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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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erwarten, abgesehen von Moritz Mohl, dem unermüdlichen Vorkämpfer für
altwürttembergische Einrichtungen, im Abgeordnetenhause keinen Widerstand
erfahren, so änderte sich doch plötzlich die Situation in der Kammer der
Standesherrn. Zum Glück für das Ministerium war zwar kurz vor der Be¬
rathung der Vorlage der aus dem Zollparlament bekannte, langjährige und
einflußreiche Präsident des Geheimenraths, vou Neurath, mit Tod abgegangen,
aber noch immer waren in unserem Herrenhause genug frondirende Exminister,
welche sich des Instituts annahmen und dasselbe gleichsam als den letzten un¬
abhängigen Körper in der württembergischen Verwaltung vertheidigten. Das
Land hatte in letzter Zeit auch sonst, namentlich in Finanzfragen, wiederholt
Gelegenheit, aus der Kammer der Standesherrn manches unerschrockene Wort
zu hören, für welches in der verdorbenen Atmosphäre des Abgeordnetenhauses
kaum mehr eine Stätte zu finden wäre. -- Genug, der neue Ministerpräsident
fühlte plötzlich, daß er auf einsamer Höhe stand. Es war ihm gelungen,
sämmtliche politische Parteien die ultramontane nicht ausgenommen gänzlich
lahm zu legen, die Minister selbst lagen zu seinen Füßen und nun stand er
plötzlich einem Gegner gegenüber, dessen Bedeutung sein Scharfblick nicht unter¬
schätzte, nämlich der personifizirten Bureaukratie selbst. Dem im Stillen
wirkenden Einfluß der Intrigue, der Familienkoterien gegenüber war selbst die
schlagfertigste Beredtsamkeit machtlos, auch schien das Netz bereits so fest ge¬
sponnen, daß es zu zerreißen nicht mehr möglich war. Kurz -- das Mini¬
sterium kapitulirte und, nahm die ihm von der Bureaukratie diktirten Beding¬
ungen an, welche durch ihre Monstrosität die Situation am besten klar legten.
An der Stelle des konsequent gedachten Entwurfs, sollten nun neben den
mit richterlicher Qualität ausgestatteten Mitgliedern des Verwaltungsgerichts¬
hofs noch zwei unbeschränkte entlaßbare Geheimerathsmitglieder in letzteren auf-
genommen werden. Es handelte sich hierbei offenbar gar nicht um das direkte
Interesse an der Sache: da die nunmehrige Funktion für die Geheimenrathe nicht
sonderlich einladend sein kann, sondern vielmehr darum, die Fortexistenz des
Geheimenraths, entgegen den Bestrebungen des Ministeriums, neuerdings formell
festzustellen. Um den wahren Sachverhalt nach Außen etwas zu mildern,
wurden zwar der Kapitulationsbedingung die Worte beigefügt "bis auf Wei¬
teres", es ist aber sehr die Frage, ob das Ministerium: nach den gemachten
Erfahrungen sobald wieder einen Anlauf nehmen wird, den geheimen Rath
aus der Welt zu schaffen.

Wir aber schließen diesen retrospektiven Bericht mit der Betrachtung, wie
ganz anders die Stellung des Ministeriums in dieser Frage gewesen wäre,
wenn es, statt einzelne "Führer" zu gewinnen und damit zu disreditiren,


erwarten, abgesehen von Moritz Mohl, dem unermüdlichen Vorkämpfer für
altwürttembergische Einrichtungen, im Abgeordnetenhause keinen Widerstand
erfahren, so änderte sich doch plötzlich die Situation in der Kammer der
Standesherrn. Zum Glück für das Ministerium war zwar kurz vor der Be¬
rathung der Vorlage der aus dem Zollparlament bekannte, langjährige und
einflußreiche Präsident des Geheimenraths, vou Neurath, mit Tod abgegangen,
aber noch immer waren in unserem Herrenhause genug frondirende Exminister,
welche sich des Instituts annahmen und dasselbe gleichsam als den letzten un¬
abhängigen Körper in der württembergischen Verwaltung vertheidigten. Das
Land hatte in letzter Zeit auch sonst, namentlich in Finanzfragen, wiederholt
Gelegenheit, aus der Kammer der Standesherrn manches unerschrockene Wort
zu hören, für welches in der verdorbenen Atmosphäre des Abgeordnetenhauses
kaum mehr eine Stätte zu finden wäre. — Genug, der neue Ministerpräsident
fühlte plötzlich, daß er auf einsamer Höhe stand. Es war ihm gelungen,
sämmtliche politische Parteien die ultramontane nicht ausgenommen gänzlich
lahm zu legen, die Minister selbst lagen zu seinen Füßen und nun stand er
plötzlich einem Gegner gegenüber, dessen Bedeutung sein Scharfblick nicht unter¬
schätzte, nämlich der personifizirten Bureaukratie selbst. Dem im Stillen
wirkenden Einfluß der Intrigue, der Familienkoterien gegenüber war selbst die
schlagfertigste Beredtsamkeit machtlos, auch schien das Netz bereits so fest ge¬
sponnen, daß es zu zerreißen nicht mehr möglich war. Kurz — das Mini¬
sterium kapitulirte und, nahm die ihm von der Bureaukratie diktirten Beding¬
ungen an, welche durch ihre Monstrosität die Situation am besten klar legten.
An der Stelle des konsequent gedachten Entwurfs, sollten nun neben den
mit richterlicher Qualität ausgestatteten Mitgliedern des Verwaltungsgerichts¬
hofs noch zwei unbeschränkte entlaßbare Geheimerathsmitglieder in letzteren auf-
genommen werden. Es handelte sich hierbei offenbar gar nicht um das direkte
Interesse an der Sache: da die nunmehrige Funktion für die Geheimenrathe nicht
sonderlich einladend sein kann, sondern vielmehr darum, die Fortexistenz des
Geheimenraths, entgegen den Bestrebungen des Ministeriums, neuerdings formell
festzustellen. Um den wahren Sachverhalt nach Außen etwas zu mildern,
wurden zwar der Kapitulationsbedingung die Worte beigefügt „bis auf Wei¬
teres", es ist aber sehr die Frage, ob das Ministerium: nach den gemachten
Erfahrungen sobald wieder einen Anlauf nehmen wird, den geheimen Rath
aus der Welt zu schaffen.

Wir aber schließen diesen retrospektiven Bericht mit der Betrachtung, wie
ganz anders die Stellung des Ministeriums in dieser Frage gewesen wäre,
wenn es, statt einzelne „Führer" zu gewinnen und damit zu disreditiren,


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[0042] erwarten, abgesehen von Moritz Mohl, dem unermüdlichen Vorkämpfer für altwürttembergische Einrichtungen, im Abgeordnetenhause keinen Widerstand erfahren, so änderte sich doch plötzlich die Situation in der Kammer der Standesherrn. Zum Glück für das Ministerium war zwar kurz vor der Be¬ rathung der Vorlage der aus dem Zollparlament bekannte, langjährige und einflußreiche Präsident des Geheimenraths, vou Neurath, mit Tod abgegangen, aber noch immer waren in unserem Herrenhause genug frondirende Exminister, welche sich des Instituts annahmen und dasselbe gleichsam als den letzten un¬ abhängigen Körper in der württembergischen Verwaltung vertheidigten. Das Land hatte in letzter Zeit auch sonst, namentlich in Finanzfragen, wiederholt Gelegenheit, aus der Kammer der Standesherrn manches unerschrockene Wort zu hören, für welches in der verdorbenen Atmosphäre des Abgeordnetenhauses kaum mehr eine Stätte zu finden wäre. — Genug, der neue Ministerpräsident fühlte plötzlich, daß er auf einsamer Höhe stand. Es war ihm gelungen, sämmtliche politische Parteien die ultramontane nicht ausgenommen gänzlich lahm zu legen, die Minister selbst lagen zu seinen Füßen und nun stand er plötzlich einem Gegner gegenüber, dessen Bedeutung sein Scharfblick nicht unter¬ schätzte, nämlich der personifizirten Bureaukratie selbst. Dem im Stillen wirkenden Einfluß der Intrigue, der Familienkoterien gegenüber war selbst die schlagfertigste Beredtsamkeit machtlos, auch schien das Netz bereits so fest ge¬ sponnen, daß es zu zerreißen nicht mehr möglich war. Kurz — das Mini¬ sterium kapitulirte und, nahm die ihm von der Bureaukratie diktirten Beding¬ ungen an, welche durch ihre Monstrosität die Situation am besten klar legten. An der Stelle des konsequent gedachten Entwurfs, sollten nun neben den mit richterlicher Qualität ausgestatteten Mitgliedern des Verwaltungsgerichts¬ hofs noch zwei unbeschränkte entlaßbare Geheimerathsmitglieder in letzteren auf- genommen werden. Es handelte sich hierbei offenbar gar nicht um das direkte Interesse an der Sache: da die nunmehrige Funktion für die Geheimenrathe nicht sonderlich einladend sein kann, sondern vielmehr darum, die Fortexistenz des Geheimenraths, entgegen den Bestrebungen des Ministeriums, neuerdings formell festzustellen. Um den wahren Sachverhalt nach Außen etwas zu mildern, wurden zwar der Kapitulationsbedingung die Worte beigefügt „bis auf Wei¬ teres", es ist aber sehr die Frage, ob das Ministerium: nach den gemachten Erfahrungen sobald wieder einen Anlauf nehmen wird, den geheimen Rath aus der Welt zu schaffen. Wir aber schließen diesen retrospektiven Bericht mit der Betrachtung, wie ganz anders die Stellung des Ministeriums in dieser Frage gewesen wäre, wenn es, statt einzelne „Führer" zu gewinnen und damit zu disreditiren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/42>, abgerufen am 14.05.2024.