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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Ständigkeit und Allseitigkeit. Sie soll nur die leitenden Momente darlegen,
Einzelerscheinungen nur insoweit berücksichtigen, als sie zur Illustration des
Ganzen dienen können.

Betrachten wir zunächst die Eigenschaften, welche ein in die Lehre aufzu¬
nehmender Knabe besitzen mußten Hierhin gehörten in erster Linie jene allge¬
meinen Bestimmungen, welche die Grundlage der Hand Werks ehre bildeten,
nämlich der Nachweis der ehelichen und ehrlichen Geburt. Bei einer
Institution, in der, wenigstens zur Zeit ihrer mittelalterlichen Blüthe, die Idee
des Berufes im Gegensatze zu dem Prinzipe des Geschäftsgewinnes im Gewerbe
der Gegenwart seine Verkörperung fand, lag es eben sehr nahe, alle nur
irgendwie anrüchigen Elemente von dem Handwerkerstande auszuschließen. Als
unehlich geboren galten damals die Söhne niederer städtischer Beamten, ferner
die Kinder von Bädern, Müllern, Schäfern und, wie sich von selbst versteht,
von Scharfrichtern. Freilich räumten dieses schreckliche Vorurtheil spätere
Reichsgesetze und Speziallandesdekrete hinweg, aber trotz cilledem konnten den¬
noch im Anfange unseres Jahrhunderts weder Findel-, noch außer der
Ehe geborene Kinder ein zünftiges Gewerbe erlernen. Wie weit übrigens die
Hcmdwerksehre in dem Zeitabschnitte, der unserer Betrachtung unterliegt, auf
die Spitze getrieben wurde, mag ein Beispiel aus dem 17. Jahrhundert zeigen.

Ein Schuhmachermeister in Eisenberg, Namens Adler, hatte im Jahre
1699 einen hübschen, anstelligen Knaben, Georg Senfflingen, zum Lehrlinge
angenommen, die Zunft untersagte jedoch dem betreffenden Meister die Aus¬
bildung des Senfflingen, weil dessen Großvater einst den Posten eines
Gerichtsdieners bekleidet hatte. Der zurechtgewiesene Meister mußte sich noth-
gedrungen dem Beschlusse seines Amtes fügen, es kam darüber zu Streitig¬
keiten und schließlich zu einem Prozesse, den der Fürst Christian dahin ent¬
schied, daß dem Schnhmacheramte aufgegeben wurde, "den Meister Adler zu¬
vörderst bei Straft von 10 Thaler, oder nach Befinden eines Mehrern, da¬
hin zu halten, daß er Georg Senfflingen gehörig aufdingen lasse und das
Handwerk ihm versprochenermaßen tüchtig und gebührend lehren solle." --

Hatte nun der Knabe mittelst einer eigenen Urkunde, des sogenannten
Geburtsbriefes dargethan, daß ihm und seiner Familie nichts Ehrenrühriges
änliche, so mußte er sich, bevor er in's Handwerk aufgenommen wurde, zur
Prüfung seiner Fähigkeiten einer Probezeit unterziehen, die je nach den
verschiedenen Gewerben auf 2--4 Wochen festgesetzt war. Nach dem günstigen
Verlaufe dieser Probezeit begann erst die eigentliche Lehrzeit. Ein Lehr¬
kontrakt im modernen Sinne des Wortes scheint nicht üblich gewesen zusein;
desselben bedürfte man auch um so weniger, da der formelle Akt der Aufnahme
vor geöffneter Lade in Gegenwart der Zunftältesten, des Lehrherrn, der übrigen


Ständigkeit und Allseitigkeit. Sie soll nur die leitenden Momente darlegen,
Einzelerscheinungen nur insoweit berücksichtigen, als sie zur Illustration des
Ganzen dienen können.

Betrachten wir zunächst die Eigenschaften, welche ein in die Lehre aufzu¬
nehmender Knabe besitzen mußten Hierhin gehörten in erster Linie jene allge¬
meinen Bestimmungen, welche die Grundlage der Hand Werks ehre bildeten,
nämlich der Nachweis der ehelichen und ehrlichen Geburt. Bei einer
Institution, in der, wenigstens zur Zeit ihrer mittelalterlichen Blüthe, die Idee
des Berufes im Gegensatze zu dem Prinzipe des Geschäftsgewinnes im Gewerbe
der Gegenwart seine Verkörperung fand, lag es eben sehr nahe, alle nur
irgendwie anrüchigen Elemente von dem Handwerkerstande auszuschließen. Als
unehlich geboren galten damals die Söhne niederer städtischer Beamten, ferner
die Kinder von Bädern, Müllern, Schäfern und, wie sich von selbst versteht,
von Scharfrichtern. Freilich räumten dieses schreckliche Vorurtheil spätere
Reichsgesetze und Speziallandesdekrete hinweg, aber trotz cilledem konnten den¬
noch im Anfange unseres Jahrhunderts weder Findel-, noch außer der
Ehe geborene Kinder ein zünftiges Gewerbe erlernen. Wie weit übrigens die
Hcmdwerksehre in dem Zeitabschnitte, der unserer Betrachtung unterliegt, auf
die Spitze getrieben wurde, mag ein Beispiel aus dem 17. Jahrhundert zeigen.

Ein Schuhmachermeister in Eisenberg, Namens Adler, hatte im Jahre
1699 einen hübschen, anstelligen Knaben, Georg Senfflingen, zum Lehrlinge
angenommen, die Zunft untersagte jedoch dem betreffenden Meister die Aus¬
bildung des Senfflingen, weil dessen Großvater einst den Posten eines
Gerichtsdieners bekleidet hatte. Der zurechtgewiesene Meister mußte sich noth-
gedrungen dem Beschlusse seines Amtes fügen, es kam darüber zu Streitig¬
keiten und schließlich zu einem Prozesse, den der Fürst Christian dahin ent¬
schied, daß dem Schnhmacheramte aufgegeben wurde, „den Meister Adler zu¬
vörderst bei Straft von 10 Thaler, oder nach Befinden eines Mehrern, da¬
hin zu halten, daß er Georg Senfflingen gehörig aufdingen lasse und das
Handwerk ihm versprochenermaßen tüchtig und gebührend lehren solle." —

Hatte nun der Knabe mittelst einer eigenen Urkunde, des sogenannten
Geburtsbriefes dargethan, daß ihm und seiner Familie nichts Ehrenrühriges
änliche, so mußte er sich, bevor er in's Handwerk aufgenommen wurde, zur
Prüfung seiner Fähigkeiten einer Probezeit unterziehen, die je nach den
verschiedenen Gewerben auf 2—4 Wochen festgesetzt war. Nach dem günstigen
Verlaufe dieser Probezeit begann erst die eigentliche Lehrzeit. Ein Lehr¬
kontrakt im modernen Sinne des Wortes scheint nicht üblich gewesen zusein;
desselben bedürfte man auch um so weniger, da der formelle Akt der Aufnahme
vor geöffneter Lade in Gegenwart der Zunftältesten, des Lehrherrn, der übrigen


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[0348] Ständigkeit und Allseitigkeit. Sie soll nur die leitenden Momente darlegen, Einzelerscheinungen nur insoweit berücksichtigen, als sie zur Illustration des Ganzen dienen können. Betrachten wir zunächst die Eigenschaften, welche ein in die Lehre aufzu¬ nehmender Knabe besitzen mußten Hierhin gehörten in erster Linie jene allge¬ meinen Bestimmungen, welche die Grundlage der Hand Werks ehre bildeten, nämlich der Nachweis der ehelichen und ehrlichen Geburt. Bei einer Institution, in der, wenigstens zur Zeit ihrer mittelalterlichen Blüthe, die Idee des Berufes im Gegensatze zu dem Prinzipe des Geschäftsgewinnes im Gewerbe der Gegenwart seine Verkörperung fand, lag es eben sehr nahe, alle nur irgendwie anrüchigen Elemente von dem Handwerkerstande auszuschließen. Als unehlich geboren galten damals die Söhne niederer städtischer Beamten, ferner die Kinder von Bädern, Müllern, Schäfern und, wie sich von selbst versteht, von Scharfrichtern. Freilich räumten dieses schreckliche Vorurtheil spätere Reichsgesetze und Speziallandesdekrete hinweg, aber trotz cilledem konnten den¬ noch im Anfange unseres Jahrhunderts weder Findel-, noch außer der Ehe geborene Kinder ein zünftiges Gewerbe erlernen. Wie weit übrigens die Hcmdwerksehre in dem Zeitabschnitte, der unserer Betrachtung unterliegt, auf die Spitze getrieben wurde, mag ein Beispiel aus dem 17. Jahrhundert zeigen. Ein Schuhmachermeister in Eisenberg, Namens Adler, hatte im Jahre 1699 einen hübschen, anstelligen Knaben, Georg Senfflingen, zum Lehrlinge angenommen, die Zunft untersagte jedoch dem betreffenden Meister die Aus¬ bildung des Senfflingen, weil dessen Großvater einst den Posten eines Gerichtsdieners bekleidet hatte. Der zurechtgewiesene Meister mußte sich noth- gedrungen dem Beschlusse seines Amtes fügen, es kam darüber zu Streitig¬ keiten und schließlich zu einem Prozesse, den der Fürst Christian dahin ent¬ schied, daß dem Schnhmacheramte aufgegeben wurde, „den Meister Adler zu¬ vörderst bei Straft von 10 Thaler, oder nach Befinden eines Mehrern, da¬ hin zu halten, daß er Georg Senfflingen gehörig aufdingen lasse und das Handwerk ihm versprochenermaßen tüchtig und gebührend lehren solle." — Hatte nun der Knabe mittelst einer eigenen Urkunde, des sogenannten Geburtsbriefes dargethan, daß ihm und seiner Familie nichts Ehrenrühriges änliche, so mußte er sich, bevor er in's Handwerk aufgenommen wurde, zur Prüfung seiner Fähigkeiten einer Probezeit unterziehen, die je nach den verschiedenen Gewerben auf 2—4 Wochen festgesetzt war. Nach dem günstigen Verlaufe dieser Probezeit begann erst die eigentliche Lehrzeit. Ein Lehr¬ kontrakt im modernen Sinne des Wortes scheint nicht üblich gewesen zusein; desselben bedürfte man auch um so weniger, da der formelle Akt der Aufnahme vor geöffneter Lade in Gegenwart der Zunftältesten, des Lehrherrn, der übrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/348>, abgerufen am 14.05.2024.