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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Stehen, und weisen sie schließlich ab. Am Abend macht allgemeine Erschöpfung
dem Kampfe ein Ende. Die Russen hatten 850 Köpfe verloren.

Eine Erneuerung des Angriffs am 26. Juni hielt Loris Melikow nicht
für thunlich, denn Mukhtar-Pascha, dessen Kavallerie sich schon am 25. gezeigt,
war, von Chorasan heranmarschirend, in gefahrdrohender Nähe. Die russischen
Truppen wurden deshalb bei Millidüs (6 Ka nordöstlich Midschingert in der
Richtung auf Kars) konzentrirt und am 29. Juni der Rückzug auf Kars an¬
getreten. Die Verbindung mit der Eriman-Kolonne war damit aufgegeben.
General Tergukassow, sich selbst überlassen und seines Stützpunktes Bajaset
beraubt, konnte nur noch an den Rückzug deuten. Die Türken, von dieser
Seite nicht mehr bedroht, begannen mit verstärkten Kräften den Vormarsch
zum Entsatze von Kars. Am 9. Juli hoben die Russen die Einschließung
dieser Festung auf; das Belagerungsgeschütz wurde uach Alexandrapol zurück¬
geschafft; die Truppen zogen sich in den früheren Lagern von Zaun und Had-
shiwali zusammen. Von dort wurden sie bei weiterem Vorrücken Mukhtar
Pascha's allmälig bis zum 20. Juli in die schon aus dem Vormarsch einge¬
richtete Stellung von Kürjukdara zurückgenommen. Die Türken machten nach
dem Eutsatze von Kars Halt, ihre Offensiv - Fähigkeit war erschöpft. Statt
den geschlagenen Russen auf dein Fuße zu folgen, den Krieg auf russisches
Gebiet zu übertragen und hier die Früchte der im Kaukasus hervorgerufenen
aufständischen Bewegung zu ernten, machten sie vor der Grenze Halt und
ließen den Russen Zeit, sich zu erholen, bis sie zur Wiederaufnahme der An¬
griffsbewegungen stark genug geworden waren. In einer Stellung am
Aladsha-Dagh, bei Wisinkjew, stand Mukhtar Pascha den Russen wochenlang
unbeweglich gegenüber.

Der General Tergukassow erfuhr am 26. Juni den Ausgang des Gefechts
von Zewin. Am 27. trat er den Rückzug an, dem sich eine große Anzahl
flüchtender armenischen Christen mit ihrer Habe anschloß. Dieser große
Troß erschwerte und verlangsamte seine Bewegungen und nöthigte zu manche"
Kämpfen mit der irregulären Reiterei der Türken, die zunächst allein den
Russen folgte. Am 28. Juli erreichte die Eriwan-Kolonne Seidekan, am 30.
Karakilissa, am 2. Juli Surp Ohannes. Hier mußte man die große Straße
verlassen, um abseits derselben die russische Grenze zu erreichen. Am 4. Juli
durchzog die Kolonne die Grenzpässe und traf am 5. wieder an ihrem Aus¬
gangspunkte, in Jgdir ein. Die Thätigkeit der Truppen war damit noch nicht
zu Ende; es galt jetzt, eine Ehrenpflicht zu erfüllen und der seit 18. Juni
eingeschlossenen Besatzung von Bajaset wenn möglich Hilfe zu bringen.
Nach der nöthigsten Ruhe brach General Tergukassow wieder auf und traf am
9. Juli mit 8 Bataillonen, 19 Eskadrons und Ssotnien und 24 Geschützen


Stehen, und weisen sie schließlich ab. Am Abend macht allgemeine Erschöpfung
dem Kampfe ein Ende. Die Russen hatten 850 Köpfe verloren.

Eine Erneuerung des Angriffs am 26. Juni hielt Loris Melikow nicht
für thunlich, denn Mukhtar-Pascha, dessen Kavallerie sich schon am 25. gezeigt,
war, von Chorasan heranmarschirend, in gefahrdrohender Nähe. Die russischen
Truppen wurden deshalb bei Millidüs (6 Ka nordöstlich Midschingert in der
Richtung auf Kars) konzentrirt und am 29. Juni der Rückzug auf Kars an¬
getreten. Die Verbindung mit der Eriman-Kolonne war damit aufgegeben.
General Tergukassow, sich selbst überlassen und seines Stützpunktes Bajaset
beraubt, konnte nur noch an den Rückzug deuten. Die Türken, von dieser
Seite nicht mehr bedroht, begannen mit verstärkten Kräften den Vormarsch
zum Entsatze von Kars. Am 9. Juli hoben die Russen die Einschließung
dieser Festung auf; das Belagerungsgeschütz wurde uach Alexandrapol zurück¬
geschafft; die Truppen zogen sich in den früheren Lagern von Zaun und Had-
shiwali zusammen. Von dort wurden sie bei weiterem Vorrücken Mukhtar
Pascha's allmälig bis zum 20. Juli in die schon aus dem Vormarsch einge¬
richtete Stellung von Kürjukdara zurückgenommen. Die Türken machten nach
dem Eutsatze von Kars Halt, ihre Offensiv - Fähigkeit war erschöpft. Statt
den geschlagenen Russen auf dein Fuße zu folgen, den Krieg auf russisches
Gebiet zu übertragen und hier die Früchte der im Kaukasus hervorgerufenen
aufständischen Bewegung zu ernten, machten sie vor der Grenze Halt und
ließen den Russen Zeit, sich zu erholen, bis sie zur Wiederaufnahme der An¬
griffsbewegungen stark genug geworden waren. In einer Stellung am
Aladsha-Dagh, bei Wisinkjew, stand Mukhtar Pascha den Russen wochenlang
unbeweglich gegenüber.

Der General Tergukassow erfuhr am 26. Juni den Ausgang des Gefechts
von Zewin. Am 27. trat er den Rückzug an, dem sich eine große Anzahl
flüchtender armenischen Christen mit ihrer Habe anschloß. Dieser große
Troß erschwerte und verlangsamte seine Bewegungen und nöthigte zu manche»
Kämpfen mit der irregulären Reiterei der Türken, die zunächst allein den
Russen folgte. Am 28. Juli erreichte die Eriwan-Kolonne Seidekan, am 30.
Karakilissa, am 2. Juli Surp Ohannes. Hier mußte man die große Straße
verlassen, um abseits derselben die russische Grenze zu erreichen. Am 4. Juli
durchzog die Kolonne die Grenzpässe und traf am 5. wieder an ihrem Aus¬
gangspunkte, in Jgdir ein. Die Thätigkeit der Truppen war damit noch nicht
zu Ende; es galt jetzt, eine Ehrenpflicht zu erfüllen und der seit 18. Juni
eingeschlossenen Besatzung von Bajaset wenn möglich Hilfe zu bringen.
Nach der nöthigsten Ruhe brach General Tergukassow wieder auf und traf am
9. Juli mit 8 Bataillonen, 19 Eskadrons und Ssotnien und 24 Geschützen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/190>, abgerufen am 15.05.2024.