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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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gezeichnet war. Hätte er ahnen können, daß der "eine" Wasserfall vor ihm
sich allmälig zu 32 summiren würde, so hätte er längst die Boote verlassen
und den Landweg eingeschlagen, da die Finanzen und Tauschmittel der Expe¬
dition schon jetzt bedenklich zusammengeschrumpft waren.

Da sich nun die drei Jnkisi- (Zauber-)Fälle am 24. April der Weiterfahrt
entgegenstellten, ließ Stanley die Boote über den Berg schaffen, was vier Tage
Zeit kostete. Die Eingeborenen (Babwende), die hier Hausen, zeigten sich sehr
freundlich und hilfreich, doch nahm Stanley mit Schrecken wahr, daß dieselben
mit all' den Tauschmitteln, die er noch in Fülle besaß, Zeugen, Perlen u. s. w.
reichlich versehen waren. So wurde es immer schwieriger und kostspieliger,
die nöthige Nahrung für die Mannschaft aufzutreiben. Da die Zeit vom 28.
April b'is Mitte Mai dazu verwendet wurde, zwei neue stattliche Kanoes aus dem
herrlichen Weihrauchbäume (Losvsslli-z,) zu bauen, der hier in Menge stand, so
wurde der Verkehr mit den Babwende ein intimer. Sehr bemerkenswerth
war ihr Aberglaube. Ihm mußte Stanley z. B. seinen Shakespeare zum Opfer
bringen. Die Babwende hatten nämlich gesehen, wie er in sein Notizbuch schrieb
und zeichnete, und glaubten, daß sie dadurch behext würden. Sie drohten mit
Krieg, wenn das Buch nicht verbrannt würde. Da es glücklicherweise etwa
dasselbe Aussehen hatte, wie Stanley's Shakespeare, so ließen sich die Wilden
den letzteren statt des unersetzlichen Notizbuchs zur Feuerbestattung überliefern.
Noch peinlicher als dieser Verlust eines Buches, dem Stanley oftmals in der
peinlichsten Gemüthsverfassung Trost und Aufrichtung verdankt hatte, war ihm
aber die Wahrnehmung, daß er von seinen eignen Leuten bestohlen werde.
Leider wurde Ateti, der Bootführer, der tüchtigste Reisebegleiter Stanley's nächst
Frank Pocock, der Diebereien überführt, und es wurde nun förmlich Gericht
über ihn gehalten. Es war rührend, wie die Schwarzen baten, die schwere
körperliche Züchtigung, die ihr Bootführer verdient habe, ihnen selbst ange-
deihen zu lassen. Schließlich ließ Stanley Gnade für Recht ergehen und hatte
es nicht zu bereuen. Denn Ateti verdoppelte seither seine Tüchtigkeit im Dienste
des "Meisters".

Noch war die Erinnerung an diese peinliche Szene keine Woche alt, als
das allerschmerzlichste Ereigniß eintrat, das Stanley auf seiner tausendtägigen
Reise durch Afrika zu beklagen hatte: Frank Pocock, der treueste, tüchtigste
Begleiter und Freund Stanley's, der einzige noch überlebende Weiße, ertrank
am 3. Juni 1877 in den Massassa-Fällen des Livingstone. Der "Kleinmeister"
(wie Frank von den Schwarzen genannt wurde) litt schon wochenlang an Fu߬
geschwüren, die in den letzten Tagen so bös geworden waren, daß er nicht
mehr laufen konnte. Sich tragen zu lassen, erschien ihm weibisch. Er bestand
daher darauf, in Ateti's Kanoe den Weg nach dem von Stanley bestimmten Lager-


gezeichnet war. Hätte er ahnen können, daß der „eine" Wasserfall vor ihm
sich allmälig zu 32 summiren würde, so hätte er längst die Boote verlassen
und den Landweg eingeschlagen, da die Finanzen und Tauschmittel der Expe¬
dition schon jetzt bedenklich zusammengeschrumpft waren.

Da sich nun die drei Jnkisi- (Zauber-)Fälle am 24. April der Weiterfahrt
entgegenstellten, ließ Stanley die Boote über den Berg schaffen, was vier Tage
Zeit kostete. Die Eingeborenen (Babwende), die hier Hausen, zeigten sich sehr
freundlich und hilfreich, doch nahm Stanley mit Schrecken wahr, daß dieselben
mit all' den Tauschmitteln, die er noch in Fülle besaß, Zeugen, Perlen u. s. w.
reichlich versehen waren. So wurde es immer schwieriger und kostspieliger,
die nöthige Nahrung für die Mannschaft aufzutreiben. Da die Zeit vom 28.
April b'is Mitte Mai dazu verwendet wurde, zwei neue stattliche Kanoes aus dem
herrlichen Weihrauchbäume (Losvsslli-z,) zu bauen, der hier in Menge stand, so
wurde der Verkehr mit den Babwende ein intimer. Sehr bemerkenswerth
war ihr Aberglaube. Ihm mußte Stanley z. B. seinen Shakespeare zum Opfer
bringen. Die Babwende hatten nämlich gesehen, wie er in sein Notizbuch schrieb
und zeichnete, und glaubten, daß sie dadurch behext würden. Sie drohten mit
Krieg, wenn das Buch nicht verbrannt würde. Da es glücklicherweise etwa
dasselbe Aussehen hatte, wie Stanley's Shakespeare, so ließen sich die Wilden
den letzteren statt des unersetzlichen Notizbuchs zur Feuerbestattung überliefern.
Noch peinlicher als dieser Verlust eines Buches, dem Stanley oftmals in der
peinlichsten Gemüthsverfassung Trost und Aufrichtung verdankt hatte, war ihm
aber die Wahrnehmung, daß er von seinen eignen Leuten bestohlen werde.
Leider wurde Ateti, der Bootführer, der tüchtigste Reisebegleiter Stanley's nächst
Frank Pocock, der Diebereien überführt, und es wurde nun förmlich Gericht
über ihn gehalten. Es war rührend, wie die Schwarzen baten, die schwere
körperliche Züchtigung, die ihr Bootführer verdient habe, ihnen selbst ange-
deihen zu lassen. Schließlich ließ Stanley Gnade für Recht ergehen und hatte
es nicht zu bereuen. Denn Ateti verdoppelte seither seine Tüchtigkeit im Dienste
des „Meisters".

Noch war die Erinnerung an diese peinliche Szene keine Woche alt, als
das allerschmerzlichste Ereigniß eintrat, das Stanley auf seiner tausendtägigen
Reise durch Afrika zu beklagen hatte: Frank Pocock, der treueste, tüchtigste
Begleiter und Freund Stanley's, der einzige noch überlebende Weiße, ertrank
am 3. Juni 1877 in den Massassa-Fällen des Livingstone. Der „Kleinmeister"
(wie Frank von den Schwarzen genannt wurde) litt schon wochenlang an Fu߬
geschwüren, die in den letzten Tagen so bös geworden waren, daß er nicht
mehr laufen konnte. Sich tragen zu lassen, erschien ihm weibisch. Er bestand
daher darauf, in Ateti's Kanoe den Weg nach dem von Stanley bestimmten Lager-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/356>, abgerufen am 29.05.2024.