Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

charakterisiren; sodann, ob sie im letzteren Falle zur Balancirung des vor¬
liegenden Budgets wirklich unumgänglich sind.

Die Forderungen, denen ein Steuerreformprojekt unter dem Gesichtspunkte
der Reichspolitik zu genügen hat, sind, ganz allgemein gefaßt: Vermehrung der
eigenen Einnahmen des Reiches und dem entsprechende Entlastung der Einzel¬
staaten. Die Matrikularbeiträge müssen, wenn nicht ganz beseitigt, so doch auf
einen verhältnißmäßig geringfügigen Maximalbetrag reduzirt, die eigenen Ein¬
nahmen des Reiches aber dermaßen fundirt werden, daß dasselbe eventuell noch
Ueberschüsse an die Einzelstaaten abgeben kann. Wo die Quelle für die Ver¬
mehrung der eigenen Einnahmen des Reiches zu suchen ist, darüber herrscht in
der öffentlichen Meinung heutzutage so ziemlich Uebereinstimmung, nämlich auf
dem Gebiete der indirekten Besteuerung. Ueber die Punkte, an welchen hier
der Hebel am zweckmäßigsten anzusetzen ist, zerbricht man sich seit Jahren den
Kopf. Heute wird indeß kaum jemand noch ernstlich bestreikn wollen, daß
das einzige Objekt, welches für die Steuerkasse in wahrhaft großartigem Ma߬
stabe ertragsfähiger gemacht werden kann, der Tabak ist. Ebenso sehr wird
aber Jeder anerkennen müssen, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf betreffend
die Besteuerung des Tabaks in keiner Weise als eine diesem Zwecke entsprechende
Maßregel betrachtet werden kann. Nach dem Negieruugsanschlage sollen durch
denselben die Einnahmen aus dem Tabak um 30 Millionen erhöht werden.
Mit den nothdürftig zusammengebrachten Stempelsteuerprojekten beläuft sich die
in Aussicht genommene Vermehrung der Reichseinnahmen im Ganzen auf
43 Millionen M., das heißt, es würden dadurch die Matrikularbeiträge nach
der eigenen Berechnung der Regierungen im besten Falle auf die Höhe, welche
sie im Jahre 1876 hatten, herabgemindert werden. Von einer Entlastung der
Einzelstaaten in dem Umfange, wie sie ein wirklicher Stenerreformplan in Aus¬
sicht nehmen müßte, kann hier also gar nicht die Rede sein. Anders läge die
Sache, wenn der Ertrag der Tabakssteuer auf der Basis des jetzt vorliegenden
Entwurfs in Zukunft beliebig erhöht werden könnte. Aber die Regierungsmotive
gestehen selbst, daß dies nicht möglich sein würde, daß man vielmehr zu diesem
Zwecke entweder zu dem amerikanischen Besteuerungssystem oder zum Monopole
werde greifen müssen. Damit beantwortet sich die oben gestellte Frage von
selbst dahin, daß die gegenwärtigen Steuervorlagen nicht die Grundlage einer
wirklichen Steuer reform, sondern lediglich einer Steuer Vermehrung darstellen.

Die Entscheidung der weiteren Frage, ob eine solche Vermehrung durch
die dermalige Finanzlage unausweichlich bedingt sei, hängt einerseits davon ab,
ob die Etatsansätze, auf Grund welcher jenes Defizit von 28 Millionen be¬
rechnet wird, unanfechtbar sind, andererseits davon, ob eventuell die Deckung
dieses Defizits im Wege der Matrikularbeiträge schlechterdings nicht angeht.


charakterisiren; sodann, ob sie im letzteren Falle zur Balancirung des vor¬
liegenden Budgets wirklich unumgänglich sind.

Die Forderungen, denen ein Steuerreformprojekt unter dem Gesichtspunkte
der Reichspolitik zu genügen hat, sind, ganz allgemein gefaßt: Vermehrung der
eigenen Einnahmen des Reiches und dem entsprechende Entlastung der Einzel¬
staaten. Die Matrikularbeiträge müssen, wenn nicht ganz beseitigt, so doch auf
einen verhältnißmäßig geringfügigen Maximalbetrag reduzirt, die eigenen Ein¬
nahmen des Reiches aber dermaßen fundirt werden, daß dasselbe eventuell noch
Ueberschüsse an die Einzelstaaten abgeben kann. Wo die Quelle für die Ver¬
mehrung der eigenen Einnahmen des Reiches zu suchen ist, darüber herrscht in
der öffentlichen Meinung heutzutage so ziemlich Uebereinstimmung, nämlich auf
dem Gebiete der indirekten Besteuerung. Ueber die Punkte, an welchen hier
der Hebel am zweckmäßigsten anzusetzen ist, zerbricht man sich seit Jahren den
Kopf. Heute wird indeß kaum jemand noch ernstlich bestreikn wollen, daß
das einzige Objekt, welches für die Steuerkasse in wahrhaft großartigem Ma߬
stabe ertragsfähiger gemacht werden kann, der Tabak ist. Ebenso sehr wird
aber Jeder anerkennen müssen, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf betreffend
die Besteuerung des Tabaks in keiner Weise als eine diesem Zwecke entsprechende
Maßregel betrachtet werden kann. Nach dem Negieruugsanschlage sollen durch
denselben die Einnahmen aus dem Tabak um 30 Millionen erhöht werden.
Mit den nothdürftig zusammengebrachten Stempelsteuerprojekten beläuft sich die
in Aussicht genommene Vermehrung der Reichseinnahmen im Ganzen auf
43 Millionen M., das heißt, es würden dadurch die Matrikularbeiträge nach
der eigenen Berechnung der Regierungen im besten Falle auf die Höhe, welche
sie im Jahre 1876 hatten, herabgemindert werden. Von einer Entlastung der
Einzelstaaten in dem Umfange, wie sie ein wirklicher Stenerreformplan in Aus¬
sicht nehmen müßte, kann hier also gar nicht die Rede sein. Anders läge die
Sache, wenn der Ertrag der Tabakssteuer auf der Basis des jetzt vorliegenden
Entwurfs in Zukunft beliebig erhöht werden könnte. Aber die Regierungsmotive
gestehen selbst, daß dies nicht möglich sein würde, daß man vielmehr zu diesem
Zwecke entweder zu dem amerikanischen Besteuerungssystem oder zum Monopole
werde greifen müssen. Damit beantwortet sich die oben gestellte Frage von
selbst dahin, daß die gegenwärtigen Steuervorlagen nicht die Grundlage einer
wirklichen Steuer reform, sondern lediglich einer Steuer Vermehrung darstellen.

Die Entscheidung der weiteren Frage, ob eine solche Vermehrung durch
die dermalige Finanzlage unausweichlich bedingt sei, hängt einerseits davon ab,
ob die Etatsansätze, auf Grund welcher jenes Defizit von 28 Millionen be¬
rechnet wird, unanfechtbar sind, andererseits davon, ob eventuell die Deckung
dieses Defizits im Wege der Matrikularbeiträge schlechterdings nicht angeht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139649"/>
          <p xml:id="ID_1024" prev="#ID_1023"> charakterisiren; sodann, ob sie im letzteren Falle zur Balancirung des vor¬<lb/>
liegenden Budgets wirklich unumgänglich sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1025"> Die Forderungen, denen ein Steuerreformprojekt unter dem Gesichtspunkte<lb/>
der Reichspolitik zu genügen hat, sind, ganz allgemein gefaßt: Vermehrung der<lb/>
eigenen Einnahmen des Reiches und dem entsprechende Entlastung der Einzel¬<lb/>
staaten. Die Matrikularbeiträge müssen, wenn nicht ganz beseitigt, so doch auf<lb/>
einen verhältnißmäßig geringfügigen Maximalbetrag reduzirt, die eigenen Ein¬<lb/>
nahmen des Reiches aber dermaßen fundirt werden, daß dasselbe eventuell noch<lb/>
Ueberschüsse an die Einzelstaaten abgeben kann. Wo die Quelle für die Ver¬<lb/>
mehrung der eigenen Einnahmen des Reiches zu suchen ist, darüber herrscht in<lb/>
der öffentlichen Meinung heutzutage so ziemlich Uebereinstimmung, nämlich auf<lb/>
dem Gebiete der indirekten Besteuerung. Ueber die Punkte, an welchen hier<lb/>
der Hebel am zweckmäßigsten anzusetzen ist, zerbricht man sich seit Jahren den<lb/>
Kopf. Heute wird indeß kaum jemand noch ernstlich bestreikn wollen, daß<lb/>
das einzige Objekt, welches für die Steuerkasse in wahrhaft großartigem Ma߬<lb/>
stabe ertragsfähiger gemacht werden kann, der Tabak ist. Ebenso sehr wird<lb/>
aber Jeder anerkennen müssen, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf betreffend<lb/>
die Besteuerung des Tabaks in keiner Weise als eine diesem Zwecke entsprechende<lb/>
Maßregel betrachtet werden kann. Nach dem Negieruugsanschlage sollen durch<lb/>
denselben die Einnahmen aus dem Tabak um 30 Millionen erhöht werden.<lb/>
Mit den nothdürftig zusammengebrachten Stempelsteuerprojekten beläuft sich die<lb/>
in Aussicht genommene Vermehrung der Reichseinnahmen im Ganzen auf<lb/>
43 Millionen M., das heißt, es würden dadurch die Matrikularbeiträge nach<lb/>
der eigenen Berechnung der Regierungen im besten Falle auf die Höhe, welche<lb/>
sie im Jahre 1876 hatten, herabgemindert werden. Von einer Entlastung der<lb/>
Einzelstaaten in dem Umfange, wie sie ein wirklicher Stenerreformplan in Aus¬<lb/>
sicht nehmen müßte, kann hier also gar nicht die Rede sein. Anders läge die<lb/>
Sache, wenn der Ertrag der Tabakssteuer auf der Basis des jetzt vorliegenden<lb/>
Entwurfs in Zukunft beliebig erhöht werden könnte. Aber die Regierungsmotive<lb/>
gestehen selbst, daß dies nicht möglich sein würde, daß man vielmehr zu diesem<lb/>
Zwecke entweder zu dem amerikanischen Besteuerungssystem oder zum Monopole<lb/>
werde greifen müssen. Damit beantwortet sich die oben gestellte Frage von<lb/>
selbst dahin, daß die gegenwärtigen Steuervorlagen nicht die Grundlage einer<lb/>
wirklichen Steuer reform, sondern lediglich einer Steuer Vermehrung darstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Die Entscheidung der weiteren Frage, ob eine solche Vermehrung durch<lb/>
die dermalige Finanzlage unausweichlich bedingt sei, hängt einerseits davon ab,<lb/>
ob die Etatsansätze, auf Grund welcher jenes Defizit von 28 Millionen be¬<lb/>
rechnet wird, unanfechtbar sind, andererseits davon, ob eventuell die Deckung<lb/>
dieses Defizits im Wege der Matrikularbeiträge schlechterdings nicht angeht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] charakterisiren; sodann, ob sie im letzteren Falle zur Balancirung des vor¬ liegenden Budgets wirklich unumgänglich sind. Die Forderungen, denen ein Steuerreformprojekt unter dem Gesichtspunkte der Reichspolitik zu genügen hat, sind, ganz allgemein gefaßt: Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reiches und dem entsprechende Entlastung der Einzel¬ staaten. Die Matrikularbeiträge müssen, wenn nicht ganz beseitigt, so doch auf einen verhältnißmäßig geringfügigen Maximalbetrag reduzirt, die eigenen Ein¬ nahmen des Reiches aber dermaßen fundirt werden, daß dasselbe eventuell noch Ueberschüsse an die Einzelstaaten abgeben kann. Wo die Quelle für die Ver¬ mehrung der eigenen Einnahmen des Reiches zu suchen ist, darüber herrscht in der öffentlichen Meinung heutzutage so ziemlich Uebereinstimmung, nämlich auf dem Gebiete der indirekten Besteuerung. Ueber die Punkte, an welchen hier der Hebel am zweckmäßigsten anzusetzen ist, zerbricht man sich seit Jahren den Kopf. Heute wird indeß kaum jemand noch ernstlich bestreikn wollen, daß das einzige Objekt, welches für die Steuerkasse in wahrhaft großartigem Ma߬ stabe ertragsfähiger gemacht werden kann, der Tabak ist. Ebenso sehr wird aber Jeder anerkennen müssen, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf betreffend die Besteuerung des Tabaks in keiner Weise als eine diesem Zwecke entsprechende Maßregel betrachtet werden kann. Nach dem Negieruugsanschlage sollen durch denselben die Einnahmen aus dem Tabak um 30 Millionen erhöht werden. Mit den nothdürftig zusammengebrachten Stempelsteuerprojekten beläuft sich die in Aussicht genommene Vermehrung der Reichseinnahmen im Ganzen auf 43 Millionen M., das heißt, es würden dadurch die Matrikularbeiträge nach der eigenen Berechnung der Regierungen im besten Falle auf die Höhe, welche sie im Jahre 1876 hatten, herabgemindert werden. Von einer Entlastung der Einzelstaaten in dem Umfange, wie sie ein wirklicher Stenerreformplan in Aus¬ sicht nehmen müßte, kann hier also gar nicht die Rede sein. Anders läge die Sache, wenn der Ertrag der Tabakssteuer auf der Basis des jetzt vorliegenden Entwurfs in Zukunft beliebig erhöht werden könnte. Aber die Regierungsmotive gestehen selbst, daß dies nicht möglich sein würde, daß man vielmehr zu diesem Zwecke entweder zu dem amerikanischen Besteuerungssystem oder zum Monopole werde greifen müssen. Damit beantwortet sich die oben gestellte Frage von selbst dahin, daß die gegenwärtigen Steuervorlagen nicht die Grundlage einer wirklichen Steuer reform, sondern lediglich einer Steuer Vermehrung darstellen. Die Entscheidung der weiteren Frage, ob eine solche Vermehrung durch die dermalige Finanzlage unausweichlich bedingt sei, hängt einerseits davon ab, ob die Etatsansätze, auf Grund welcher jenes Defizit von 28 Millionen be¬ rechnet wird, unanfechtbar sind, andererseits davon, ob eventuell die Deckung dieses Defizits im Wege der Matrikularbeiträge schlechterdings nicht angeht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/356>, abgerufen am 14.05.2024.