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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Gerechtigkeit für Leipzig verlangte, war hienach mit ziemlicher Bestimmtheit
vorauszusehen. Aber unerwartet war das traurige Schicksal, das sie schon in
der zweiten Kammer ereilte und begrub. Mannigfache Gründe wirkten hierfür
zusammen. Das Referat lag in den Händen des rein ministeriell gewordenen
alten Gegners von Leipzig, Eisenstück. Nicht unabsichtlich hatte er und die
Kommission die Sache über ein halbes Jahr hingeschleppt, ohne Bericht zu er¬
statten. Inzwischen hatte die Regierung alles nur mögliche Material herbei¬
gezogen, um das Verhalten der Schießossiziere als gerechtfertigt und Leipzig
als eine höchst ungezogene Stadt hinzustellen. Sogar das alberne Kunstmärchen
von einem sür den 12, August 1845 langgeplanten Aufruhr spukte durch die
Regierungsberichte, und Staatsminister von Könneritz erzählte dasselbe sogar
später noch vor der Kammer in neuem Aufputz Auch hoffte Herr Eisenstück
und seine Freunde, daß in fast sieben Monaten Gras über den Grübern der
Erschossenen wachsen und das Sühneverlangen Leipzig's sich wesentlich abkühlen
werde. Diesem dilatorischen Verfahren kam eine rührige Agitation der feudalen
Junkerpartei der ersten und zweiten Kammer zu Hilfe. Die edeln Herren
hatten allmälig gelernt, wie die Opposition Stimmen gewinne und hatten es
ihr geschickt nachgemacht. Die theilweise maßlose Sprache der jungen Linken,
welche in diesen feierlichen Räumen unerhört war, die häufigen persönlichen
Invektiven, die sie sich zu schulden kommen ließ, Anklagen, die nicht immer be¬
wiesen werden konnten, alles das schreckte einen großen Theil maßvoller, be¬
dächtiger, unentschiedener Abgeordneten zurück. Und als nun die adligen
Bauernwerber dem biedern Landmann vollends klar machten, daß der Umsturz
alles Bestehenden das geheime letzte Ziel der Opposition sei, zogen sie alle diese
Elemente auf ihre Seite.

Unter solchen Auspizien begann die Kammer am 14. Mai 1846 die Debatte
über die Leipziger Augustereignisse. Der Bericht der Deputativnsmehrheit ver¬
warf die Leipziger Petition und erklärte das Verfahren der Schießoffiziere für
gerechtfertigt. Der Bericht der Minderheit (Klinger, Todt, Hensel) forderte die
Regierung auf, Anordnungen zu treffen, daß wegen dieser Ereignisse "von:
kompetenten Untersnchungsgericht das diesfällsige Sach- und Rechtsverhält¬
niß legal erörtert und der Gebühr Rechtens allenthalben nachgegangen würde".
Dieser Bericht erklärte also, daß das Verfahren der Offiziere vorläufig noch
nicht als ein berechtigtes angesehen werde könne, eine förmliche Untersuchung
gegen sie stattfinden müsse. Der Antrag war so maßvoll gefaßt und motivirt,
daß auch Brockhaus, Braun, Harkort u. A. dafür stimmten. Auch stehen die
Reden der Abgeordneten, welche Gerechtigkeit und Sühne verlangten, hoch über



*) In Erwiderung auf die Rode Schumann's, Landtagsnnttheiluugeu, Sitzung der
2. Kammer von 14. Mai fig.

Gerechtigkeit für Leipzig verlangte, war hienach mit ziemlicher Bestimmtheit
vorauszusehen. Aber unerwartet war das traurige Schicksal, das sie schon in
der zweiten Kammer ereilte und begrub. Mannigfache Gründe wirkten hierfür
zusammen. Das Referat lag in den Händen des rein ministeriell gewordenen
alten Gegners von Leipzig, Eisenstück. Nicht unabsichtlich hatte er und die
Kommission die Sache über ein halbes Jahr hingeschleppt, ohne Bericht zu er¬
statten. Inzwischen hatte die Regierung alles nur mögliche Material herbei¬
gezogen, um das Verhalten der Schießossiziere als gerechtfertigt und Leipzig
als eine höchst ungezogene Stadt hinzustellen. Sogar das alberne Kunstmärchen
von einem sür den 12, August 1845 langgeplanten Aufruhr spukte durch die
Regierungsberichte, und Staatsminister von Könneritz erzählte dasselbe sogar
später noch vor der Kammer in neuem Aufputz Auch hoffte Herr Eisenstück
und seine Freunde, daß in fast sieben Monaten Gras über den Grübern der
Erschossenen wachsen und das Sühneverlangen Leipzig's sich wesentlich abkühlen
werde. Diesem dilatorischen Verfahren kam eine rührige Agitation der feudalen
Junkerpartei der ersten und zweiten Kammer zu Hilfe. Die edeln Herren
hatten allmälig gelernt, wie die Opposition Stimmen gewinne und hatten es
ihr geschickt nachgemacht. Die theilweise maßlose Sprache der jungen Linken,
welche in diesen feierlichen Räumen unerhört war, die häufigen persönlichen
Invektiven, die sie sich zu schulden kommen ließ, Anklagen, die nicht immer be¬
wiesen werden konnten, alles das schreckte einen großen Theil maßvoller, be¬
dächtiger, unentschiedener Abgeordneten zurück. Und als nun die adligen
Bauernwerber dem biedern Landmann vollends klar machten, daß der Umsturz
alles Bestehenden das geheime letzte Ziel der Opposition sei, zogen sie alle diese
Elemente auf ihre Seite.

Unter solchen Auspizien begann die Kammer am 14. Mai 1846 die Debatte
über die Leipziger Augustereignisse. Der Bericht der Deputativnsmehrheit ver¬
warf die Leipziger Petition und erklärte das Verfahren der Schießoffiziere für
gerechtfertigt. Der Bericht der Minderheit (Klinger, Todt, Hensel) forderte die
Regierung auf, Anordnungen zu treffen, daß wegen dieser Ereignisse „von:
kompetenten Untersnchungsgericht das diesfällsige Sach- und Rechtsverhält¬
niß legal erörtert und der Gebühr Rechtens allenthalben nachgegangen würde".
Dieser Bericht erklärte also, daß das Verfahren der Offiziere vorläufig noch
nicht als ein berechtigtes angesehen werde könne, eine förmliche Untersuchung
gegen sie stattfinden müsse. Der Antrag war so maßvoll gefaßt und motivirt,
daß auch Brockhaus, Braun, Harkort u. A. dafür stimmten. Auch stehen die
Reden der Abgeordneten, welche Gerechtigkeit und Sühne verlangten, hoch über



*) In Erwiderung auf die Rode Schumann's, Landtagsnnttheiluugeu, Sitzung der
2. Kammer von 14. Mai fig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/147>, abgerufen am 09.06.2024.