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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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gehalten habe (die natürlich vorher längst in der nöthigen Anzahl von Ab¬
schriften für die Zeitungen zurechtgemacht war), daß das neue Stück gestern
Abend vor "ausverkauftem Hause" und unter "rauschenden Ovationen" in Szene
gegangen sei, daß zu der heutigen Vorstellung zahlreiche telegraphische Billet-
bestellungen aus Berlin, Dresden u. s. w. eingelaufen seien, daß der "Meister",
der "Dichterkomponist", zu eiuer der nächsten Vorstellungen seines "Tondrcuua's"
erwartet werde, daß er folgenden hochinteressanter Brief an die Direktion ge¬
richtet habe, und was dergleichen Nichtigkeiten mehr sind. Tag für Tag diese
-- natürlich nicht von Herrn Dr. Förster verschuldete -- plumpe, das Publikum
beleidigende und verhöhnende Reklame, beleidigend und verhöhnend, weil sie das
ganze Publikum wie einen großen Hansen Schwachsinniger behandelt, die nicht
merken, daß alles das aus ein und derselben offiziellen Feder stammt und ein
und demselben Zwecke dient. Die Möglichkeit, daß gegen dieses wahrhaft
unanständige selbstverständlich nicht von Herrn Dr. Förster gebilligte --
Gebahren eine Stimme in der Leipziger Tagespresse selbst zu Worte käme,
scheint leider vollständig abgeschnitten zu sein. Die sogenannte "Eselswiese",
wie man im Leipziger Volksmunde diejenige Rubrik des "Tageblattes" bezeichnet,
in der persönliche Meinungsäußerungen aus dem Publikum zum Abdruck ge¬
langen, und die zu Laube's Zeit oft ganze Seiten füllte, sie ist seit dem
Direktivusantritt des Herrn Dr. Förster für Theaterfragen vollständig verödet.
Nach der Todtenstille auf der "Eselswiese" zu urtheilen könnte es scheinen,
als Hütten wir jetzt unter Förster's Leitung thatsächlich in Leipzig die Muster¬
bühne erreicht, die Laube vergebens aus dem Leipziger Theater zu machen sich
bemühte. In Wahrheit hat natürlich die Vereinsamung des ehemaligen Tum¬
melplatzes sehr handgreifliche andere Gründe. Es ist eine traurige Thatsache:
Leipzig besitzt kein öffentliches Organ, in welchem man über das Leipziger
Theater (und leider auch über sehr viele andere Dinge) die Wahrheit sagen
könnte. Kein Wunder, daß Hunderte und Tausende von gebildeten Theater¬
besuchern seit geraumer Zeit resignirend von ferne stehen und im Großen und
Ganzen uach dem Grundsätze handeln, den in der vielumstrittenen Laube'schen
Periode Einer täglich auf der "Eselswiese" predigte: "Macht's wie ich, geht nicht
hinein!" Ein Schauspiel eines klassischen Dichters sich auf dem Leipziger Theater
anzusehen, ist gegenwärtig ein äußerst zweifelhafter Genuß. Und Herrn Dr.
Förster immer wieder die Geschichte von dem "Mann im Osten", der drei
Söhne und blos einen Ring hatte, mit Sanftmuth deklamiren zu hören, ist
doch ein Vergnügen, das nachgerade den Reiz der Neuheit eingebüßt hat.

So ist denn das Gastspiel der Meininger für einen großen Theil des
Leipziger Publikums eine wahre Erlösung. Wenn irgend etwas mit der jetzigen
Leitung des Leipziger Theaters versöhnen kann, so ist es das, daß sie den Muth


gehalten habe (die natürlich vorher längst in der nöthigen Anzahl von Ab¬
schriften für die Zeitungen zurechtgemacht war), daß das neue Stück gestern
Abend vor „ausverkauftem Hause" und unter „rauschenden Ovationen" in Szene
gegangen sei, daß zu der heutigen Vorstellung zahlreiche telegraphische Billet-
bestellungen aus Berlin, Dresden u. s. w. eingelaufen seien, daß der „Meister",
der „Dichterkomponist", zu eiuer der nächsten Vorstellungen seines „Tondrcuua's"
erwartet werde, daß er folgenden hochinteressanter Brief an die Direktion ge¬
richtet habe, und was dergleichen Nichtigkeiten mehr sind. Tag für Tag diese
— natürlich nicht von Herrn Dr. Förster verschuldete — plumpe, das Publikum
beleidigende und verhöhnende Reklame, beleidigend und verhöhnend, weil sie das
ganze Publikum wie einen großen Hansen Schwachsinniger behandelt, die nicht
merken, daß alles das aus ein und derselben offiziellen Feder stammt und ein
und demselben Zwecke dient. Die Möglichkeit, daß gegen dieses wahrhaft
unanständige selbstverständlich nicht von Herrn Dr. Förster gebilligte —
Gebahren eine Stimme in der Leipziger Tagespresse selbst zu Worte käme,
scheint leider vollständig abgeschnitten zu sein. Die sogenannte „Eselswiese",
wie man im Leipziger Volksmunde diejenige Rubrik des „Tageblattes" bezeichnet,
in der persönliche Meinungsäußerungen aus dem Publikum zum Abdruck ge¬
langen, und die zu Laube's Zeit oft ganze Seiten füllte, sie ist seit dem
Direktivusantritt des Herrn Dr. Förster für Theaterfragen vollständig verödet.
Nach der Todtenstille auf der „Eselswiese" zu urtheilen könnte es scheinen,
als Hütten wir jetzt unter Förster's Leitung thatsächlich in Leipzig die Muster¬
bühne erreicht, die Laube vergebens aus dem Leipziger Theater zu machen sich
bemühte. In Wahrheit hat natürlich die Vereinsamung des ehemaligen Tum¬
melplatzes sehr handgreifliche andere Gründe. Es ist eine traurige Thatsache:
Leipzig besitzt kein öffentliches Organ, in welchem man über das Leipziger
Theater (und leider auch über sehr viele andere Dinge) die Wahrheit sagen
könnte. Kein Wunder, daß Hunderte und Tausende von gebildeten Theater¬
besuchern seit geraumer Zeit resignirend von ferne stehen und im Großen und
Ganzen uach dem Grundsätze handeln, den in der vielumstrittenen Laube'schen
Periode Einer täglich auf der „Eselswiese" predigte: „Macht's wie ich, geht nicht
hinein!" Ein Schauspiel eines klassischen Dichters sich auf dem Leipziger Theater
anzusehen, ist gegenwärtig ein äußerst zweifelhafter Genuß. Und Herrn Dr.
Förster immer wieder die Geschichte von dem „Mann im Osten", der drei
Söhne und blos einen Ring hatte, mit Sanftmuth deklamiren zu hören, ist
doch ein Vergnügen, das nachgerade den Reiz der Neuheit eingebüßt hat.

So ist denn das Gastspiel der Meininger für einen großen Theil des
Leipziger Publikums eine wahre Erlösung. Wenn irgend etwas mit der jetzigen
Leitung des Leipziger Theaters versöhnen kann, so ist es das, daß sie den Muth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/193>, abgerufen am 29.05.2024.