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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Tod abgerufen wurde. Unendliche politische und geschichtliche Exkurse, die viel¬
leicht in einer italienischen Zeitgeschichte ganz brauchbar wären, stören unkünst-,
lerisch und mißmutherregend den Faden der Erzählung. Nicht was Napoleon
oder Mack gethan und gewollt, wünschen wir von Nievo zu erfahren, sondern
ausschließlich, was Pisaua, was Carliuo, Lueilio ?e. erlebten. Mit Recht hebt
Heyse hervor, daß bei längerem Leben der Dichter selbst voraussichtlich diese
Schwächen seines zweiten Romans am besten ausgeglichen, beseitigt haben
würde. Dafür bietet uns der in beiden Romanen gleich befriedigend vollendete
Schluß volle Gewähr.

Aber auch mit diesen Mängeln ist dieser letzte Roman Jppolito Nievos
eine hervorragende Erscheinung in der Literatur aller Völker und Zeiten. Die
Schilderung der Jugend der Helden auf einem abgelegenen Adelssitz der
venezianischen Terraferma, die Leiden und Freuden Carlino's in seiner traurigen
Kindheit, seine erste Bekanntschaft mit dem gewaltigen tiefblauen Auge des
Meeres, die bäurische Größe der Familie Provedone die verfallende Würde der
Schloßherrschaft von Fratta, das jesuitische Streberthum des Padre Pendolci. --
Alles das ist meisterhaft geschildert. Und daß der zweite Band theilweise
nicht in gleichem Maße vollendete Bilder zeigt, haben wir nur dem neidischen
Geschick zu klagen, das uns den Dichter in so jungen Jahren entrissen hat.

Zum Schlüsse mag des eigenthümlichen Reizes gedacht werden, den diese
Romane den Kennern des italienischen Volkslebens, so zu sagen der italienischen
Volksseele, bieten. So innig ist der Dichter verwachsen mit seinem Volke, daß
er seine Ansducksweise, seine Vergleiche -- der Teufel spielt in diesen billiger¬
weise eine Hauptrolle -- ganz dem Volkston entnimmt. Verfasser dieses ist
mit einer großen Anzahl Italiener -- außerhalb Italiens -- aufgewachsen.
Das Haus eines italienischen Generals, der seine Theilnahme an der italienischen
Erhebung von 1848 in der Verbannung büßte, war unser Lieblingsaufenhalt
an Sonn- und Feiertagen. Die politischen, sozialen, religiösen Anschauungen
des Dichters, seine Konversation und die Art seines Witzes, seine Vergleiche
und Bilder, sein glühender Patriotismus, führt mir wieder leibhaftig vor
Augen alle jene italienischen Kameraden, von denen manch einer später an der Seite
Nievos im Italienischen Kriege von 1859 und bei jenem kühnen Zuge gegen
den wankenden Thron des Königs beider Sizilien gefallen ist. --




S9*

Tod abgerufen wurde. Unendliche politische und geschichtliche Exkurse, die viel¬
leicht in einer italienischen Zeitgeschichte ganz brauchbar wären, stören unkünst-,
lerisch und mißmutherregend den Faden der Erzählung. Nicht was Napoleon
oder Mack gethan und gewollt, wünschen wir von Nievo zu erfahren, sondern
ausschließlich, was Pisaua, was Carliuo, Lueilio ?e. erlebten. Mit Recht hebt
Heyse hervor, daß bei längerem Leben der Dichter selbst voraussichtlich diese
Schwächen seines zweiten Romans am besten ausgeglichen, beseitigt haben
würde. Dafür bietet uns der in beiden Romanen gleich befriedigend vollendete
Schluß volle Gewähr.

Aber auch mit diesen Mängeln ist dieser letzte Roman Jppolito Nievos
eine hervorragende Erscheinung in der Literatur aller Völker und Zeiten. Die
Schilderung der Jugend der Helden auf einem abgelegenen Adelssitz der
venezianischen Terraferma, die Leiden und Freuden Carlino's in seiner traurigen
Kindheit, seine erste Bekanntschaft mit dem gewaltigen tiefblauen Auge des
Meeres, die bäurische Größe der Familie Provedone die verfallende Würde der
Schloßherrschaft von Fratta, das jesuitische Streberthum des Padre Pendolci. —
Alles das ist meisterhaft geschildert. Und daß der zweite Band theilweise
nicht in gleichem Maße vollendete Bilder zeigt, haben wir nur dem neidischen
Geschick zu klagen, das uns den Dichter in so jungen Jahren entrissen hat.

Zum Schlüsse mag des eigenthümlichen Reizes gedacht werden, den diese
Romane den Kennern des italienischen Volkslebens, so zu sagen der italienischen
Volksseele, bieten. So innig ist der Dichter verwachsen mit seinem Volke, daß
er seine Ansducksweise, seine Vergleiche — der Teufel spielt in diesen billiger¬
weise eine Hauptrolle — ganz dem Volkston entnimmt. Verfasser dieses ist
mit einer großen Anzahl Italiener — außerhalb Italiens — aufgewachsen.
Das Haus eines italienischen Generals, der seine Theilnahme an der italienischen
Erhebung von 1848 in der Verbannung büßte, war unser Lieblingsaufenhalt
an Sonn- und Feiertagen. Die politischen, sozialen, religiösen Anschauungen
des Dichters, seine Konversation und die Art seines Witzes, seine Vergleiche
und Bilder, sein glühender Patriotismus, führt mir wieder leibhaftig vor
Augen alle jene italienischen Kameraden, von denen manch einer später an der Seite
Nievos im Italienischen Kriege von 1859 und bei jenem kühnen Zuge gegen
den wankenden Thron des Königs beider Sizilien gefallen ist. —




S9*
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[0475] Tod abgerufen wurde. Unendliche politische und geschichtliche Exkurse, die viel¬ leicht in einer italienischen Zeitgeschichte ganz brauchbar wären, stören unkünst-, lerisch und mißmutherregend den Faden der Erzählung. Nicht was Napoleon oder Mack gethan und gewollt, wünschen wir von Nievo zu erfahren, sondern ausschließlich, was Pisaua, was Carliuo, Lueilio ?e. erlebten. Mit Recht hebt Heyse hervor, daß bei längerem Leben der Dichter selbst voraussichtlich diese Schwächen seines zweiten Romans am besten ausgeglichen, beseitigt haben würde. Dafür bietet uns der in beiden Romanen gleich befriedigend vollendete Schluß volle Gewähr. Aber auch mit diesen Mängeln ist dieser letzte Roman Jppolito Nievos eine hervorragende Erscheinung in der Literatur aller Völker und Zeiten. Die Schilderung der Jugend der Helden auf einem abgelegenen Adelssitz der venezianischen Terraferma, die Leiden und Freuden Carlino's in seiner traurigen Kindheit, seine erste Bekanntschaft mit dem gewaltigen tiefblauen Auge des Meeres, die bäurische Größe der Familie Provedone die verfallende Würde der Schloßherrschaft von Fratta, das jesuitische Streberthum des Padre Pendolci. — Alles das ist meisterhaft geschildert. Und daß der zweite Band theilweise nicht in gleichem Maße vollendete Bilder zeigt, haben wir nur dem neidischen Geschick zu klagen, das uns den Dichter in so jungen Jahren entrissen hat. Zum Schlüsse mag des eigenthümlichen Reizes gedacht werden, den diese Romane den Kennern des italienischen Volkslebens, so zu sagen der italienischen Volksseele, bieten. So innig ist der Dichter verwachsen mit seinem Volke, daß er seine Ansducksweise, seine Vergleiche — der Teufel spielt in diesen billiger¬ weise eine Hauptrolle — ganz dem Volkston entnimmt. Verfasser dieses ist mit einer großen Anzahl Italiener — außerhalb Italiens — aufgewachsen. Das Haus eines italienischen Generals, der seine Theilnahme an der italienischen Erhebung von 1848 in der Verbannung büßte, war unser Lieblingsaufenhalt an Sonn- und Feiertagen. Die politischen, sozialen, religiösen Anschauungen des Dichters, seine Konversation und die Art seines Witzes, seine Vergleiche und Bilder, sein glühender Patriotismus, führt mir wieder leibhaftig vor Augen alle jene italienischen Kameraden, von denen manch einer später an der Seite Nievos im Italienischen Kriege von 1859 und bei jenem kühnen Zuge gegen den wankenden Thron des Königs beider Sizilien gefallen ist. — S9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/475>, abgerufen am 14.05.2024.