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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ohne nach geistreichen Einleitungsgedanken zu haschen, auf die Sache selbst ein¬
gehen.

Die Erzeugnisse unserer Tagesliteratur sind ihrer größeren Masse nach zur
Waare, zur Waare im allertraurigsten Sinn des Wortes herabgesunken. Wer
daran etwa noch zweifelt, der werfe einen Blick in irgend eine Nummer des
"Zeitungs-Kurier, Organ für Zeitungsverleger, Redaktionen, Verlagsbuchhänd¬
ler, Schriftsteller und dramatische Autoren". Wir sind weit entfernt, die Hal¬
tung und Leitung dieses Blattes, das mit 1877 seinen ersten Jahrgang
abgeschlossen hat, irgendwie bemängeln zu wollen. Eine gewisse Biederkeit
Schriftstellern und Buchhändlern gegenüber ist darin unverkennbar. Aber das
Dasein eines solchen Blattes, das vom 1. Jan. 1878 an in bedeutend ver¬
größertem Format erscheint, ist ein betrübendes Zeichen, welcher Barbarei unser
Kulturleben in seinen feinsten Ausläufern entgegengeht. Denn den Kern dieses
Blattes bildet, von einigen recht lesenswerthen Artikeln abgesehen, der Manu-
skripten-Markt, euphemistisch "Novitätenliste für den Zeitungs-Verlag" ge¬
nannt. Wie in der Gemüsehalle sind hier die neuesten Erzeugnisse unserer
"Autoren" -- womöglich gleich Dutzendweise zusammengebunden, wie die
Zwiebeln --, unter viel versprechenden Titeln, zuweilen mit zweckmäßigen An¬
deutungen versehen (wie z. B., daß der "Pauckbruder" "für Universitätsstädte"
passen dürfte), in fast unübersehbarer Reihe ausgestellt. Muß da nicht einem
richtigen Zeitungsverleger das Herz im Leibe lachen? Wenn er zugreifen
will, erhält er "umgehend Zusendung der Manuskripte zur Prüfung unter
Angabe des bezüglichen Honorars". Binnen 14 Tagen muß er sich entschei¬
den, ob er das Manuskript abdrucken will, eventuell es zurücksenden. -- Noch
trauriger aber wird's, wenn wir den Annoncentheil des Zeitungs-Kuriers aus¬
schlagen. Hier bietet nicht etwa blos Dr. John Robim sein Gehörst gegen
Schwerhörigkeit, Taubheit, Sausen und Brausen :c. und ein Herr Schlörke
seine verbesserte Erbswurst, sondern auch das "Literarische Centralbureau,
Berlin das der Zeitungs-Kurier herausgiebt, bietet "das neueste
Opus eines gefeierten Klassikers, 25--30 Feuilletons", "zum Abdruck in Zei¬
tungen" an, macht bekannt, daß "eine zur Hälfte erschienene geistvolle Original¬
novelle schon jetzt für den weiteren Abdruck durch uns zu beziehen" ist.
-- So etwas ist möglich beim Volk der Denker und Dichter! Man
wird sich gewöhnen müssen, uns "das Volk der Dichter und Trachter" zu
nennen. Was wird denn die Folge dieses Schachers, dieses Trödelmarktes
sein? Wir wollen, um ganz gerecht zu verfahren, zuerst ein paar heilsame
Folgen erwägen, von denen die Einrichtung möglicherweise begleitet sein
könnte. Der Schriftsteller scheint gegen die Ausbeutung durch gewissenlose,
gegen die unverdiente Ignorirung seitens gleichgiltiger Zeitungsverleger einiger-


ohne nach geistreichen Einleitungsgedanken zu haschen, auf die Sache selbst ein¬
gehen.

Die Erzeugnisse unserer Tagesliteratur sind ihrer größeren Masse nach zur
Waare, zur Waare im allertraurigsten Sinn des Wortes herabgesunken. Wer
daran etwa noch zweifelt, der werfe einen Blick in irgend eine Nummer des
„Zeitungs-Kurier, Organ für Zeitungsverleger, Redaktionen, Verlagsbuchhänd¬
ler, Schriftsteller und dramatische Autoren". Wir sind weit entfernt, die Hal¬
tung und Leitung dieses Blattes, das mit 1877 seinen ersten Jahrgang
abgeschlossen hat, irgendwie bemängeln zu wollen. Eine gewisse Biederkeit
Schriftstellern und Buchhändlern gegenüber ist darin unverkennbar. Aber das
Dasein eines solchen Blattes, das vom 1. Jan. 1878 an in bedeutend ver¬
größertem Format erscheint, ist ein betrübendes Zeichen, welcher Barbarei unser
Kulturleben in seinen feinsten Ausläufern entgegengeht. Denn den Kern dieses
Blattes bildet, von einigen recht lesenswerthen Artikeln abgesehen, der Manu-
skripten-Markt, euphemistisch „Novitätenliste für den Zeitungs-Verlag" ge¬
nannt. Wie in der Gemüsehalle sind hier die neuesten Erzeugnisse unserer
„Autoren" — womöglich gleich Dutzendweise zusammengebunden, wie die
Zwiebeln —, unter viel versprechenden Titeln, zuweilen mit zweckmäßigen An¬
deutungen versehen (wie z. B., daß der „Pauckbruder" „für Universitätsstädte"
passen dürfte), in fast unübersehbarer Reihe ausgestellt. Muß da nicht einem
richtigen Zeitungsverleger das Herz im Leibe lachen? Wenn er zugreifen
will, erhält er „umgehend Zusendung der Manuskripte zur Prüfung unter
Angabe des bezüglichen Honorars". Binnen 14 Tagen muß er sich entschei¬
den, ob er das Manuskript abdrucken will, eventuell es zurücksenden. — Noch
trauriger aber wird's, wenn wir den Annoncentheil des Zeitungs-Kuriers aus¬
schlagen. Hier bietet nicht etwa blos Dr. John Robim sein Gehörst gegen
Schwerhörigkeit, Taubheit, Sausen und Brausen :c. und ein Herr Schlörke
seine verbesserte Erbswurst, sondern auch das „Literarische Centralbureau,
Berlin das der Zeitungs-Kurier herausgiebt, bietet „das neueste
Opus eines gefeierten Klassikers, 25—30 Feuilletons", „zum Abdruck in Zei¬
tungen" an, macht bekannt, daß „eine zur Hälfte erschienene geistvolle Original¬
novelle schon jetzt für den weiteren Abdruck durch uns zu beziehen" ist.
— So etwas ist möglich beim Volk der Denker und Dichter! Man
wird sich gewöhnen müssen, uns „das Volk der Dichter und Trachter" zu
nennen. Was wird denn die Folge dieses Schachers, dieses Trödelmarktes
sein? Wir wollen, um ganz gerecht zu verfahren, zuerst ein paar heilsame
Folgen erwägen, von denen die Einrichtung möglicherweise begleitet sein
könnte. Der Schriftsteller scheint gegen die Ausbeutung durch gewissenlose,
gegen die unverdiente Ignorirung seitens gleichgiltiger Zeitungsverleger einiger-


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[0358] ohne nach geistreichen Einleitungsgedanken zu haschen, auf die Sache selbst ein¬ gehen. Die Erzeugnisse unserer Tagesliteratur sind ihrer größeren Masse nach zur Waare, zur Waare im allertraurigsten Sinn des Wortes herabgesunken. Wer daran etwa noch zweifelt, der werfe einen Blick in irgend eine Nummer des „Zeitungs-Kurier, Organ für Zeitungsverleger, Redaktionen, Verlagsbuchhänd¬ ler, Schriftsteller und dramatische Autoren". Wir sind weit entfernt, die Hal¬ tung und Leitung dieses Blattes, das mit 1877 seinen ersten Jahrgang abgeschlossen hat, irgendwie bemängeln zu wollen. Eine gewisse Biederkeit Schriftstellern und Buchhändlern gegenüber ist darin unverkennbar. Aber das Dasein eines solchen Blattes, das vom 1. Jan. 1878 an in bedeutend ver¬ größertem Format erscheint, ist ein betrübendes Zeichen, welcher Barbarei unser Kulturleben in seinen feinsten Ausläufern entgegengeht. Denn den Kern dieses Blattes bildet, von einigen recht lesenswerthen Artikeln abgesehen, der Manu- skripten-Markt, euphemistisch „Novitätenliste für den Zeitungs-Verlag" ge¬ nannt. Wie in der Gemüsehalle sind hier die neuesten Erzeugnisse unserer „Autoren" — womöglich gleich Dutzendweise zusammengebunden, wie die Zwiebeln —, unter viel versprechenden Titeln, zuweilen mit zweckmäßigen An¬ deutungen versehen (wie z. B., daß der „Pauckbruder" „für Universitätsstädte" passen dürfte), in fast unübersehbarer Reihe ausgestellt. Muß da nicht einem richtigen Zeitungsverleger das Herz im Leibe lachen? Wenn er zugreifen will, erhält er „umgehend Zusendung der Manuskripte zur Prüfung unter Angabe des bezüglichen Honorars". Binnen 14 Tagen muß er sich entschei¬ den, ob er das Manuskript abdrucken will, eventuell es zurücksenden. — Noch trauriger aber wird's, wenn wir den Annoncentheil des Zeitungs-Kuriers aus¬ schlagen. Hier bietet nicht etwa blos Dr. John Robim sein Gehörst gegen Schwerhörigkeit, Taubheit, Sausen und Brausen :c. und ein Herr Schlörke seine verbesserte Erbswurst, sondern auch das „Literarische Centralbureau, Berlin das der Zeitungs-Kurier herausgiebt, bietet „das neueste Opus eines gefeierten Klassikers, 25—30 Feuilletons", „zum Abdruck in Zei¬ tungen" an, macht bekannt, daß „eine zur Hälfte erschienene geistvolle Original¬ novelle schon jetzt für den weiteren Abdruck durch uns zu beziehen" ist. — So etwas ist möglich beim Volk der Denker und Dichter! Man wird sich gewöhnen müssen, uns „das Volk der Dichter und Trachter" zu nennen. Was wird denn die Folge dieses Schachers, dieses Trödelmarktes sein? Wir wollen, um ganz gerecht zu verfahren, zuerst ein paar heilsame Folgen erwägen, von denen die Einrichtung möglicherweise begleitet sein könnte. Der Schriftsteller scheint gegen die Ausbeutung durch gewissenlose, gegen die unverdiente Ignorirung seitens gleichgiltiger Zeitungsverleger einiger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/358>, abgerufen am 14.05.2024.