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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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die politische Machtentwickelung des boiotischen Bundesstaates so schnell und
glorreich zur Geltung kam: denn in den meisten anderen Staaten hatte in¬
zwischen das Söldnerweseu in immer wachsendem Umfange zugenommen und
die alte volksthümliche Bewaffnung mehr und mehr in den Hintergrund
gedrängt.

Wie schon früher waren Achaici, besonders aber Arkadien und Kreta die
Hauptbezugsquellen für Söldlinge; noch reichlicher strömten den Cvndottieren
jedoch jene Heimathlosen zu, welche Parteikämpfe ihres eigenen Heerdes be¬
raubt. In dieser Beziehung hatte sich das Elend in Hellas beständig gesteigert.
Jsokrates behauptete von seiner Zeit, daß es damals mehr Verbannte und
Flüchtlinge aus einer einzigen Stadt gegeben habe, als früher aus dem gan¬
zen Peloponnes. "Keiner bedauert es", so sagt er, "daß Viele, vom Hunger
gezwungen, für Feinde gegen Freunde fechtend, sterben; aber über das Un¬
glück, welches die Dichter ersinnen, werden Thränen vergossen." Wie schnell
übrigens die Zahl der Landsknechte seit dem Ende des peloponnesischen Krieges
bis zu den Tagen des Jsokrates, also in kaum sechzig Jahren, zugenommen,
lehrt seine Behauptung, daß noch zur Zeit des jüngeren Kurusch Diejenigen,
welche in deu Städten werben ließen, mehr Geld auf die Geschenke verwenden
mußten, die den Werbern zu geben waren, als ans den Sold für die Mann¬
schaft, während zu seiner Zeit sogleich ganze Schaaren von Miethlingen sich
willig antrügen. *)

Die Art, wie die Söldnerheere für einen Feldzug aufgebracht wurden,
läßt sich am besten ans der "Anabasis" des Xenophon erkennen, zumal wenn
man die "Kriegslisten" Polyains als Ergänzung heranzieht. Sie hat große
Ähnlichkeit mit der Werbung der Landsknechte in der Renaissancezeit. Um
ein Heer errichten zu können, bedürfte man erstlich eines Feldherrn, dessen
Name von gutem Klänge war und zweitens vielen Geldes. Geübte Kriegs¬
männer übernahmen es, je einen Haufen von 100 Mann zusammen zu bringen,
den sie Lochos nannten, und zwar unter der Bedingung, denselben nachher
als Lochage zu führen. So gab der jüngere Kurusch dem spartanischen Flücht¬
ling Klearch und dem Boiotier Proxeros Auftrag und Geld, Werbungen zu
veranstalten. Jene erlangten dadurch zugleich den Anspruch auf die obersten
Befehlshaberstellen und sandten nun wieder Offiziere ihrer Wahl aus, um die
einzelnen Löcher anzuwerben. Der eine warb Hopliten, der andere Peltasten,
der dritte Bogenschützen und Schleuderer. Zuweilen traten ihnen Unterhaupt¬
leute, Lieutenants, zur Seite, und der Feldherr, auf dessen militärischen Kre¬
dit hin sie warben, übernahm als Strategos, als Oberster, den Gesammtbefehl



Giill, a, a, O.

die politische Machtentwickelung des boiotischen Bundesstaates so schnell und
glorreich zur Geltung kam: denn in den meisten anderen Staaten hatte in¬
zwischen das Söldnerweseu in immer wachsendem Umfange zugenommen und
die alte volksthümliche Bewaffnung mehr und mehr in den Hintergrund
gedrängt.

Wie schon früher waren Achaici, besonders aber Arkadien und Kreta die
Hauptbezugsquellen für Söldlinge; noch reichlicher strömten den Cvndottieren
jedoch jene Heimathlosen zu, welche Parteikämpfe ihres eigenen Heerdes be¬
raubt. In dieser Beziehung hatte sich das Elend in Hellas beständig gesteigert.
Jsokrates behauptete von seiner Zeit, daß es damals mehr Verbannte und
Flüchtlinge aus einer einzigen Stadt gegeben habe, als früher aus dem gan¬
zen Peloponnes. „Keiner bedauert es", so sagt er, „daß Viele, vom Hunger
gezwungen, für Feinde gegen Freunde fechtend, sterben; aber über das Un¬
glück, welches die Dichter ersinnen, werden Thränen vergossen." Wie schnell
übrigens die Zahl der Landsknechte seit dem Ende des peloponnesischen Krieges
bis zu den Tagen des Jsokrates, also in kaum sechzig Jahren, zugenommen,
lehrt seine Behauptung, daß noch zur Zeit des jüngeren Kurusch Diejenigen,
welche in deu Städten werben ließen, mehr Geld auf die Geschenke verwenden
mußten, die den Werbern zu geben waren, als ans den Sold für die Mann¬
schaft, während zu seiner Zeit sogleich ganze Schaaren von Miethlingen sich
willig antrügen. *)

Die Art, wie die Söldnerheere für einen Feldzug aufgebracht wurden,
läßt sich am besten ans der „Anabasis" des Xenophon erkennen, zumal wenn
man die „Kriegslisten" Polyains als Ergänzung heranzieht. Sie hat große
Ähnlichkeit mit der Werbung der Landsknechte in der Renaissancezeit. Um
ein Heer errichten zu können, bedürfte man erstlich eines Feldherrn, dessen
Name von gutem Klänge war und zweitens vielen Geldes. Geübte Kriegs¬
männer übernahmen es, je einen Haufen von 100 Mann zusammen zu bringen,
den sie Lochos nannten, und zwar unter der Bedingung, denselben nachher
als Lochage zu führen. So gab der jüngere Kurusch dem spartanischen Flücht¬
ling Klearch und dem Boiotier Proxeros Auftrag und Geld, Werbungen zu
veranstalten. Jene erlangten dadurch zugleich den Anspruch auf die obersten
Befehlshaberstellen und sandten nun wieder Offiziere ihrer Wahl aus, um die
einzelnen Löcher anzuwerben. Der eine warb Hopliten, der andere Peltasten,
der dritte Bogenschützen und Schleuderer. Zuweilen traten ihnen Unterhaupt¬
leute, Lieutenants, zur Seite, und der Feldherr, auf dessen militärischen Kre¬
dit hin sie warben, übernahm als Strategos, als Oberster, den Gesammtbefehl



Giill, a, a, O.
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[0388] die politische Machtentwickelung des boiotischen Bundesstaates so schnell und glorreich zur Geltung kam: denn in den meisten anderen Staaten hatte in¬ zwischen das Söldnerweseu in immer wachsendem Umfange zugenommen und die alte volksthümliche Bewaffnung mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Wie schon früher waren Achaici, besonders aber Arkadien und Kreta die Hauptbezugsquellen für Söldlinge; noch reichlicher strömten den Cvndottieren jedoch jene Heimathlosen zu, welche Parteikämpfe ihres eigenen Heerdes be¬ raubt. In dieser Beziehung hatte sich das Elend in Hellas beständig gesteigert. Jsokrates behauptete von seiner Zeit, daß es damals mehr Verbannte und Flüchtlinge aus einer einzigen Stadt gegeben habe, als früher aus dem gan¬ zen Peloponnes. „Keiner bedauert es", so sagt er, „daß Viele, vom Hunger gezwungen, für Feinde gegen Freunde fechtend, sterben; aber über das Un¬ glück, welches die Dichter ersinnen, werden Thränen vergossen." Wie schnell übrigens die Zahl der Landsknechte seit dem Ende des peloponnesischen Krieges bis zu den Tagen des Jsokrates, also in kaum sechzig Jahren, zugenommen, lehrt seine Behauptung, daß noch zur Zeit des jüngeren Kurusch Diejenigen, welche in deu Städten werben ließen, mehr Geld auf die Geschenke verwenden mußten, die den Werbern zu geben waren, als ans den Sold für die Mann¬ schaft, während zu seiner Zeit sogleich ganze Schaaren von Miethlingen sich willig antrügen. *) Die Art, wie die Söldnerheere für einen Feldzug aufgebracht wurden, läßt sich am besten ans der „Anabasis" des Xenophon erkennen, zumal wenn man die „Kriegslisten" Polyains als Ergänzung heranzieht. Sie hat große Ähnlichkeit mit der Werbung der Landsknechte in der Renaissancezeit. Um ein Heer errichten zu können, bedürfte man erstlich eines Feldherrn, dessen Name von gutem Klänge war und zweitens vielen Geldes. Geübte Kriegs¬ männer übernahmen es, je einen Haufen von 100 Mann zusammen zu bringen, den sie Lochos nannten, und zwar unter der Bedingung, denselben nachher als Lochage zu führen. So gab der jüngere Kurusch dem spartanischen Flücht¬ ling Klearch und dem Boiotier Proxeros Auftrag und Geld, Werbungen zu veranstalten. Jene erlangten dadurch zugleich den Anspruch auf die obersten Befehlshaberstellen und sandten nun wieder Offiziere ihrer Wahl aus, um die einzelnen Löcher anzuwerben. Der eine warb Hopliten, der andere Peltasten, der dritte Bogenschützen und Schleuderer. Zuweilen traten ihnen Unterhaupt¬ leute, Lieutenants, zur Seite, und der Feldherr, auf dessen militärischen Kre¬ dit hin sie warben, übernahm als Strategos, als Oberster, den Gesammtbefehl Giill, a, a, O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/388>, abgerufen am 13.05.2024.