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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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bösartigen Zwergvolk, das am Wege Hause, wußten die weitgereiste" Araber
zu erzählen. Daß der Strom auf seinem unteren Laufe vou kriegswichtigen,
mordlustigen Kannibalen bewohnt sei, versicherten Alle, die stromab gefahren.
Nur durch eine imponirende Machtentfaltung meinte Stanley selbst die Gefahren
der Weiterreise bezwingen zu können. Er miethete deshalb den mächtigsten
arabischen Kaufmann und Führer der Gegend, Tippn-Tih, denselben verschmitzten,
weitherzigen Gesellen, den Cameron zu seiner Fahrt über den Lualaba bis
Urotera als Begleiter erlesen, für 5009 Dollars zu sechszig Tagemärschen,
mit 140 Mann, die Stanley auf der Hin- und Rückreise mit Mundvorrath
zu versehen sich verpflichtete. Bei kleinmüthiger Rückkehr dieser Eskorte vor
dem bedungenen Endziel sollte Stanley aller Verpflichtungen gegen sie und
Tippn-Tid frei sein. Dieser Vertrag wurde am 24. Oktober 1876 abgeschlossen,
nachdem Stanley sich versichert hatte, daß sein treuer, allein noch überlebender
weißer Reisegefährte, Frank Pocock, mit Freuden bereit sei, dem großen unbe¬
kannten Strome bis zum Ozean zu folgen. --

Etwa 830 geographische Meilen längs des Parallelkreises des 4. Grades
südlicher Breite hatte Stanley auf der östlichen Hälfte des dunkeln Welttheils
durchschritten, erforscht, ausgezeichnet und vermessen, als am 5. November seine
Karawane, die ohne die 700 Mann Tippu-Tid's*) 154 Menschen (einschließlich
der Weiber und Kinder) zählte, zum Marsche nach der unbekannten größeren
westlichen Hälfte des schwarzen Erdtheils aufbrach. In direkter Linie längs
desselben Breitengrades lagen von Nycmgwc bis zum Meere noch 956 geogra¬
phische Meilen vor ihn?, davon über 900 gänzlich unbekannt. Aber an eine
Verfolgung des kürzesten Weges zum Ozean war vorläufig gar nicht zu denken,
denn nicht nach Westen, sondern direkt nach Norden floß der Strom von
Nyangwc ab. Und "immer nach Norden", versicherten die Eingeborenen und
Araber, fließe er, fo weit er bekannt sei. So folgte denn Stanley mit den
Seinen zunächst dem Ostufer des Stromes, um jede Ungewißheit über seine mögliche
Krümmung nach Osten zum Mulm Nzige oder zum Nil zu beseitigen und, falls
er, wie Stanley schon damals annahm, sich später nach Westen wende, zu
entdecken, welche Zuflüsse er von Osten erhalte.

Vom 6. bis 19. November ging der Marsch der Kolonne durch dunkeln
Urwald, zuerst in nördlicher, dann in nordwestlicher Richtung. Ursprünglich
war es die Absicht Stanley's, die 240 Stunden Landes, welche der Urwald
(Mitamba) bedeckt, im Walde zurückzulegen. Aber sehr bald überzeugte er sich
von der gänzlichen Unausführbarkeit dieses Neiseplanes. Das Dunkel des
Waldes war so tief, daß Stanley oft die Bleistiftnotizen, die er in sein Tage-



*) Von denen 300 bald in andrer Richtung abgesendet werden sollten.

bösartigen Zwergvolk, das am Wege Hause, wußten die weitgereiste« Araber
zu erzählen. Daß der Strom auf seinem unteren Laufe vou kriegswichtigen,
mordlustigen Kannibalen bewohnt sei, versicherten Alle, die stromab gefahren.
Nur durch eine imponirende Machtentfaltung meinte Stanley selbst die Gefahren
der Weiterreise bezwingen zu können. Er miethete deshalb den mächtigsten
arabischen Kaufmann und Führer der Gegend, Tippn-Tih, denselben verschmitzten,
weitherzigen Gesellen, den Cameron zu seiner Fahrt über den Lualaba bis
Urotera als Begleiter erlesen, für 5009 Dollars zu sechszig Tagemärschen,
mit 140 Mann, die Stanley auf der Hin- und Rückreise mit Mundvorrath
zu versehen sich verpflichtete. Bei kleinmüthiger Rückkehr dieser Eskorte vor
dem bedungenen Endziel sollte Stanley aller Verpflichtungen gegen sie und
Tippn-Tid frei sein. Dieser Vertrag wurde am 24. Oktober 1876 abgeschlossen,
nachdem Stanley sich versichert hatte, daß sein treuer, allein noch überlebender
weißer Reisegefährte, Frank Pocock, mit Freuden bereit sei, dem großen unbe¬
kannten Strome bis zum Ozean zu folgen. —

Etwa 830 geographische Meilen längs des Parallelkreises des 4. Grades
südlicher Breite hatte Stanley auf der östlichen Hälfte des dunkeln Welttheils
durchschritten, erforscht, ausgezeichnet und vermessen, als am 5. November seine
Karawane, die ohne die 700 Mann Tippu-Tid's*) 154 Menschen (einschließlich
der Weiber und Kinder) zählte, zum Marsche nach der unbekannten größeren
westlichen Hälfte des schwarzen Erdtheils aufbrach. In direkter Linie längs
desselben Breitengrades lagen von Nycmgwc bis zum Meere noch 956 geogra¬
phische Meilen vor ihn?, davon über 900 gänzlich unbekannt. Aber an eine
Verfolgung des kürzesten Weges zum Ozean war vorläufig gar nicht zu denken,
denn nicht nach Westen, sondern direkt nach Norden floß der Strom von
Nyangwc ab. Und „immer nach Norden", versicherten die Eingeborenen und
Araber, fließe er, fo weit er bekannt sei. So folgte denn Stanley mit den
Seinen zunächst dem Ostufer des Stromes, um jede Ungewißheit über seine mögliche
Krümmung nach Osten zum Mulm Nzige oder zum Nil zu beseitigen und, falls
er, wie Stanley schon damals annahm, sich später nach Westen wende, zu
entdecken, welche Zuflüsse er von Osten erhalte.

Vom 6. bis 19. November ging der Marsch der Kolonne durch dunkeln
Urwald, zuerst in nördlicher, dann in nordwestlicher Richtung. Ursprünglich
war es die Absicht Stanley's, die 240 Stunden Landes, welche der Urwald
(Mitamba) bedeckt, im Walde zurückzulegen. Aber sehr bald überzeugte er sich
von der gänzlichen Unausführbarkeit dieses Neiseplanes. Das Dunkel des
Waldes war so tief, daß Stanley oft die Bleistiftnotizen, die er in sein Tage-



*) Von denen 300 bald in andrer Richtung abgesendet werden sollten.
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[0304] bösartigen Zwergvolk, das am Wege Hause, wußten die weitgereiste« Araber zu erzählen. Daß der Strom auf seinem unteren Laufe vou kriegswichtigen, mordlustigen Kannibalen bewohnt sei, versicherten Alle, die stromab gefahren. Nur durch eine imponirende Machtentfaltung meinte Stanley selbst die Gefahren der Weiterreise bezwingen zu können. Er miethete deshalb den mächtigsten arabischen Kaufmann und Führer der Gegend, Tippn-Tih, denselben verschmitzten, weitherzigen Gesellen, den Cameron zu seiner Fahrt über den Lualaba bis Urotera als Begleiter erlesen, für 5009 Dollars zu sechszig Tagemärschen, mit 140 Mann, die Stanley auf der Hin- und Rückreise mit Mundvorrath zu versehen sich verpflichtete. Bei kleinmüthiger Rückkehr dieser Eskorte vor dem bedungenen Endziel sollte Stanley aller Verpflichtungen gegen sie und Tippn-Tid frei sein. Dieser Vertrag wurde am 24. Oktober 1876 abgeschlossen, nachdem Stanley sich versichert hatte, daß sein treuer, allein noch überlebender weißer Reisegefährte, Frank Pocock, mit Freuden bereit sei, dem großen unbe¬ kannten Strome bis zum Ozean zu folgen. — Etwa 830 geographische Meilen längs des Parallelkreises des 4. Grades südlicher Breite hatte Stanley auf der östlichen Hälfte des dunkeln Welttheils durchschritten, erforscht, ausgezeichnet und vermessen, als am 5. November seine Karawane, die ohne die 700 Mann Tippu-Tid's*) 154 Menschen (einschließlich der Weiber und Kinder) zählte, zum Marsche nach der unbekannten größeren westlichen Hälfte des schwarzen Erdtheils aufbrach. In direkter Linie längs desselben Breitengrades lagen von Nycmgwc bis zum Meere noch 956 geogra¬ phische Meilen vor ihn?, davon über 900 gänzlich unbekannt. Aber an eine Verfolgung des kürzesten Weges zum Ozean war vorläufig gar nicht zu denken, denn nicht nach Westen, sondern direkt nach Norden floß der Strom von Nyangwc ab. Und „immer nach Norden", versicherten die Eingeborenen und Araber, fließe er, fo weit er bekannt sei. So folgte denn Stanley mit den Seinen zunächst dem Ostufer des Stromes, um jede Ungewißheit über seine mögliche Krümmung nach Osten zum Mulm Nzige oder zum Nil zu beseitigen und, falls er, wie Stanley schon damals annahm, sich später nach Westen wende, zu entdecken, welche Zuflüsse er von Osten erhalte. Vom 6. bis 19. November ging der Marsch der Kolonne durch dunkeln Urwald, zuerst in nördlicher, dann in nordwestlicher Richtung. Ursprünglich war es die Absicht Stanley's, die 240 Stunden Landes, welche der Urwald (Mitamba) bedeckt, im Walde zurückzulegen. Aber sehr bald überzeugte er sich von der gänzlichen Unausführbarkeit dieses Neiseplanes. Das Dunkel des Waldes war so tief, daß Stanley oft die Bleistiftnotizen, die er in sein Tage- *) Von denen 300 bald in andrer Richtung abgesendet werden sollten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/304>, abgerufen am 03.06.2024.