger eine Reisebeschreibung unter dem Titel „ItliÄlzus, 1o?s1oxoQllöss, ?rois"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/291>, abgerufen am 29.05.2024.