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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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empfing ihn, als er mit Skinner und zwei Offizieren erschien, scheinbar mit
dem grüßten Wohlwollen und bestimmte die drei Männer, nach stattgefundeuer
Bewirthung die Nacht über in seinem Zelte der Ruhe zu pflegen. Die am
folgenden Tage wieder aufgenommenen Unterhandlungen waren natürlich wieder
resultatlos, und Elphinstone verlangte zu seinen Leuten zurückgeführt zu werden,
aber vergebens. Er blieb des Sirdars Gefangener. Das Schicksal der wenigen
Ueberlebenden war nun besiegelt, ihre letzten Augenblicke gezählt. Zuerst
wurde, nachdem um sieben Uhr das Feuer wieder eröffnet worden war, Haupt¬
mann Skinner beim Rekognosziren durch einen Pistolenschuß zu Boden ge¬
streckt, und von da an nahmen die Afghanen die Engländer wie gehetztes Wild
von den Hohen herab einzeln aufs Korn. Auf das Treibjagen folgte dann
wieder eine Attake mit der blanken Waffe auf das letzte halbe Hundert. Von
den zwölf Männern, die dem Gemetzel zu Pferde entrannen, erlagen elf theils
der unmenschlichen Anstrengung auf der Flucht, theils wurden sie nur wenige
Meilen von Jellalabad in einem Dorfe, wo sie ein Unterkommen gesucht hatten,
niedergemacht. Ein Einziger, der Arzt Brydon, der Letzte aus dem ganzen
wenige Tage zuvor von Cabul aufgebrochenen Heere, erreichte Jellalabad, sah
seine Landsleute wieder und konnte von dem Verbleib der unter General
Elphinstone's Oberbefehl stehenden Okkupationsarmee Kundschaft geben.

Kaum weniger jammervoll war das Geschick der Besatzung, welche die
Engländer nach Ghizni geworfen hatten, während die in dem von Cabul be¬
deutend weiter entfernten Kahandar liegende Truppenabtheilung aushielt, bis
ein wesentlicher Umschwung eintrat. Die Absicht des Kommandanten von
Ghizni, mit seineu Streitkräften zur Hauptarmee zu stoßen, wurde durch eine
Belagerung und durch Mangel an Lebensmitteln vereitelt.

Nach den vom Lieutenant Crawford, der die Belagerung und Uebergabe
mit durchmachte, herausgegebenen Aufzeichnungen sah sich die Besatzung um die
Mitte des Monats Dezember genöthigt, die Stadt zu räumen und sich in der
Zitadelle festzusetzen. Wie in Cabul so war auch in dieser Landschaft der
Winter von ungewöhnlicher Strenge. Aber obwohl auch hier die indischen
Truppen bald völlig dienstuntauglich wurden, hielten die Engländer so lange
tapfer aus, bis jede Hoffnung auf Ersatz geschwunden und der letzte Bissen
Brodes aufgezehrt war. In der vom Obersten Palmer unterzeichneten Kapi¬
tulation hieß es, daß die unter seiner Führung stehenden Truppen mit Waffen
und Gepäck nach Peschawer abziehen dürften. Kaum aber hatten die Eng¬
länder die Zitadelle verlassen und in verschiedenen Häusern der Stadt, um
sich zum Abmärsche zu rüsten, Quartiere bezogen, als sie sich von allen Seiten
angegriffen sahen. Zuletzt konzentrirten sie sich auf zwei Gebäude, wo sie zwei
Tage lang vom Hunger und Durst gepeinigt und in den engen Räumen auf


empfing ihn, als er mit Skinner und zwei Offizieren erschien, scheinbar mit
dem grüßten Wohlwollen und bestimmte die drei Männer, nach stattgefundeuer
Bewirthung die Nacht über in seinem Zelte der Ruhe zu pflegen. Die am
folgenden Tage wieder aufgenommenen Unterhandlungen waren natürlich wieder
resultatlos, und Elphinstone verlangte zu seinen Leuten zurückgeführt zu werden,
aber vergebens. Er blieb des Sirdars Gefangener. Das Schicksal der wenigen
Ueberlebenden war nun besiegelt, ihre letzten Augenblicke gezählt. Zuerst
wurde, nachdem um sieben Uhr das Feuer wieder eröffnet worden war, Haupt¬
mann Skinner beim Rekognosziren durch einen Pistolenschuß zu Boden ge¬
streckt, und von da an nahmen die Afghanen die Engländer wie gehetztes Wild
von den Hohen herab einzeln aufs Korn. Auf das Treibjagen folgte dann
wieder eine Attake mit der blanken Waffe auf das letzte halbe Hundert. Von
den zwölf Männern, die dem Gemetzel zu Pferde entrannen, erlagen elf theils
der unmenschlichen Anstrengung auf der Flucht, theils wurden sie nur wenige
Meilen von Jellalabad in einem Dorfe, wo sie ein Unterkommen gesucht hatten,
niedergemacht. Ein Einziger, der Arzt Brydon, der Letzte aus dem ganzen
wenige Tage zuvor von Cabul aufgebrochenen Heere, erreichte Jellalabad, sah
seine Landsleute wieder und konnte von dem Verbleib der unter General
Elphinstone's Oberbefehl stehenden Okkupationsarmee Kundschaft geben.

Kaum weniger jammervoll war das Geschick der Besatzung, welche die
Engländer nach Ghizni geworfen hatten, während die in dem von Cabul be¬
deutend weiter entfernten Kahandar liegende Truppenabtheilung aushielt, bis
ein wesentlicher Umschwung eintrat. Die Absicht des Kommandanten von
Ghizni, mit seineu Streitkräften zur Hauptarmee zu stoßen, wurde durch eine
Belagerung und durch Mangel an Lebensmitteln vereitelt.

Nach den vom Lieutenant Crawford, der die Belagerung und Uebergabe
mit durchmachte, herausgegebenen Aufzeichnungen sah sich die Besatzung um die
Mitte des Monats Dezember genöthigt, die Stadt zu räumen und sich in der
Zitadelle festzusetzen. Wie in Cabul so war auch in dieser Landschaft der
Winter von ungewöhnlicher Strenge. Aber obwohl auch hier die indischen
Truppen bald völlig dienstuntauglich wurden, hielten die Engländer so lange
tapfer aus, bis jede Hoffnung auf Ersatz geschwunden und der letzte Bissen
Brodes aufgezehrt war. In der vom Obersten Palmer unterzeichneten Kapi¬
tulation hieß es, daß die unter seiner Führung stehenden Truppen mit Waffen
und Gepäck nach Peschawer abziehen dürften. Kaum aber hatten die Eng¬
länder die Zitadelle verlassen und in verschiedenen Häusern der Stadt, um
sich zum Abmärsche zu rüsten, Quartiere bezogen, als sie sich von allen Seiten
angegriffen sahen. Zuletzt konzentrirten sie sich auf zwei Gebäude, wo sie zwei
Tage lang vom Hunger und Durst gepeinigt und in den engen Räumen auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/423>, abgerufen am 29.05.2024.