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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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schwebt von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten, wie gar verschieden
es sich in den verschiedenen Köpfen immer spiegeln mag, und es hat ja auch
den reellen Erfolg gehabt, daß Reichsregierung und Reichstag eben in eifriger
Berathung über diese Reform begriffen sind. Allein genauer betrachtet hat
dieser Reformeifer seine zwei Seiten. Ganz gewiß ist die deutsche Gewerbe¬
ordnung kein unübertreffliches Meister- und Musterwerk; von andern Schäden
abgesehen, so hob Treitschke schon vor Jahren hervor, wie sehr einzelne ihrer
Bestimmungen verrathen, daß bei ihrer Promulgirung die Unternehmeriu-
teressen stark im norddeutschen Reichstage vertreten waren. Daneben aber darf
man nicht übersehen, daß sie trotz alledem einzelne, fruchtbare Ansätze zu ei¬
nem modernen Arbeiterrechte enthält und wenn es ein Ziel sein mag, aufs
Innigste zu wünschen, daß diese Ansätze möglichst erweitert und vertieft wer¬
den, so ist es doch ebenso des Schweißes der Edeln werth, zu untersuchen, ob
sie denn überhaupt schon ans dem praktischen Boden der Industrie Wurzeln ge¬
schlagen haben, ob wir denn nicht in Gefahr gerathen, auf einem Fundamente
fortzubauen, das in Wirklichkeit noch gar nicht existirt und so nur papierene
Arbeit zu liefern. Die englische Fabrikgesetzgebung ist ja auch nichts weniger,
wie ein theoretisch ersonnenes, systematisch fortgesponnenes Ganzes, sondern
durchaus und durchweg Gelegenheits-und Stückwerk gewesen; je nachdem die¬
ser oder jener Uebelstand in diesem oder jenem Industriezweige heftig hervor¬
trat, wurde er beseitigt und nur indem die Arbeiter sofort jeden Zollbreit er¬
oberten Bodens besetzten, die Fabrikinspektoren ihn mit der ganzen Wucht der
staatlichen Autorität vertheidigten, gelang es langsam und mühevoll, aber sieg¬
reich und unwiderstehlich vorwärts zu kommen. Wie steht es nun bei uns in
Deutschland mit dieser praktischen Seite der wirthschaftlichen Reform, ohne
welche die fleißigste und mühseligste Arbeit der Gesetzgebung doch nur ein
Schatten ohne Körper bleibt? Eine nicht erschöpfende, aber interessante und
lehrreiche Antwort auf diese Frage geben für einen großen Theil der deutschen
Industrie die Berichte der preußischen Fabrikinspektoren.

Leider enthält die Gewerbeordnung keine einheitlichen Bestimmungen über
die Kontrole ihrer auf das Fabrikwesen bezüglichen Vorschriften. Sie trifft
nur Vorsorge, daß wo in den Partiknlarstaaten die Aufsicht über die Beobach¬
tung der, die Fabrikarbeit jugendlicher Arbeiten betreffenden Bestimmungen
eigenen Beamten übertragen ist, denselben bei Ausübung dieser Aufsicht alle
amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jeder-
zeitigen Revision der Fabriken zustehen solle. Daß es besser gewesen wäre,
diese fakultative Bestimmung zu einer obligatorischen zu machen, kann keinem
Zweifel unterliegen, denn es ist ebenso ein lebhaftes Interesse des Staats, wie
der Arbeiter und nicht am wenigsten der Unternehmer, daß die Aufsicht dech-


schwebt von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten, wie gar verschieden
es sich in den verschiedenen Köpfen immer spiegeln mag, und es hat ja auch
den reellen Erfolg gehabt, daß Reichsregierung und Reichstag eben in eifriger
Berathung über diese Reform begriffen sind. Allein genauer betrachtet hat
dieser Reformeifer seine zwei Seiten. Ganz gewiß ist die deutsche Gewerbe¬
ordnung kein unübertreffliches Meister- und Musterwerk; von andern Schäden
abgesehen, so hob Treitschke schon vor Jahren hervor, wie sehr einzelne ihrer
Bestimmungen verrathen, daß bei ihrer Promulgirung die Unternehmeriu-
teressen stark im norddeutschen Reichstage vertreten waren. Daneben aber darf
man nicht übersehen, daß sie trotz alledem einzelne, fruchtbare Ansätze zu ei¬
nem modernen Arbeiterrechte enthält und wenn es ein Ziel sein mag, aufs
Innigste zu wünschen, daß diese Ansätze möglichst erweitert und vertieft wer¬
den, so ist es doch ebenso des Schweißes der Edeln werth, zu untersuchen, ob
sie denn überhaupt schon ans dem praktischen Boden der Industrie Wurzeln ge¬
schlagen haben, ob wir denn nicht in Gefahr gerathen, auf einem Fundamente
fortzubauen, das in Wirklichkeit noch gar nicht existirt und so nur papierene
Arbeit zu liefern. Die englische Fabrikgesetzgebung ist ja auch nichts weniger,
wie ein theoretisch ersonnenes, systematisch fortgesponnenes Ganzes, sondern
durchaus und durchweg Gelegenheits-und Stückwerk gewesen; je nachdem die¬
ser oder jener Uebelstand in diesem oder jenem Industriezweige heftig hervor¬
trat, wurde er beseitigt und nur indem die Arbeiter sofort jeden Zollbreit er¬
oberten Bodens besetzten, die Fabrikinspektoren ihn mit der ganzen Wucht der
staatlichen Autorität vertheidigten, gelang es langsam und mühevoll, aber sieg¬
reich und unwiderstehlich vorwärts zu kommen. Wie steht es nun bei uns in
Deutschland mit dieser praktischen Seite der wirthschaftlichen Reform, ohne
welche die fleißigste und mühseligste Arbeit der Gesetzgebung doch nur ein
Schatten ohne Körper bleibt? Eine nicht erschöpfende, aber interessante und
lehrreiche Antwort auf diese Frage geben für einen großen Theil der deutschen
Industrie die Berichte der preußischen Fabrikinspektoren.

Leider enthält die Gewerbeordnung keine einheitlichen Bestimmungen über
die Kontrole ihrer auf das Fabrikwesen bezüglichen Vorschriften. Sie trifft
nur Vorsorge, daß wo in den Partiknlarstaaten die Aufsicht über die Beobach¬
tung der, die Fabrikarbeit jugendlicher Arbeiten betreffenden Bestimmungen
eigenen Beamten übertragen ist, denselben bei Ausübung dieser Aufsicht alle
amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jeder-
zeitigen Revision der Fabriken zustehen solle. Daß es besser gewesen wäre,
diese fakultative Bestimmung zu einer obligatorischen zu machen, kann keinem
Zweifel unterliegen, denn es ist ebenso ein lebhaftes Interesse des Staats, wie
der Arbeiter und nicht am wenigsten der Unternehmer, daß die Aufsicht dech-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/463>, abgerufen am 31.05.2024.