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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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die Wirkung derselben war der feste Entschluß, mich zu bessern, es koste, was
es wolle. Ich lernte tanzen, fechten, voltigiren. Ich kam in diesen Uebungen
so weit, daß mich diejenigen selbst, die mir im Voraus alle Geschicklichkeit
darin absprechen wollten, einigermaßen bewunderten. Ich suchte Gesellschaft,
um nun auch leben zu lernen. Ich legte die ernsthaften Bücher eine zeitlang
auf die Seite, um mich in denjenigen umzusehn, die weit angenehmer und
vielleicht ebenso nützlich sind. Die Komödien kamen mir zuerst in die Hand.
Ich lernte daraus eine artige und gezwungene, grobe und natürliche Auffüh¬
rung unterscheiden. Ich lernte die Laster ebensosehr wegen ihres Lächerlichen,
als wegen ihrer Schändlichkeit fliehn. Ich lernte mich selbst kennen, und seit
der Zeit habe ich über Niemand mehr gelacht und gespottet, als über mich
selbst. Doch ich weiß nicht, was mich damals für eine Thorheit überfiel, daß
ich auf den Entschluß kam, selbst Komödien zu machen. Ich wagte es, und
als sie aufgeführt wurden, wollte man mich versichern, daß ich nicht unglück¬
lich darin wäre. Man darf mich nur in einer Sache loben, wenn man ha¬
ben will, daß ich sie mit mehreren: Ernst treiben soll. Ich sann daher Tag
und Nacht, wie ich in einer Sache eine Stärke zeigen möchte, in der, wie ich
glaubte, sich uoch kein Deutscher allzusehr hervorgethan hätte."

Es ist nicht ungeschickt, wie der junge Mann der besorgten Mutter gegen¬
über den Umgang, zu dem seiue Neigung ihn trieb, durch Rücksicht auf höhere
Zwecke der Bildung vertheidigt. Dreißig Jahre später ünßerte sich ein andrer
junger Mann, Wilhelm Meister, auf eine ähnliche Weise, und wenn sein
Kunst- und Bildungstrieb nicht in Zweifel zu zieh" ist, so Mßt sich doch an¬
nehmen, daß ihm die Mariannen, die Philinen u. s. w. auch ohne das besser
zugesagt haben würden, als die ehrbaren Kommis seines väterlichen Hauses und
deren Ehehälften. Das Leben war so anständig, daß der Trieb, einmal über
die Schnur zu hauen, bei einem lebenskräftigen Jüngling nicht verwun¬
dern darf.

Lessin g's erste Thätigkeit in Berlin war die Sammlung seiner Lustspiele,
und "Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters", worin ausländische
Theaterdichter, namentlich Plautus und Seneca, übersetzt und exzerpirt waren:
sein Hauptzweck war, sich in der Technik zu vervollkommnen. -- Seine eignen
Lustspiele zeichnen sich zunächst durch einen klaren, einfachen und höchst leben¬
digen Stil aus; von den Zweideutigkeiten, die damals Mode waren, halten
sie sich frei, wenn man von einigen mittelmäßigen Scherzen in der "alten
Jungfer" absieht. -- Es waren Griffe ins wirkliche Leben. Sein erstes Lust¬
spiel schildert den unfruchtbaren Notizenkram der jungen Magister, der von
dem Inhalt der Dinge und von den Ideen ganz, absieht; es enthält zum Theil
Selbstkritik.


die Wirkung derselben war der feste Entschluß, mich zu bessern, es koste, was
es wolle. Ich lernte tanzen, fechten, voltigiren. Ich kam in diesen Uebungen
so weit, daß mich diejenigen selbst, die mir im Voraus alle Geschicklichkeit
darin absprechen wollten, einigermaßen bewunderten. Ich suchte Gesellschaft,
um nun auch leben zu lernen. Ich legte die ernsthaften Bücher eine zeitlang
auf die Seite, um mich in denjenigen umzusehn, die weit angenehmer und
vielleicht ebenso nützlich sind. Die Komödien kamen mir zuerst in die Hand.
Ich lernte daraus eine artige und gezwungene, grobe und natürliche Auffüh¬
rung unterscheiden. Ich lernte die Laster ebensosehr wegen ihres Lächerlichen,
als wegen ihrer Schändlichkeit fliehn. Ich lernte mich selbst kennen, und seit
der Zeit habe ich über Niemand mehr gelacht und gespottet, als über mich
selbst. Doch ich weiß nicht, was mich damals für eine Thorheit überfiel, daß
ich auf den Entschluß kam, selbst Komödien zu machen. Ich wagte es, und
als sie aufgeführt wurden, wollte man mich versichern, daß ich nicht unglück¬
lich darin wäre. Man darf mich nur in einer Sache loben, wenn man ha¬
ben will, daß ich sie mit mehreren: Ernst treiben soll. Ich sann daher Tag
und Nacht, wie ich in einer Sache eine Stärke zeigen möchte, in der, wie ich
glaubte, sich uoch kein Deutscher allzusehr hervorgethan hätte."

Es ist nicht ungeschickt, wie der junge Mann der besorgten Mutter gegen¬
über den Umgang, zu dem seiue Neigung ihn trieb, durch Rücksicht auf höhere
Zwecke der Bildung vertheidigt. Dreißig Jahre später ünßerte sich ein andrer
junger Mann, Wilhelm Meister, auf eine ähnliche Weise, und wenn sein
Kunst- und Bildungstrieb nicht in Zweifel zu zieh» ist, so Mßt sich doch an¬
nehmen, daß ihm die Mariannen, die Philinen u. s. w. auch ohne das besser
zugesagt haben würden, als die ehrbaren Kommis seines väterlichen Hauses und
deren Ehehälften. Das Leben war so anständig, daß der Trieb, einmal über
die Schnur zu hauen, bei einem lebenskräftigen Jüngling nicht verwun¬
dern darf.

Lessin g's erste Thätigkeit in Berlin war die Sammlung seiner Lustspiele,
und „Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters", worin ausländische
Theaterdichter, namentlich Plautus und Seneca, übersetzt und exzerpirt waren:
sein Hauptzweck war, sich in der Technik zu vervollkommnen. — Seine eignen
Lustspiele zeichnen sich zunächst durch einen klaren, einfachen und höchst leben¬
digen Stil aus; von den Zweideutigkeiten, die damals Mode waren, halten
sie sich frei, wenn man von einigen mittelmäßigen Scherzen in der „alten
Jungfer" absieht. — Es waren Griffe ins wirkliche Leben. Sein erstes Lust¬
spiel schildert den unfruchtbaren Notizenkram der jungen Magister, der von
dem Inhalt der Dinge und von den Ideen ganz, absieht; es enthält zum Theil
Selbstkritik.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/451>, abgerufen am 28.05.2024.