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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Schliemcmnschen Funde das erste positive Material für die Richtigkeit dieser
in genialer Divination aufgestellten Hypothese gebracht haben und darin liegt
ihre ungeheure Bedeutung für die Alterthumswissenschaft.

Wir haben noch fernere Beweisgründe. Auf Cypern und Rhodos sind
Gemmen und Thongefäße entdeckt worden, die, wie Newton angegeben hat,
vollkommen mit den gleichartigen Funden in Mykenae übereinstimmen. In
einem cyprischen Grabe fand man auch eine goldene Gesichtsmaske. In Spata,
einem Dorfe zwei Meilen östlich von Athen gelegen, fanden sich ähnliche
Schmucksachen, u. a. ein aus Knochen geschnitzter Manneskopf mit einer hohen
assyrischen Mitra. Endlich haben sich -- und das ist am Ende ein Beweis,
gegen den sich kein widerlegendes Argument aufführen läßt -- in dem ersten
der von Schliemann entdeckten Gräber Bruchstücke eines Stranßeneies vor¬
gefunden, welches noch völlig aus denselben zusammen gesetzt werden konnte,
ein Beweis also, daß in Mykenae ein Handel mit orientalischen Produkten ge¬
trieben wurde.

Die Frage, ob die in den Gräbern entdeckten Schmucksachen, zu denen
sich außer den beschriebenen Goldblättern noch prachtvolle Diademe, Halsketten,
Ringe, Becher u. tgi. mehr gesellen, Produkte einer einheimischen Industrie
oder importirt sind, wird sich schwer entscheiden lassen. Doch darf man an¬
nehmen, daß die "Phönizier" -- wir behalten diesen Kollektivnamen bei --
in ihren Kolonien auch die heimischen, aus dem fernen Orient überkommenen
Künste betrieben haben. Ein Beweis dafür sind die spiralförmigen Ornamente,
die sich auf den Fragmenten der räthselhaften Halbsäulen befinden, welche
schon vor längerer Zeit an dem Eingange zum sogenannten Schatzhause des
Atreus bloß gelegt worden sind. Sie stimmen in Form und Technik ganz
genau mit den Ornamenten auf den Schliemann'schen Goldsachen überein. Wie
treffend hat Lübke geurtheilt, als er, lange vor dem Bekanntwerden der
Schliemann'schen Funde, in seiner Architektur 5. Aufl. 1875 S. 100 von die¬
sen Säulenfragmenten sagte: "Die Art der Ornamente verräth ein an asia¬
tische Kunst und zwar an Bronzetechnik erinnerndes Formgefühl."

Wir sind am Ende unserer kritischen Prüfung der Schliemannschen Funde
angelangt. Armer Schliemann! Wie hat sich das Blatt gewendet! Was er
für die Spuren hellenischer Kultur, für die Ueberreste des glänzenden, home¬
rischen Zeitalters gehalten, das hat sich als die Spuren nicht griechischer An-
siedlungen erwiese". Sein Verdienst um die Wissenschaft ist dadurch vielleicht
ein größeres geworden. Denn Schliemann hat das lang vermißte Bindeglied
gefunden: Den Zusammenhang der asiatischen Kunst mit den An¬
fängen der hellenischen. Eine epochemachende Entdeckung, deren entschei¬
dende Bedeutung sich jetzt auch nicht einmal annähernd feststellen läßt. Schlie-


Schliemcmnschen Funde das erste positive Material für die Richtigkeit dieser
in genialer Divination aufgestellten Hypothese gebracht haben und darin liegt
ihre ungeheure Bedeutung für die Alterthumswissenschaft.

Wir haben noch fernere Beweisgründe. Auf Cypern und Rhodos sind
Gemmen und Thongefäße entdeckt worden, die, wie Newton angegeben hat,
vollkommen mit den gleichartigen Funden in Mykenae übereinstimmen. In
einem cyprischen Grabe fand man auch eine goldene Gesichtsmaske. In Spata,
einem Dorfe zwei Meilen östlich von Athen gelegen, fanden sich ähnliche
Schmucksachen, u. a. ein aus Knochen geschnitzter Manneskopf mit einer hohen
assyrischen Mitra. Endlich haben sich — und das ist am Ende ein Beweis,
gegen den sich kein widerlegendes Argument aufführen läßt — in dem ersten
der von Schliemann entdeckten Gräber Bruchstücke eines Stranßeneies vor¬
gefunden, welches noch völlig aus denselben zusammen gesetzt werden konnte,
ein Beweis also, daß in Mykenae ein Handel mit orientalischen Produkten ge¬
trieben wurde.

Die Frage, ob die in den Gräbern entdeckten Schmucksachen, zu denen
sich außer den beschriebenen Goldblättern noch prachtvolle Diademe, Halsketten,
Ringe, Becher u. tgi. mehr gesellen, Produkte einer einheimischen Industrie
oder importirt sind, wird sich schwer entscheiden lassen. Doch darf man an¬
nehmen, daß die „Phönizier" — wir behalten diesen Kollektivnamen bei —
in ihren Kolonien auch die heimischen, aus dem fernen Orient überkommenen
Künste betrieben haben. Ein Beweis dafür sind die spiralförmigen Ornamente,
die sich auf den Fragmenten der räthselhaften Halbsäulen befinden, welche
schon vor längerer Zeit an dem Eingange zum sogenannten Schatzhause des
Atreus bloß gelegt worden sind. Sie stimmen in Form und Technik ganz
genau mit den Ornamenten auf den Schliemann'schen Goldsachen überein. Wie
treffend hat Lübke geurtheilt, als er, lange vor dem Bekanntwerden der
Schliemann'schen Funde, in seiner Architektur 5. Aufl. 1875 S. 100 von die¬
sen Säulenfragmenten sagte: „Die Art der Ornamente verräth ein an asia¬
tische Kunst und zwar an Bronzetechnik erinnerndes Formgefühl."

Wir sind am Ende unserer kritischen Prüfung der Schliemannschen Funde
angelangt. Armer Schliemann! Wie hat sich das Blatt gewendet! Was er
für die Spuren hellenischer Kultur, für die Ueberreste des glänzenden, home¬
rischen Zeitalters gehalten, das hat sich als die Spuren nicht griechischer An-
siedlungen erwiese». Sein Verdienst um die Wissenschaft ist dadurch vielleicht
ein größeres geworden. Denn Schliemann hat das lang vermißte Bindeglied
gefunden: Den Zusammenhang der asiatischen Kunst mit den An¬
fängen der hellenischen. Eine epochemachende Entdeckung, deren entschei¬
dende Bedeutung sich jetzt auch nicht einmal annähernd feststellen läßt. Schlie-


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[0302] Schliemcmnschen Funde das erste positive Material für die Richtigkeit dieser in genialer Divination aufgestellten Hypothese gebracht haben und darin liegt ihre ungeheure Bedeutung für die Alterthumswissenschaft. Wir haben noch fernere Beweisgründe. Auf Cypern und Rhodos sind Gemmen und Thongefäße entdeckt worden, die, wie Newton angegeben hat, vollkommen mit den gleichartigen Funden in Mykenae übereinstimmen. In einem cyprischen Grabe fand man auch eine goldene Gesichtsmaske. In Spata, einem Dorfe zwei Meilen östlich von Athen gelegen, fanden sich ähnliche Schmucksachen, u. a. ein aus Knochen geschnitzter Manneskopf mit einer hohen assyrischen Mitra. Endlich haben sich — und das ist am Ende ein Beweis, gegen den sich kein widerlegendes Argument aufführen läßt — in dem ersten der von Schliemann entdeckten Gräber Bruchstücke eines Stranßeneies vor¬ gefunden, welches noch völlig aus denselben zusammen gesetzt werden konnte, ein Beweis also, daß in Mykenae ein Handel mit orientalischen Produkten ge¬ trieben wurde. Die Frage, ob die in den Gräbern entdeckten Schmucksachen, zu denen sich außer den beschriebenen Goldblättern noch prachtvolle Diademe, Halsketten, Ringe, Becher u. tgi. mehr gesellen, Produkte einer einheimischen Industrie oder importirt sind, wird sich schwer entscheiden lassen. Doch darf man an¬ nehmen, daß die „Phönizier" — wir behalten diesen Kollektivnamen bei — in ihren Kolonien auch die heimischen, aus dem fernen Orient überkommenen Künste betrieben haben. Ein Beweis dafür sind die spiralförmigen Ornamente, die sich auf den Fragmenten der räthselhaften Halbsäulen befinden, welche schon vor längerer Zeit an dem Eingange zum sogenannten Schatzhause des Atreus bloß gelegt worden sind. Sie stimmen in Form und Technik ganz genau mit den Ornamenten auf den Schliemann'schen Goldsachen überein. Wie treffend hat Lübke geurtheilt, als er, lange vor dem Bekanntwerden der Schliemann'schen Funde, in seiner Architektur 5. Aufl. 1875 S. 100 von die¬ sen Säulenfragmenten sagte: „Die Art der Ornamente verräth ein an asia¬ tische Kunst und zwar an Bronzetechnik erinnerndes Formgefühl." Wir sind am Ende unserer kritischen Prüfung der Schliemannschen Funde angelangt. Armer Schliemann! Wie hat sich das Blatt gewendet! Was er für die Spuren hellenischer Kultur, für die Ueberreste des glänzenden, home¬ rischen Zeitalters gehalten, das hat sich als die Spuren nicht griechischer An- siedlungen erwiese». Sein Verdienst um die Wissenschaft ist dadurch vielleicht ein größeres geworden. Denn Schliemann hat das lang vermißte Bindeglied gefunden: Den Zusammenhang der asiatischen Kunst mit den An¬ fängen der hellenischen. Eine epochemachende Entdeckung, deren entschei¬ dende Bedeutung sich jetzt auch nicht einmal annähernd feststellen läßt. Schlie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/302>, abgerufen am 15.05.2024.