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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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einen Fleischer mit einem Knüttel geschlagen und dann sich in's "große Colleg"
geflüchtet -- die Rechte der ersteren so eigenmächtig und gewaltsam zu wahren,
daß unter der Studentenschaft eine ungeheure Aufregung entstand, die endlich
zu einem haarsträubenden Straßentumult führte.

Noch in demselben Jahre soll Melchior Lotter gestorben sein. Im Stadt¬
buche wird am 11. Oktober 1551 zum ersten Male "Dorothea, des ältern
Melchior Lotters gotseligenn nachgelassene withfraw" erwähnt. --

Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß in der Kulturgeschichte
Sachsen's im 16. Jahrhundert zwei Lotter -- die übrigens unter einander in
keinem verwandtschaftlichen Zusammenhange standen -- infolge fürstlicher Un¬
gnade von der Vollendung eines bis dahin durch ihr Verdienst geförderten
Werkes verdrängt wurden. Der Leipziger Baumeister Hieronymus Lotter, der
schon unter Kurfürst Moritz von 1549 an die Pleißenburg und die übrigen
Leipziger Befestigungsbauten errichtet und 1556 als Bürgermeister Leipzig's
das städtische Rathhaus neu gebaut hatte, wurde noch im Jahre 1567 von
Kurfürst August gedrängt, auf dein Schellenberge im sächsischen Erzgebirge
zum Andenken an die glückliche Beendigung der "Grumbach'schen Händel" ein
mächtiges Jagdschloß -- die heutige Augustusburg -- aufzuführen. Mit
Widerstreben übernahm der 70jährige den Bau und leitete ihn unter un¬
säglichen Schwierigkeiten fünf Jahre lang. Da zog er sich den Zorn des
Kurfürsten zu und mußte sein Werk, dicht vor der Vollendung, in die Hände
des Florentiner Baumeisters Roch von Linar geben. So wurde diesem in
der Folgezeit die Erbauung der Augustusburg zugeschrieben, und der Name
ihres wirklichen Erbauers gerieth in unverdiente Vergessenheit. Ich habe die
Freude gehabt, diese Thatsachen mit Hilfe eines reichen archivalischen Materials
vor einiger Zeit in volle Klarheit setzen zu können. Möchte in ähnlicher
Weise die vorstehende Darstellung dazu dienen, daß von den Ehren, mit denen
in der Geschichte der Reformation der Name des Wittenberger Bibeldruckers
Hans Luft geschmückt erscheint, dem wackeren Leipziger Buchdrucker Melchior
Lotter der ihm gebührende Theil zurückgegeben werde.




einen Fleischer mit einem Knüttel geschlagen und dann sich in's „große Colleg"
geflüchtet — die Rechte der ersteren so eigenmächtig und gewaltsam zu wahren,
daß unter der Studentenschaft eine ungeheure Aufregung entstand, die endlich
zu einem haarsträubenden Straßentumult führte.

Noch in demselben Jahre soll Melchior Lotter gestorben sein. Im Stadt¬
buche wird am 11. Oktober 1551 zum ersten Male „Dorothea, des ältern
Melchior Lotters gotseligenn nachgelassene withfraw" erwähnt. —

Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß in der Kulturgeschichte
Sachsen's im 16. Jahrhundert zwei Lotter — die übrigens unter einander in
keinem verwandtschaftlichen Zusammenhange standen — infolge fürstlicher Un¬
gnade von der Vollendung eines bis dahin durch ihr Verdienst geförderten
Werkes verdrängt wurden. Der Leipziger Baumeister Hieronymus Lotter, der
schon unter Kurfürst Moritz von 1549 an die Pleißenburg und die übrigen
Leipziger Befestigungsbauten errichtet und 1556 als Bürgermeister Leipzig's
das städtische Rathhaus neu gebaut hatte, wurde noch im Jahre 1567 von
Kurfürst August gedrängt, auf dein Schellenberge im sächsischen Erzgebirge
zum Andenken an die glückliche Beendigung der „Grumbach'schen Händel" ein
mächtiges Jagdschloß — die heutige Augustusburg — aufzuführen. Mit
Widerstreben übernahm der 70jährige den Bau und leitete ihn unter un¬
säglichen Schwierigkeiten fünf Jahre lang. Da zog er sich den Zorn des
Kurfürsten zu und mußte sein Werk, dicht vor der Vollendung, in die Hände
des Florentiner Baumeisters Roch von Linar geben. So wurde diesem in
der Folgezeit die Erbauung der Augustusburg zugeschrieben, und der Name
ihres wirklichen Erbauers gerieth in unverdiente Vergessenheit. Ich habe die
Freude gehabt, diese Thatsachen mit Hilfe eines reichen archivalischen Materials
vor einiger Zeit in volle Klarheit setzen zu können. Möchte in ähnlicher
Weise die vorstehende Darstellung dazu dienen, daß von den Ehren, mit denen
in der Geschichte der Reformation der Name des Wittenberger Bibeldruckers
Hans Luft geschmückt erscheint, dem wackeren Leipziger Buchdrucker Melchior
Lotter der ihm gebührende Theil zurückgegeben werde.




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[0309] einen Fleischer mit einem Knüttel geschlagen und dann sich in's „große Colleg" geflüchtet — die Rechte der ersteren so eigenmächtig und gewaltsam zu wahren, daß unter der Studentenschaft eine ungeheure Aufregung entstand, die endlich zu einem haarsträubenden Straßentumult führte. Noch in demselben Jahre soll Melchior Lotter gestorben sein. Im Stadt¬ buche wird am 11. Oktober 1551 zum ersten Male „Dorothea, des ältern Melchior Lotters gotseligenn nachgelassene withfraw" erwähnt. — Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß in der Kulturgeschichte Sachsen's im 16. Jahrhundert zwei Lotter — die übrigens unter einander in keinem verwandtschaftlichen Zusammenhange standen — infolge fürstlicher Un¬ gnade von der Vollendung eines bis dahin durch ihr Verdienst geförderten Werkes verdrängt wurden. Der Leipziger Baumeister Hieronymus Lotter, der schon unter Kurfürst Moritz von 1549 an die Pleißenburg und die übrigen Leipziger Befestigungsbauten errichtet und 1556 als Bürgermeister Leipzig's das städtische Rathhaus neu gebaut hatte, wurde noch im Jahre 1567 von Kurfürst August gedrängt, auf dein Schellenberge im sächsischen Erzgebirge zum Andenken an die glückliche Beendigung der „Grumbach'schen Händel" ein mächtiges Jagdschloß — die heutige Augustusburg — aufzuführen. Mit Widerstreben übernahm der 70jährige den Bau und leitete ihn unter un¬ säglichen Schwierigkeiten fünf Jahre lang. Da zog er sich den Zorn des Kurfürsten zu und mußte sein Werk, dicht vor der Vollendung, in die Hände des Florentiner Baumeisters Roch von Linar geben. So wurde diesem in der Folgezeit die Erbauung der Augustusburg zugeschrieben, und der Name ihres wirklichen Erbauers gerieth in unverdiente Vergessenheit. Ich habe die Freude gehabt, diese Thatsachen mit Hilfe eines reichen archivalischen Materials vor einiger Zeit in volle Klarheit setzen zu können. Möchte in ähnlicher Weise die vorstehende Darstellung dazu dienen, daß von den Ehren, mit denen in der Geschichte der Reformation der Name des Wittenberger Bibeldruckers Hans Luft geschmückt erscheint, dem wackeren Leipziger Buchdrucker Melchior Lotter der ihm gebührende Theil zurückgegeben werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/309>, abgerufen am 23.05.2024.