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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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eine also eingerichtete Stellvertretung in ihren weiteren Konsequenzen zur Her¬
ausbildung verantwortlicher Reichsminister führen kann. Welches wohlver¬
standene Interesse die Regierungen der Einzelstaaten aber haben könnten, eine
derartige Entwickelung zu verhindern, ist nicht ersichtlich. Man erzählt sogar,
daß einzelne nichtpreußische Mitglieder des Bundesraths von Anfang an den
Gedanken erwogen hätten, an die Stelle der in dem Entwürfe des Reichskanzlers
vorgeschlagenen rein fakultativen Einrichtung eine obligatorische und dauernde
Institution zu setzen. Um so besser! Unter den Anhängern des konstitutionellen
Systems würden sie darin sicherlich keine Widersacher finden. Wie dem aber
auch sei, jedenfalls wird irgend eine Form, welche die "volle Stellvertretung"
des Reichskanzlers ermöglicht, gefunden werden müssen. Wollten die Mittel¬
staaten, oder wer sonst alle darauf hin gerichteten Vorschläge zum Scheitern
bringen, so würde das einfach dem Reichskörper die Lebensadern unterbinden
heißen.

Was in den außerpreußischen Staaten Mißtrauen erregt hat, ist offenbar
der vielbesprochene Plan, die Leitung der wichtigsten Verwaltungszweige im
Reich und diejenige der entsprechenden Departements in Preußen in denselben
Personen zu kozentriren. Die Wortführer des Partikularismus sind sofort bei
der Hand gewesen, dies als eine neue Verpreußuugsteufelei zu denunziren.
Eine wirklich unbefangene Erwägung muß jede derartige Gespensterseherei als
unbegründet erkennen. Zwischen der Verwaltung des Reichs und derjenigen
des Einzelstaats, welcher mehr als die Hälfte des Reichs umfaßt, alle größeren
Reibungen zu verhüte", ist eine ebenso selbstverständliche wie bedeutungsvolle Auf¬
gabe der inneren deutschen Politik. Daß der angegebene Weg der einfachste nud
sicherste zur Lösung dieser Aufgabe sein würde, wird niemand bestreiten. Man
kennt die Klagen, mit welchen Fürst Bismarck sich in gewohnter Offenherzigkeit
wiederholt über die Schwierigkeiten beschwert hat, welche ihm in dieser oder
jener Reichsmaßregel gerade seitens einiger preußischer Ministerien entgegenge¬
setzt worden seien. Derartiges würde natürlich uicht mehr zu befürchten stehen,
sobald die Chefs der hervorragendsten Reichsämter identisch mit den betreffenden
preußischen Ministern wären. Damit ist zugleich augedeutet, daß es sich nicht
sowohl um eine Vermehrung des preußischen Einflusses auf das Reich, als
vielmehr umgekehrt um eine Vermehrung des Reichseinflusses auf Preußen
handelt. Es liegt dies ja auch ganz klar in den durch die Reichsverfassung
gegebenen Verhältnissen. Die für die Reichsverwaltung maßgebenden Grund¬
sätze werden verfassungsmäßig durch deu Bundesrath bestimmt. Im Bundes¬
rathe aber würde Preußen auch uach der Einführung der Personalunion von
preußischen und Reichsäintern nicht mehr vermögen als bisher. Daraus folgt,
daß auch die Grundsätze der Reichsverwaltung in Zukunft jedenfalls uicht


eine also eingerichtete Stellvertretung in ihren weiteren Konsequenzen zur Her¬
ausbildung verantwortlicher Reichsminister führen kann. Welches wohlver¬
standene Interesse die Regierungen der Einzelstaaten aber haben könnten, eine
derartige Entwickelung zu verhindern, ist nicht ersichtlich. Man erzählt sogar,
daß einzelne nichtpreußische Mitglieder des Bundesraths von Anfang an den
Gedanken erwogen hätten, an die Stelle der in dem Entwürfe des Reichskanzlers
vorgeschlagenen rein fakultativen Einrichtung eine obligatorische und dauernde
Institution zu setzen. Um so besser! Unter den Anhängern des konstitutionellen
Systems würden sie darin sicherlich keine Widersacher finden. Wie dem aber
auch sei, jedenfalls wird irgend eine Form, welche die „volle Stellvertretung"
des Reichskanzlers ermöglicht, gefunden werden müssen. Wollten die Mittel¬
staaten, oder wer sonst alle darauf hin gerichteten Vorschläge zum Scheitern
bringen, so würde das einfach dem Reichskörper die Lebensadern unterbinden
heißen.

Was in den außerpreußischen Staaten Mißtrauen erregt hat, ist offenbar
der vielbesprochene Plan, die Leitung der wichtigsten Verwaltungszweige im
Reich und diejenige der entsprechenden Departements in Preußen in denselben
Personen zu kozentriren. Die Wortführer des Partikularismus sind sofort bei
der Hand gewesen, dies als eine neue Verpreußuugsteufelei zu denunziren.
Eine wirklich unbefangene Erwägung muß jede derartige Gespensterseherei als
unbegründet erkennen. Zwischen der Verwaltung des Reichs und derjenigen
des Einzelstaats, welcher mehr als die Hälfte des Reichs umfaßt, alle größeren
Reibungen zu verhüte», ist eine ebenso selbstverständliche wie bedeutungsvolle Auf¬
gabe der inneren deutschen Politik. Daß der angegebene Weg der einfachste nud
sicherste zur Lösung dieser Aufgabe sein würde, wird niemand bestreiten. Man
kennt die Klagen, mit welchen Fürst Bismarck sich in gewohnter Offenherzigkeit
wiederholt über die Schwierigkeiten beschwert hat, welche ihm in dieser oder
jener Reichsmaßregel gerade seitens einiger preußischer Ministerien entgegenge¬
setzt worden seien. Derartiges würde natürlich uicht mehr zu befürchten stehen,
sobald die Chefs der hervorragendsten Reichsämter identisch mit den betreffenden
preußischen Ministern wären. Damit ist zugleich augedeutet, daß es sich nicht
sowohl um eine Vermehrung des preußischen Einflusses auf das Reich, als
vielmehr umgekehrt um eine Vermehrung des Reichseinflusses auf Preußen
handelt. Es liegt dies ja auch ganz klar in den durch die Reichsverfassung
gegebenen Verhältnissen. Die für die Reichsverwaltung maßgebenden Grund¬
sätze werden verfassungsmäßig durch deu Bundesrath bestimmt. Im Bundes¬
rathe aber würde Preußen auch uach der Einführung der Personalunion von
preußischen und Reichsäintern nicht mehr vermögen als bisher. Daraus folgt,
daß auch die Grundsätze der Reichsverwaltung in Zukunft jedenfalls uicht


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[0325] eine also eingerichtete Stellvertretung in ihren weiteren Konsequenzen zur Her¬ ausbildung verantwortlicher Reichsminister führen kann. Welches wohlver¬ standene Interesse die Regierungen der Einzelstaaten aber haben könnten, eine derartige Entwickelung zu verhindern, ist nicht ersichtlich. Man erzählt sogar, daß einzelne nichtpreußische Mitglieder des Bundesraths von Anfang an den Gedanken erwogen hätten, an die Stelle der in dem Entwürfe des Reichskanzlers vorgeschlagenen rein fakultativen Einrichtung eine obligatorische und dauernde Institution zu setzen. Um so besser! Unter den Anhängern des konstitutionellen Systems würden sie darin sicherlich keine Widersacher finden. Wie dem aber auch sei, jedenfalls wird irgend eine Form, welche die „volle Stellvertretung" des Reichskanzlers ermöglicht, gefunden werden müssen. Wollten die Mittel¬ staaten, oder wer sonst alle darauf hin gerichteten Vorschläge zum Scheitern bringen, so würde das einfach dem Reichskörper die Lebensadern unterbinden heißen. Was in den außerpreußischen Staaten Mißtrauen erregt hat, ist offenbar der vielbesprochene Plan, die Leitung der wichtigsten Verwaltungszweige im Reich und diejenige der entsprechenden Departements in Preußen in denselben Personen zu kozentriren. Die Wortführer des Partikularismus sind sofort bei der Hand gewesen, dies als eine neue Verpreußuugsteufelei zu denunziren. Eine wirklich unbefangene Erwägung muß jede derartige Gespensterseherei als unbegründet erkennen. Zwischen der Verwaltung des Reichs und derjenigen des Einzelstaats, welcher mehr als die Hälfte des Reichs umfaßt, alle größeren Reibungen zu verhüte», ist eine ebenso selbstverständliche wie bedeutungsvolle Auf¬ gabe der inneren deutschen Politik. Daß der angegebene Weg der einfachste nud sicherste zur Lösung dieser Aufgabe sein würde, wird niemand bestreiten. Man kennt die Klagen, mit welchen Fürst Bismarck sich in gewohnter Offenherzigkeit wiederholt über die Schwierigkeiten beschwert hat, welche ihm in dieser oder jener Reichsmaßregel gerade seitens einiger preußischer Ministerien entgegenge¬ setzt worden seien. Derartiges würde natürlich uicht mehr zu befürchten stehen, sobald die Chefs der hervorragendsten Reichsämter identisch mit den betreffenden preußischen Ministern wären. Damit ist zugleich augedeutet, daß es sich nicht sowohl um eine Vermehrung des preußischen Einflusses auf das Reich, als vielmehr umgekehrt um eine Vermehrung des Reichseinflusses auf Preußen handelt. Es liegt dies ja auch ganz klar in den durch die Reichsverfassung gegebenen Verhältnissen. Die für die Reichsverwaltung maßgebenden Grund¬ sätze werden verfassungsmäßig durch deu Bundesrath bestimmt. Im Bundes¬ rathe aber würde Preußen auch uach der Einführung der Personalunion von preußischen und Reichsäintern nicht mehr vermögen als bisher. Daraus folgt, daß auch die Grundsätze der Reichsverwaltung in Zukunft jedenfalls uicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/325>, abgerufen am 31.05.2024.