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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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maßen geschützt zu sein. Er kommt vielleicht ein paar Jahre früher zu einem
"Namen", der, um mit dem Zeitungs-Kurier zu reden, "Alles gilt"; er kommt
ein paar Jahre früher -- sagen wir's gerade heraus, zu seinem Geld, wenn
er sich entschließt, seine Geistesprodukte in der angedeuteten Weise auf den
Markt zu werfen. Allein ein liter arisch er Charakter wird sich nur im
Strom des literarischen Lebens selbst, nicht im stillen Hafen des
Manuskript-Marktes bilden. -- Dem Schriftsteller ist vielleicht der Ver¬
druß erspart, seine halbvergilbten Manuskripte von säumigen Redaktionen
zurückzufordern, oder sie unstät und flüchtig von einem Redaktionsbüreau
zum audern wandern zu lassen. Aber was hier auf der einen Seite an
äußerlichen Vortheil gewonnen ist, das ist auf der andern Seite unwi-
derbringlich verloren, indem eben durch die Vermittlung des "Vermittlungs¬
organs" die persönliche Fühlung zwischen Schriftsteller und Zeitungsverleger,
das persönliche gegenseitige Vertrauen, das unseres Trachtens die Lebensluft
einer gesunden Journalistik ist, abgestumpft und schließlich ertödtet wird. --
Vielleicht -- und das wäre in der That kein geringes Verdienst -- wird durch
das Vermittlungsorgan manches Geistesprodukt, dem man von vornherein
keine andere Bezeichnung geben kann als die: "vor Druck zu bewahren" --
in der Stille abgewürgt, ehe es gespensterhaft von Redaktion zu Redaktion
wandert, ehe die Welt durch seine Veröffentlichung behelligt wird. Wenn wir
aber auf dem Manuskriptemarkt Artikel angeboten finden, welche die Etquette
tragen: "Eine Tingel-Tangel-Gesellschaft," "Der Don-Juan-Klub," "Die
Brautnacht" und hart daneben "eine Nebenbuhlerin," so wird wenigstens der
Zweifel erlaubt sein, ob nicht die obenangedeutete Hoffnung eine trügerische
ist. -- Also was wird bei der ganzen Einrichtung herauskommen? Herab¬
würdigung schriftstellerischer Produkte zur gemeinen Dutzendwaare, zur Fab¬
rikwaare, Forderung der "Mache", unter der unsere Tagesliteratur schon
bisher genug gelitten hat, Ueberwuchern der Mittelmäßigkeit, Schrift-
stellerei um des Gelderwerbs und abermals um des Gelderwerbs willen!
"Heutzutage, wo die Schriftstellern keine Lieblingsbeschäftigung in müßigen
Stunden, sondern ein Erwerbszweig ist, muß vor allen Dingen" u. s. w. --
mit diesen Worten beginnt ein "die Leidensgeschichte der Manuskripte" betitelter,
im übrigen recht lesenswerther Aussatz des "Zeitungs-Kuriers". -- Doch halt,
daß wir nicht ungerecht sind, wenn wir sagen, die Mittelmäßigkeit werde durch
das Vermittluugsorgan groß gezogen! Wir sind ja oben einem "gefeierten
Klassiker" begegnet. Es ist Carl Gutzkow, und -- die Fata, die seinem
neuesten Opus begegeguet sind, seitdem das "Bureau" beauftragt war, dasselbe
"zum Abdruck in Zeitungen zu vergeben", find interessant genug. In einer
süddeutschen Stadt erscheinen zwei Tagesblätter, die einander im großen Ganzen


maßen geschützt zu sein. Er kommt vielleicht ein paar Jahre früher zu einem
„Namen", der, um mit dem Zeitungs-Kurier zu reden, „Alles gilt"; er kommt
ein paar Jahre früher — sagen wir's gerade heraus, zu seinem Geld, wenn
er sich entschließt, seine Geistesprodukte in der angedeuteten Weise auf den
Markt zu werfen. Allein ein liter arisch er Charakter wird sich nur im
Strom des literarischen Lebens selbst, nicht im stillen Hafen des
Manuskript-Marktes bilden. — Dem Schriftsteller ist vielleicht der Ver¬
druß erspart, seine halbvergilbten Manuskripte von säumigen Redaktionen
zurückzufordern, oder sie unstät und flüchtig von einem Redaktionsbüreau
zum audern wandern zu lassen. Aber was hier auf der einen Seite an
äußerlichen Vortheil gewonnen ist, das ist auf der andern Seite unwi-
derbringlich verloren, indem eben durch die Vermittlung des „Vermittlungs¬
organs" die persönliche Fühlung zwischen Schriftsteller und Zeitungsverleger,
das persönliche gegenseitige Vertrauen, das unseres Trachtens die Lebensluft
einer gesunden Journalistik ist, abgestumpft und schließlich ertödtet wird. —
Vielleicht — und das wäre in der That kein geringes Verdienst — wird durch
das Vermittlungsorgan manches Geistesprodukt, dem man von vornherein
keine andere Bezeichnung geben kann als die: „vor Druck zu bewahren" —
in der Stille abgewürgt, ehe es gespensterhaft von Redaktion zu Redaktion
wandert, ehe die Welt durch seine Veröffentlichung behelligt wird. Wenn wir
aber auf dem Manuskriptemarkt Artikel angeboten finden, welche die Etquette
tragen: „Eine Tingel-Tangel-Gesellschaft," „Der Don-Juan-Klub," „Die
Brautnacht" und hart daneben „eine Nebenbuhlerin," so wird wenigstens der
Zweifel erlaubt sein, ob nicht die obenangedeutete Hoffnung eine trügerische
ist. — Also was wird bei der ganzen Einrichtung herauskommen? Herab¬
würdigung schriftstellerischer Produkte zur gemeinen Dutzendwaare, zur Fab¬
rikwaare, Forderung der „Mache", unter der unsere Tagesliteratur schon
bisher genug gelitten hat, Ueberwuchern der Mittelmäßigkeit, Schrift-
stellerei um des Gelderwerbs und abermals um des Gelderwerbs willen!
„Heutzutage, wo die Schriftstellern keine Lieblingsbeschäftigung in müßigen
Stunden, sondern ein Erwerbszweig ist, muß vor allen Dingen" u. s. w. —
mit diesen Worten beginnt ein „die Leidensgeschichte der Manuskripte" betitelter,
im übrigen recht lesenswerther Aussatz des „Zeitungs-Kuriers". — Doch halt,
daß wir nicht ungerecht sind, wenn wir sagen, die Mittelmäßigkeit werde durch
das Vermittluugsorgan groß gezogen! Wir sind ja oben einem „gefeierten
Klassiker" begegnet. Es ist Carl Gutzkow, und — die Fata, die seinem
neuesten Opus begegeguet sind, seitdem das „Bureau" beauftragt war, dasselbe
„zum Abdruck in Zeitungen zu vergeben", find interessant genug. In einer
süddeutschen Stadt erscheinen zwei Tagesblätter, die einander im großen Ganzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/359>, abgerufen am 29.05.2024.