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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Das dritte Gebäude ist ein moderner Ziegelrohbau mit Terraeottadekora-
tion, der von einer einzigen Firma, von Doulton Co., errichtet, von einer
zweiten dekorirt und ebenfalls dem Prinzen von Wales zur Disposition gestellt
worden ist. Das vierte, ein Fachwerkbau, ist nach dem Muster der bürger¬
lichen Wohnhäuser erbaut, die vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in England
üblich waren. Das fünfte endlich ist einer Villa aus der Zeit König Wilhelm III.
nachgebildet. --

Die Schöpfungen der englischen Kunst sind auf dem Continente so gut
wie unbekannt, seitdem der Siegeszug der Photographie und des Lichtdrucks
der Herrschaft der englischen Lithographie den Garaus gemacht hat. Streng
genommen haben sich nur zwei englische Maler eine gewisse Popularität auf
dem Continent errungen. Der berühmte Thiermaler Sir Edwin Landseer, dessen
Pferde, Hunde und Hirsche, dessen Fuchsjagden und Pferderennen in vielen
taufenden von Lithographien und Stahlstichen verbreitet sind, und der Maler
des klassischen Alterthums, Alma Tadema, zwar ein Belgier von Geburt, aber
in London ansässig und in Charakter und Ausdrucksweise völlig der englischen
Kunst angehörig. Seine Popularität datirt erst aus der allerneuesten Zeit,
seitdem seine Bilder die Runde auf deu europäischen Kunstausstellungen gemacht
haben, etwa seit 1872. Neben diesen beiden war höchstens nur noch Sir
John Gilbert, der Historienmaler und ausgezeichnete Aquarellist, und H. Her-
komer, ein ebenso vortrefflicher, auf energische Charakteristik bedachter Portrait-
und Genremaler, den engeren Kreisen der Kunstfreunde bekannt.

Die Wiener Weltausstellung hat nicht viel zu einer näheren Kenntniß der
englischen Kunst beigetragen. Sie war kärglich beschickt im Vergleich zur Pariser,
wo wir zum ersten Male ein vollständiges Bild von dem gegenwärtigen Stande
der englischen Kunst, von den rapiden Fortschritten erhalten, welche insbeson¬
dere die englische Malerei über Landseer hinausgemacht hat. Der einst ge¬
feierte Thiermaler ist heute bereits eine Größe, deren Ruhm der Tradition
angehört. Die sechs Bilder, die von ihm in der englischen Abtheilung zu sehen
sind, erscheinen uns flach und akademisch, flau in der Farbe, als stilisirte Ab¬
bilder der Natur. Sie sind recht eigentlich die Repräsentanten einer Epoche,
die zwar sür die Beurtheilung und Wertschätzung der englischen Kunst und
des englischen Wesens im Auslande maßgebend gewesen, die aber heute
längst abgeschlossen ist. Wir müssen heute einen ganz anderen Maaßstab an
die Beurtheilung der englischen Cultur legen, und diesen Maaßstab liefert uns
die englische Literatur, die mit der romantischen Vergangenheit ebenso energisch
gebrochen hat, wie die Kunst.

Als die Blüthe der Literatur hat sich in England, nicht wie in Frankreich,
das Drama, sondern-der Roman entfaltet. Während die französische Kunst


Das dritte Gebäude ist ein moderner Ziegelrohbau mit Terraeottadekora-
tion, der von einer einzigen Firma, von Doulton Co., errichtet, von einer
zweiten dekorirt und ebenfalls dem Prinzen von Wales zur Disposition gestellt
worden ist. Das vierte, ein Fachwerkbau, ist nach dem Muster der bürger¬
lichen Wohnhäuser erbaut, die vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in England
üblich waren. Das fünfte endlich ist einer Villa aus der Zeit König Wilhelm III.
nachgebildet. —

Die Schöpfungen der englischen Kunst sind auf dem Continente so gut
wie unbekannt, seitdem der Siegeszug der Photographie und des Lichtdrucks
der Herrschaft der englischen Lithographie den Garaus gemacht hat. Streng
genommen haben sich nur zwei englische Maler eine gewisse Popularität auf
dem Continent errungen. Der berühmte Thiermaler Sir Edwin Landseer, dessen
Pferde, Hunde und Hirsche, dessen Fuchsjagden und Pferderennen in vielen
taufenden von Lithographien und Stahlstichen verbreitet sind, und der Maler
des klassischen Alterthums, Alma Tadema, zwar ein Belgier von Geburt, aber
in London ansässig und in Charakter und Ausdrucksweise völlig der englischen
Kunst angehörig. Seine Popularität datirt erst aus der allerneuesten Zeit,
seitdem seine Bilder die Runde auf deu europäischen Kunstausstellungen gemacht
haben, etwa seit 1872. Neben diesen beiden war höchstens nur noch Sir
John Gilbert, der Historienmaler und ausgezeichnete Aquarellist, und H. Her-
komer, ein ebenso vortrefflicher, auf energische Charakteristik bedachter Portrait-
und Genremaler, den engeren Kreisen der Kunstfreunde bekannt.

Die Wiener Weltausstellung hat nicht viel zu einer näheren Kenntniß der
englischen Kunst beigetragen. Sie war kärglich beschickt im Vergleich zur Pariser,
wo wir zum ersten Male ein vollständiges Bild von dem gegenwärtigen Stande
der englischen Kunst, von den rapiden Fortschritten erhalten, welche insbeson¬
dere die englische Malerei über Landseer hinausgemacht hat. Der einst ge¬
feierte Thiermaler ist heute bereits eine Größe, deren Ruhm der Tradition
angehört. Die sechs Bilder, die von ihm in der englischen Abtheilung zu sehen
sind, erscheinen uns flach und akademisch, flau in der Farbe, als stilisirte Ab¬
bilder der Natur. Sie sind recht eigentlich die Repräsentanten einer Epoche,
die zwar sür die Beurtheilung und Wertschätzung der englischen Kunst und
des englischen Wesens im Auslande maßgebend gewesen, die aber heute
längst abgeschlossen ist. Wir müssen heute einen ganz anderen Maaßstab an
die Beurtheilung der englischen Cultur legen, und diesen Maaßstab liefert uns
die englische Literatur, die mit der romantischen Vergangenheit ebenso energisch
gebrochen hat, wie die Kunst.

Als die Blüthe der Literatur hat sich in England, nicht wie in Frankreich,
das Drama, sondern-der Roman entfaltet. Während die französische Kunst


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[0114] Das dritte Gebäude ist ein moderner Ziegelrohbau mit Terraeottadekora- tion, der von einer einzigen Firma, von Doulton Co., errichtet, von einer zweiten dekorirt und ebenfalls dem Prinzen von Wales zur Disposition gestellt worden ist. Das vierte, ein Fachwerkbau, ist nach dem Muster der bürger¬ lichen Wohnhäuser erbaut, die vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in England üblich waren. Das fünfte endlich ist einer Villa aus der Zeit König Wilhelm III. nachgebildet. — Die Schöpfungen der englischen Kunst sind auf dem Continente so gut wie unbekannt, seitdem der Siegeszug der Photographie und des Lichtdrucks der Herrschaft der englischen Lithographie den Garaus gemacht hat. Streng genommen haben sich nur zwei englische Maler eine gewisse Popularität auf dem Continent errungen. Der berühmte Thiermaler Sir Edwin Landseer, dessen Pferde, Hunde und Hirsche, dessen Fuchsjagden und Pferderennen in vielen taufenden von Lithographien und Stahlstichen verbreitet sind, und der Maler des klassischen Alterthums, Alma Tadema, zwar ein Belgier von Geburt, aber in London ansässig und in Charakter und Ausdrucksweise völlig der englischen Kunst angehörig. Seine Popularität datirt erst aus der allerneuesten Zeit, seitdem seine Bilder die Runde auf deu europäischen Kunstausstellungen gemacht haben, etwa seit 1872. Neben diesen beiden war höchstens nur noch Sir John Gilbert, der Historienmaler und ausgezeichnete Aquarellist, und H. Her- komer, ein ebenso vortrefflicher, auf energische Charakteristik bedachter Portrait- und Genremaler, den engeren Kreisen der Kunstfreunde bekannt. Die Wiener Weltausstellung hat nicht viel zu einer näheren Kenntniß der englischen Kunst beigetragen. Sie war kärglich beschickt im Vergleich zur Pariser, wo wir zum ersten Male ein vollständiges Bild von dem gegenwärtigen Stande der englischen Kunst, von den rapiden Fortschritten erhalten, welche insbeson¬ dere die englische Malerei über Landseer hinausgemacht hat. Der einst ge¬ feierte Thiermaler ist heute bereits eine Größe, deren Ruhm der Tradition angehört. Die sechs Bilder, die von ihm in der englischen Abtheilung zu sehen sind, erscheinen uns flach und akademisch, flau in der Farbe, als stilisirte Ab¬ bilder der Natur. Sie sind recht eigentlich die Repräsentanten einer Epoche, die zwar sür die Beurtheilung und Wertschätzung der englischen Kunst und des englischen Wesens im Auslande maßgebend gewesen, die aber heute längst abgeschlossen ist. Wir müssen heute einen ganz anderen Maaßstab an die Beurtheilung der englischen Cultur legen, und diesen Maaßstab liefert uns die englische Literatur, die mit der romantischen Vergangenheit ebenso energisch gebrochen hat, wie die Kunst. Als die Blüthe der Literatur hat sich in England, nicht wie in Frankreich, das Drama, sondern-der Roman entfaltet. Während die französische Kunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/114>, abgerufen am 16.06.2024.