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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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bei einem oder bei mehreren Gerichten die zugelassenen Rechtsanwälte zur
ordnungsmäßigen Erledigung der Anwaltsprozesse nicht ausreichen, bei anderen
Gerichten desselben Bundesstaats versagt werden können. Von fast allen
Rednern wurde der eine oder der andere Punkt dieser Bestimmungen scharf
kritisirt. Namentlich fand man die einjährige Frist, innerhalb welcher die An¬
meldung erfolgen muß, zu kurz bemessen. Ebenso hielt man für ungerecht¬
fertigt, daß mit der Anstellung im Staatsdienste das Recht auf Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft verwirkt sein soll; mit gutem Fug wurde hervorgehoben,
daß die Rechtsanwaltschaft unter Umständen die Bedeutung eines werthvollen
Refngiums aus dem Staatsdienste haben könne. Auch gegen die Versagung
der 'Zulassung wegen Mangels an Rechtsanwälten bei anderen Gerichten
wurden beachtenswerthe Bedenken geltend gemacht. Allgemeine Verurtheilung
fand die Bestimmung, nach welcher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim
Reichsgericht durch den Reichskanzler nach freiem Ermessen erfolgen soll.
-- Trotz aller dieser Ausstellungen darf indeß angenommen werden, daß eine
Verständigung über das Gesetz nicht allzuschwer sein wird. Einstweilen ist
dasselbe einer Kommission überwiesen, welche ihr Möglichstes zur Ausgleichung
der Differenzen thun wird.

Die allgemeine Debatte über den Reichshaushaltsetat, gewöhnlich ganz
vorzugsweise geeignet, der betreffenden Sitzung den Stempel einer Zranäs
.sournös aufzudrücken, wurde diesmal in einer halben Sitzung absolvirt. --
Beweis genug, wie sehr das Budget augenblicklich hinter anderen Dingen zu¬
rücktritt. An sich schien der Etatsentwurf freilich gerade diesmal Betrachtun¬
gen umfassendster Art und von prinzipiellster Tragweite zu rechtfertigen. Die
Forderung einer Herabminderung der Matrikularbeiträge war in den letzten
Jahren lauter und lauter geworden. Statt dessen würden dieselben nach dem
diesmaligen Voranschlage abermals um 28 Millionen, nämlich von 81 auf
109 Millionen gesteigert werden müssen. Die Regierungen bringen nun, um
diese Eventualität zu vermeiden, mehrere neue Steuern nebst einer Erhöhung
der Tabaksteuer um nahezu 30 Millionen Mark in Vorschlag, und sie be¬
zeichnen diesen Vorschlag als den Anfang der allgemein als unumgänglich
nothwendig empfundenen Steuerreform. Dem Anscheine nach hätte also die
diesmalige Budgetdebatte, da die neuen Steuern, wie gesagt, bereits zur
Deckung des angeblichen Defizits von 1878/79 in Aussicht genommen waren,
zugleich die große Frage der Steuerreform in ihrem ganzen Umfange erör¬
tern müssen.

Allein, es war doch zweierlei zu erwägen: einmal, ob die vorliegenden
Steuerprojekte wirklich als rationelle Grundlage einer Steuerreform betrachtet
werden können, oder ob sie sich nicht vielmehr als eine bloße Steuererhöhung


bei einem oder bei mehreren Gerichten die zugelassenen Rechtsanwälte zur
ordnungsmäßigen Erledigung der Anwaltsprozesse nicht ausreichen, bei anderen
Gerichten desselben Bundesstaats versagt werden können. Von fast allen
Rednern wurde der eine oder der andere Punkt dieser Bestimmungen scharf
kritisirt. Namentlich fand man die einjährige Frist, innerhalb welcher die An¬
meldung erfolgen muß, zu kurz bemessen. Ebenso hielt man für ungerecht¬
fertigt, daß mit der Anstellung im Staatsdienste das Recht auf Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft verwirkt sein soll; mit gutem Fug wurde hervorgehoben,
daß die Rechtsanwaltschaft unter Umständen die Bedeutung eines werthvollen
Refngiums aus dem Staatsdienste haben könne. Auch gegen die Versagung
der 'Zulassung wegen Mangels an Rechtsanwälten bei anderen Gerichten
wurden beachtenswerthe Bedenken geltend gemacht. Allgemeine Verurtheilung
fand die Bestimmung, nach welcher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim
Reichsgericht durch den Reichskanzler nach freiem Ermessen erfolgen soll.
— Trotz aller dieser Ausstellungen darf indeß angenommen werden, daß eine
Verständigung über das Gesetz nicht allzuschwer sein wird. Einstweilen ist
dasselbe einer Kommission überwiesen, welche ihr Möglichstes zur Ausgleichung
der Differenzen thun wird.

Die allgemeine Debatte über den Reichshaushaltsetat, gewöhnlich ganz
vorzugsweise geeignet, der betreffenden Sitzung den Stempel einer Zranäs
.sournös aufzudrücken, wurde diesmal in einer halben Sitzung absolvirt. —
Beweis genug, wie sehr das Budget augenblicklich hinter anderen Dingen zu¬
rücktritt. An sich schien der Etatsentwurf freilich gerade diesmal Betrachtun¬
gen umfassendster Art und von prinzipiellster Tragweite zu rechtfertigen. Die
Forderung einer Herabminderung der Matrikularbeiträge war in den letzten
Jahren lauter und lauter geworden. Statt dessen würden dieselben nach dem
diesmaligen Voranschlage abermals um 28 Millionen, nämlich von 81 auf
109 Millionen gesteigert werden müssen. Die Regierungen bringen nun, um
diese Eventualität zu vermeiden, mehrere neue Steuern nebst einer Erhöhung
der Tabaksteuer um nahezu 30 Millionen Mark in Vorschlag, und sie be¬
zeichnen diesen Vorschlag als den Anfang der allgemein als unumgänglich
nothwendig empfundenen Steuerreform. Dem Anscheine nach hätte also die
diesmalige Budgetdebatte, da die neuen Steuern, wie gesagt, bereits zur
Deckung des angeblichen Defizits von 1878/79 in Aussicht genommen waren,
zugleich die große Frage der Steuerreform in ihrem ganzen Umfange erör¬
tern müssen.

Allein, es war doch zweierlei zu erwägen: einmal, ob die vorliegenden
Steuerprojekte wirklich als rationelle Grundlage einer Steuerreform betrachtet
werden können, oder ob sie sich nicht vielmehr als eine bloße Steuererhöhung


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[0355] bei einem oder bei mehreren Gerichten die zugelassenen Rechtsanwälte zur ordnungsmäßigen Erledigung der Anwaltsprozesse nicht ausreichen, bei anderen Gerichten desselben Bundesstaats versagt werden können. Von fast allen Rednern wurde der eine oder der andere Punkt dieser Bestimmungen scharf kritisirt. Namentlich fand man die einjährige Frist, innerhalb welcher die An¬ meldung erfolgen muß, zu kurz bemessen. Ebenso hielt man für ungerecht¬ fertigt, daß mit der Anstellung im Staatsdienste das Recht auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verwirkt sein soll; mit gutem Fug wurde hervorgehoben, daß die Rechtsanwaltschaft unter Umständen die Bedeutung eines werthvollen Refngiums aus dem Staatsdienste haben könne. Auch gegen die Versagung der 'Zulassung wegen Mangels an Rechtsanwälten bei anderen Gerichten wurden beachtenswerthe Bedenken geltend gemacht. Allgemeine Verurtheilung fand die Bestimmung, nach welcher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim Reichsgericht durch den Reichskanzler nach freiem Ermessen erfolgen soll. — Trotz aller dieser Ausstellungen darf indeß angenommen werden, daß eine Verständigung über das Gesetz nicht allzuschwer sein wird. Einstweilen ist dasselbe einer Kommission überwiesen, welche ihr Möglichstes zur Ausgleichung der Differenzen thun wird. Die allgemeine Debatte über den Reichshaushaltsetat, gewöhnlich ganz vorzugsweise geeignet, der betreffenden Sitzung den Stempel einer Zranäs .sournös aufzudrücken, wurde diesmal in einer halben Sitzung absolvirt. — Beweis genug, wie sehr das Budget augenblicklich hinter anderen Dingen zu¬ rücktritt. An sich schien der Etatsentwurf freilich gerade diesmal Betrachtun¬ gen umfassendster Art und von prinzipiellster Tragweite zu rechtfertigen. Die Forderung einer Herabminderung der Matrikularbeiträge war in den letzten Jahren lauter und lauter geworden. Statt dessen würden dieselben nach dem diesmaligen Voranschlage abermals um 28 Millionen, nämlich von 81 auf 109 Millionen gesteigert werden müssen. Die Regierungen bringen nun, um diese Eventualität zu vermeiden, mehrere neue Steuern nebst einer Erhöhung der Tabaksteuer um nahezu 30 Millionen Mark in Vorschlag, und sie be¬ zeichnen diesen Vorschlag als den Anfang der allgemein als unumgänglich nothwendig empfundenen Steuerreform. Dem Anscheine nach hätte also die diesmalige Budgetdebatte, da die neuen Steuern, wie gesagt, bereits zur Deckung des angeblichen Defizits von 1878/79 in Aussicht genommen waren, zugleich die große Frage der Steuerreform in ihrem ganzen Umfange erör¬ tern müssen. Allein, es war doch zweierlei zu erwägen: einmal, ob die vorliegenden Steuerprojekte wirklich als rationelle Grundlage einer Steuerreform betrachtet werden können, oder ob sie sich nicht vielmehr als eine bloße Steuererhöhung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/355>, abgerufen am 15.05.2024.