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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Denn nicht auf Eroberung soll man nach Indien ziehen, sondern um die eng¬
lische Macht zu stürzen oder doch zu erschüttern. Dcizn reicht ein mäßiges
Korps hin, welches den Kern der Invasion zu bilden Hütte, um welches sich
bald alle geknechteten Völkerschaften reihen dürften, und welches, in dem Maß,
als die allgemeine Bewegung wüchse, allmälig reduzirt werdeu könnte."

Soweit General Duhamel. Die zweite Denkschrift, vom August 1854
datirt und in russischer Sprache abgefaßt, rührt von einem ungenannten, in
den orientalischen Dingen wohlbewanderter Staatsmann her, der sich dem
Duhamel'schen Memoire anschließt. Folgendes ist eine Analyse der heute noch
giltigen Ausführungen seines Exposes.

Der Nerv von England's Macht liegt in Indien. Nicht sowohl der
Besitz Indien's um jeden Preis, als der Besitz in ungestörter Ruhe ist die
Bedingung englischer Macht. Indien erschüttern, heißt England aus seiner
Höhe herabstürzen, und an der Möglichkeit, England in Indien zu schädigen,
können in Rußland nur die verkappten Freunde englischer Politik zweifeln.
In den Depeschen von Ellis und Mac Niet, in der Kriegserklärung Lord
Auckland's an Afghanistan wird die Möglichkeit dieser Gefahr ausdrücklich
anerkannt. Seitdem hat England allerdings seine Stellung durch ununter¬
brochene Thätigkeit ungeheuer befestigt, es hat in Indien selbst eine große
Heeresmacht disponibel, treffliche Wege sind zu Lande und zu Wasser geschaffen;
im Nordwesten ist eine Reihe von Kriegsdepvts angelegt; überall in Mittel¬
asien sind englische Kaufleute, englische Agenten, englisches Geld hingedrungen.
Aber dennoch ist England in Indien verwundbar, und wenn Rußland auch
Indien nicht zu erobern und noch weniger zu behaupten vermag, so lange
England das Meer beherrscht, so kann es seine Größe doch brechen. Die
rechtlose Stellung und die daraus resultirende tödtliche Erbitterung der indischen,
den englischen Herren an Bildung gewachsenen Kg,It' ca.se ist England's gefähr¬
lichster Feind, wie Afghanistan sein gefährlichster Nachbar. Mit Hilfe von
Persien und Afghanistan ist der Schlag auf Indien zu führen, und eine diplo¬
matische Vorbereitung hat der kriegerischen zur Seite zu gehen. Allen Nach¬
barn und Unterthanen England's hat Rußland sich als Befreier anzukündigen.
Was die Afghanen betrifft, so werden diese nur durch Furcht im Zaume ge¬
halten, da keinerlei Neigung sie an England knüpft, während sie in den Jahren
1836 und 1837 sich förmlich an Rußland um Schutz wandten.

Weiter wird ausgeführt, wie Afghanistan im russischen Interesse zu orga-
nisiren sei, auch ist der Fall vorgesehen, daß England nicht zum Angriff
schreitet, soudern in der Defensive verharrt und seine Armeen im Pendschab
aufstellt. "Die Kosten wären aber dann ganz ungeheuer. Die bloßen afgha¬
nischen Feldzüge habe" 600 Millionen Fras. gekostet, nach amtlichen Ausweis,


Denn nicht auf Eroberung soll man nach Indien ziehen, sondern um die eng¬
lische Macht zu stürzen oder doch zu erschüttern. Dcizn reicht ein mäßiges
Korps hin, welches den Kern der Invasion zu bilden Hütte, um welches sich
bald alle geknechteten Völkerschaften reihen dürften, und welches, in dem Maß,
als die allgemeine Bewegung wüchse, allmälig reduzirt werdeu könnte."

Soweit General Duhamel. Die zweite Denkschrift, vom August 1854
datirt und in russischer Sprache abgefaßt, rührt von einem ungenannten, in
den orientalischen Dingen wohlbewanderter Staatsmann her, der sich dem
Duhamel'schen Memoire anschließt. Folgendes ist eine Analyse der heute noch
giltigen Ausführungen seines Exposes.

Der Nerv von England's Macht liegt in Indien. Nicht sowohl der
Besitz Indien's um jeden Preis, als der Besitz in ungestörter Ruhe ist die
Bedingung englischer Macht. Indien erschüttern, heißt England aus seiner
Höhe herabstürzen, und an der Möglichkeit, England in Indien zu schädigen,
können in Rußland nur die verkappten Freunde englischer Politik zweifeln.
In den Depeschen von Ellis und Mac Niet, in der Kriegserklärung Lord
Auckland's an Afghanistan wird die Möglichkeit dieser Gefahr ausdrücklich
anerkannt. Seitdem hat England allerdings seine Stellung durch ununter¬
brochene Thätigkeit ungeheuer befestigt, es hat in Indien selbst eine große
Heeresmacht disponibel, treffliche Wege sind zu Lande und zu Wasser geschaffen;
im Nordwesten ist eine Reihe von Kriegsdepvts angelegt; überall in Mittel¬
asien sind englische Kaufleute, englische Agenten, englisches Geld hingedrungen.
Aber dennoch ist England in Indien verwundbar, und wenn Rußland auch
Indien nicht zu erobern und noch weniger zu behaupten vermag, so lange
England das Meer beherrscht, so kann es seine Größe doch brechen. Die
rechtlose Stellung und die daraus resultirende tödtliche Erbitterung der indischen,
den englischen Herren an Bildung gewachsenen Kg,It' ca.se ist England's gefähr¬
lichster Feind, wie Afghanistan sein gefährlichster Nachbar. Mit Hilfe von
Persien und Afghanistan ist der Schlag auf Indien zu führen, und eine diplo¬
matische Vorbereitung hat der kriegerischen zur Seite zu gehen. Allen Nach¬
barn und Unterthanen England's hat Rußland sich als Befreier anzukündigen.
Was die Afghanen betrifft, so werden diese nur durch Furcht im Zaume ge¬
halten, da keinerlei Neigung sie an England knüpft, während sie in den Jahren
1836 und 1837 sich förmlich an Rußland um Schutz wandten.

Weiter wird ausgeführt, wie Afghanistan im russischen Interesse zu orga-
nisiren sei, auch ist der Fall vorgesehen, daß England nicht zum Angriff
schreitet, soudern in der Defensive verharrt und seine Armeen im Pendschab
aufstellt. „Die Kosten wären aber dann ganz ungeheuer. Die bloßen afgha¬
nischen Feldzüge habe« 600 Millionen Fras. gekostet, nach amtlichen Ausweis,


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[0432] Denn nicht auf Eroberung soll man nach Indien ziehen, sondern um die eng¬ lische Macht zu stürzen oder doch zu erschüttern. Dcizn reicht ein mäßiges Korps hin, welches den Kern der Invasion zu bilden Hütte, um welches sich bald alle geknechteten Völkerschaften reihen dürften, und welches, in dem Maß, als die allgemeine Bewegung wüchse, allmälig reduzirt werdeu könnte." Soweit General Duhamel. Die zweite Denkschrift, vom August 1854 datirt und in russischer Sprache abgefaßt, rührt von einem ungenannten, in den orientalischen Dingen wohlbewanderter Staatsmann her, der sich dem Duhamel'schen Memoire anschließt. Folgendes ist eine Analyse der heute noch giltigen Ausführungen seines Exposes. Der Nerv von England's Macht liegt in Indien. Nicht sowohl der Besitz Indien's um jeden Preis, als der Besitz in ungestörter Ruhe ist die Bedingung englischer Macht. Indien erschüttern, heißt England aus seiner Höhe herabstürzen, und an der Möglichkeit, England in Indien zu schädigen, können in Rußland nur die verkappten Freunde englischer Politik zweifeln. In den Depeschen von Ellis und Mac Niet, in der Kriegserklärung Lord Auckland's an Afghanistan wird die Möglichkeit dieser Gefahr ausdrücklich anerkannt. Seitdem hat England allerdings seine Stellung durch ununter¬ brochene Thätigkeit ungeheuer befestigt, es hat in Indien selbst eine große Heeresmacht disponibel, treffliche Wege sind zu Lande und zu Wasser geschaffen; im Nordwesten ist eine Reihe von Kriegsdepvts angelegt; überall in Mittel¬ asien sind englische Kaufleute, englische Agenten, englisches Geld hingedrungen. Aber dennoch ist England in Indien verwundbar, und wenn Rußland auch Indien nicht zu erobern und noch weniger zu behaupten vermag, so lange England das Meer beherrscht, so kann es seine Größe doch brechen. Die rechtlose Stellung und die daraus resultirende tödtliche Erbitterung der indischen, den englischen Herren an Bildung gewachsenen Kg,It' ca.se ist England's gefähr¬ lichster Feind, wie Afghanistan sein gefährlichster Nachbar. Mit Hilfe von Persien und Afghanistan ist der Schlag auf Indien zu führen, und eine diplo¬ matische Vorbereitung hat der kriegerischen zur Seite zu gehen. Allen Nach¬ barn und Unterthanen England's hat Rußland sich als Befreier anzukündigen. Was die Afghanen betrifft, so werden diese nur durch Furcht im Zaume ge¬ halten, da keinerlei Neigung sie an England knüpft, während sie in den Jahren 1836 und 1837 sich förmlich an Rußland um Schutz wandten. Weiter wird ausgeführt, wie Afghanistan im russischen Interesse zu orga- nisiren sei, auch ist der Fall vorgesehen, daß England nicht zum Angriff schreitet, soudern in der Defensive verharrt und seine Armeen im Pendschab aufstellt. „Die Kosten wären aber dann ganz ungeheuer. Die bloßen afgha¬ nischen Feldzüge habe« 600 Millionen Fras. gekostet, nach amtlichen Ausweis,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/432>, abgerufen am 29.05.2024.