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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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erhciltniß gesetzt waren, welches den damaligen Verhältnissen der Bischöfe zum
Papst nicht unähnlich ist. Auf einmal glaubte man in dem altehrwürdigen
Institute des Geheimenraths, der seit Jahrhunderten die Intelligenz der rein bür¬
gerlichem Bureaukratie des Landes repräsentirte, allen konstitutionellen Doktrinen
zum Trotze gewisse thatsächliche Garantien zu finden, deren Werth eben mehr
vom Standpunkte eines durch lebensfähige politische Parteien getragenen Staats¬
wesens, sondern einzig und allein vom Standpunkte der Herrschaft einer all¬
mächtigen Bureaukratie zu beurtheilen sei. Wie, wenn dieser ganze große
Apparat, dem gegenüber die Ständekammer selbst nur noch als eine von dieser
Bureaukratie selbst in der Verbindung mit dem allgemeinen Stimmrecht gezeugte
lebensunfähige Mißgeburt erscheint, wenn dieser ganze Apparat fernerhin nur
noch nach dem Willen eines Einzigen in Vertretung der Krone arbeiten sollte,
jeder Widerstand innerhalb der Bureaukratie selbst gebrochen war, welche
Gefahren mußte ein solcher Zustand mit sich führen? Wenn man auch alles
Vertrauen in die jetzigen Leiter der Regierung hatte, und wenn auch im
heutigen Deutschen Reich Zustände, wie sie Württemberg im vorigen Jahr¬
hundert unter einzelnen Günstlingen erlebt hat, nicht leicht wiederkehren können,
so lag doch die Gefahr nahe, daß die Macht, welche der neue Ministerpräsident
in seiner Hand zu vereinigen im Begriff war, von einem Nachfolger mißbraucht
werden konnte. Und dann ruht die protestantische Linie des Königshauses nur
noch auf wenigen Augen. Wenn der Fall eintreten sollte, daß die von
österreichischen und französischen Jesuiten erzogene katholische Linie zur Regierung
gelangt, dann wäre ja gerade der Geheimercith die Behörde, welche nach den
alten Religionsreversalien berufen war, das bischöfliche Recht des Landesherrn
in der protestantischen Kirche auszuüben; und diese Behörde sollte jetzt ans
ihrer einflußreichen historischen Stellung verdrängt, zu einem bloßen Schemen
verflüchtigt werden, um für einen Ministerpräsidenten Platz zu schaffen, der
zwar gewiß kein Ultramontaner aber doch immerhin Katholik ist und daher
gerade bei diesem Anlaß in den mißtrauischen altwürttembergischen Kreisen
Erinnerungen an das vorige Jahrhundert wachrufen mußte.

Gewiß waren die Argumente für die Kvnstitnirung eines besonderen
Verwaltungsgerichtshofs an sich betrachtet, schwer anzufechten. Ueberall
bekleidet man jetzt diese Gerichtshöfe mit den Vorrechten des Richteramts,
während die Geheimenrathe auf den Wink des Königs entlaßbar sind: anderer¬
seits war es aber auch uicht ganz unbegründet, wenn man sagte, jene Männer
aus deu höchsten Kreisen der Bureaukratie, welche ihre Karriere bereits abge-
schlossen haben, bieten thatsächlich eine größere Garantie unbeeinflußter Rechts¬
prechung als jüngere Streber in einem Verwaltungsgerichtshof mit allen
Garantien richterlicher Unabhängigkeit. Hatte nun auch der Entwurf, wie zu


Grenzboten I. 1878, S

erhciltniß gesetzt waren, welches den damaligen Verhältnissen der Bischöfe zum
Papst nicht unähnlich ist. Auf einmal glaubte man in dem altehrwürdigen
Institute des Geheimenraths, der seit Jahrhunderten die Intelligenz der rein bür¬
gerlichem Bureaukratie des Landes repräsentirte, allen konstitutionellen Doktrinen
zum Trotze gewisse thatsächliche Garantien zu finden, deren Werth eben mehr
vom Standpunkte eines durch lebensfähige politische Parteien getragenen Staats¬
wesens, sondern einzig und allein vom Standpunkte der Herrschaft einer all¬
mächtigen Bureaukratie zu beurtheilen sei. Wie, wenn dieser ganze große
Apparat, dem gegenüber die Ständekammer selbst nur noch als eine von dieser
Bureaukratie selbst in der Verbindung mit dem allgemeinen Stimmrecht gezeugte
lebensunfähige Mißgeburt erscheint, wenn dieser ganze Apparat fernerhin nur
noch nach dem Willen eines Einzigen in Vertretung der Krone arbeiten sollte,
jeder Widerstand innerhalb der Bureaukratie selbst gebrochen war, welche
Gefahren mußte ein solcher Zustand mit sich führen? Wenn man auch alles
Vertrauen in die jetzigen Leiter der Regierung hatte, und wenn auch im
heutigen Deutschen Reich Zustände, wie sie Württemberg im vorigen Jahr¬
hundert unter einzelnen Günstlingen erlebt hat, nicht leicht wiederkehren können,
so lag doch die Gefahr nahe, daß die Macht, welche der neue Ministerpräsident
in seiner Hand zu vereinigen im Begriff war, von einem Nachfolger mißbraucht
werden konnte. Und dann ruht die protestantische Linie des Königshauses nur
noch auf wenigen Augen. Wenn der Fall eintreten sollte, daß die von
österreichischen und französischen Jesuiten erzogene katholische Linie zur Regierung
gelangt, dann wäre ja gerade der Geheimercith die Behörde, welche nach den
alten Religionsreversalien berufen war, das bischöfliche Recht des Landesherrn
in der protestantischen Kirche auszuüben; und diese Behörde sollte jetzt ans
ihrer einflußreichen historischen Stellung verdrängt, zu einem bloßen Schemen
verflüchtigt werden, um für einen Ministerpräsidenten Platz zu schaffen, der
zwar gewiß kein Ultramontaner aber doch immerhin Katholik ist und daher
gerade bei diesem Anlaß in den mißtrauischen altwürttembergischen Kreisen
Erinnerungen an das vorige Jahrhundert wachrufen mußte.

Gewiß waren die Argumente für die Kvnstitnirung eines besonderen
Verwaltungsgerichtshofs an sich betrachtet, schwer anzufechten. Ueberall
bekleidet man jetzt diese Gerichtshöfe mit den Vorrechten des Richteramts,
während die Geheimenrathe auf den Wink des Königs entlaßbar sind: anderer¬
seits war es aber auch uicht ganz unbegründet, wenn man sagte, jene Männer
aus deu höchsten Kreisen der Bureaukratie, welche ihre Karriere bereits abge-
schlossen haben, bieten thatsächlich eine größere Garantie unbeeinflußter Rechts¬
prechung als jüngere Streber in einem Verwaltungsgerichtshof mit allen
Garantien richterlicher Unabhängigkeit. Hatte nun auch der Entwurf, wie zu


Grenzboten I. 1878, S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/41>, abgerufen am 15.05.2024.