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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Ungerechtigkeiten verführt. Mit dem Selbstgefühl und in dem Tone eines alt-
testamentlichen Propheten schwingt er das Schwert des richtenden Wortes.
Mit glühendem Haß verfolgt und bekämpft er, wer nicht zu seiner Fahne hält;
mit glühender Begeisterung streitet er für diese. Dort sieht er nur Finsterniß,
hier nur Licht.

Und fragen wir nun: was ist ihm Finsterniß, was ist ihm Licht, wogegen
und wofür kämpft er? so ist die Antwort, die wir empfangen, keineswegs ge¬
eignet, uns von der Gerechtigkeit seiner Kampfesweise zu überführen. Es
sind zwei Feinde, gegen die Baumgarten und dem größten Eifer streitet. Den
einen findet er in jeder rechtlich geordneten Verbindung zwischen Staat und
Kirche, die er als Staatskirchenthum bezeichnet, und über welche er die vollen
Schalen seines Zornes ergießt. Er wird nicht müde, die schwerwiegendsten
Angriffe gegen dieses Staatskirchenthum zu richten. Er läßt aus ihm eine
Verweltlichung der Kirche entstehen, welche den christlichen Charakter des geist¬
lichen Amtes verfälsche und einen Pastoralen Klerikalismus erzeuge, der dann
seinerseits wieder Anleitung gebe, das Heiligthum des christlichen Geistes und
Lebens in Werkheiligkeit und Zeremonienwesen zu verkehren. Er redet von
der scheinheiligen Lüge des Staatskirchenthums, und wenn Freunde desselben
behaupten, daß seine Aushebung zwar nicht der Kirche, wohl aber dem Staate
Schaden bringe, so nennt er dies eine gleißnerische Rede. Er fordert, daß
evangelische Predigten im Sinne und Geiste Luther's die, wahre Gemeinde aus
der Gefangenschaft und dem wüsten Staatskirchenthum erlöse; und er klagt,
daß durch dasselbe die Kraft der Predigt entnervt sei.

Die Kehrseite dieses Hasses gegen die Staatskirche, in der er nur Finster¬
niß erkennt, ist die Begeisterung für die Freikirche, in der er nur Licht zu
sehen vermag. Die Kirche der ersten drei Jahrhunderte, die Kirche Nord¬
amerika's -- das sind ihm die vorbildlichen Erscheinungen. Er begrüßt daher
in der Gegenwart mit der wärmsten Sympathie die obligatorische Zivilehe,
weil dnrch sie das Staatskirchenthum beseitigt sei. Und die, welche diese be¬
klagen und durch die Nothzivilehe ersetzt wissen wollen, verurtheilt er mit den
herben Worten: "Diese lieben Leute thun außerordentlich fromm, merken aber
gar nicht, daß sie mit ihren scheinheiligen Reden einen wahren Abgrund eigener
Gottlosigkeit aufdecken." Und ein Zusammensprechen, das Tranformular, ist
ihm unter allen Umständen, man möge es näher zu bestimmen suchen, wie
man wolle, eine unchristliche, unevangelische, hierarchische Anmaßung des Pastors.

So sehr uun aber auch Baumgarten gegen das Staatskirchenthum eifert,
so hat doch auch ein Christenthum, welches das öffentliche Leben und die
Interessen des Volks ignorirt, durchaus nicht seinen Beifall. Im Gegentheil
beschuldigt er das Staatskirchenthum, daß es zum Servilismus führe und auf


Ungerechtigkeiten verführt. Mit dem Selbstgefühl und in dem Tone eines alt-
testamentlichen Propheten schwingt er das Schwert des richtenden Wortes.
Mit glühendem Haß verfolgt und bekämpft er, wer nicht zu seiner Fahne hält;
mit glühender Begeisterung streitet er für diese. Dort sieht er nur Finsterniß,
hier nur Licht.

Und fragen wir nun: was ist ihm Finsterniß, was ist ihm Licht, wogegen
und wofür kämpft er? so ist die Antwort, die wir empfangen, keineswegs ge¬
eignet, uns von der Gerechtigkeit seiner Kampfesweise zu überführen. Es
sind zwei Feinde, gegen die Baumgarten und dem größten Eifer streitet. Den
einen findet er in jeder rechtlich geordneten Verbindung zwischen Staat und
Kirche, die er als Staatskirchenthum bezeichnet, und über welche er die vollen
Schalen seines Zornes ergießt. Er wird nicht müde, die schwerwiegendsten
Angriffe gegen dieses Staatskirchenthum zu richten. Er läßt aus ihm eine
Verweltlichung der Kirche entstehen, welche den christlichen Charakter des geist¬
lichen Amtes verfälsche und einen Pastoralen Klerikalismus erzeuge, der dann
seinerseits wieder Anleitung gebe, das Heiligthum des christlichen Geistes und
Lebens in Werkheiligkeit und Zeremonienwesen zu verkehren. Er redet von
der scheinheiligen Lüge des Staatskirchenthums, und wenn Freunde desselben
behaupten, daß seine Aushebung zwar nicht der Kirche, wohl aber dem Staate
Schaden bringe, so nennt er dies eine gleißnerische Rede. Er fordert, daß
evangelische Predigten im Sinne und Geiste Luther's die, wahre Gemeinde aus
der Gefangenschaft und dem wüsten Staatskirchenthum erlöse; und er klagt,
daß durch dasselbe die Kraft der Predigt entnervt sei.

Die Kehrseite dieses Hasses gegen die Staatskirche, in der er nur Finster¬
niß erkennt, ist die Begeisterung für die Freikirche, in der er nur Licht zu
sehen vermag. Die Kirche der ersten drei Jahrhunderte, die Kirche Nord¬
amerika's — das sind ihm die vorbildlichen Erscheinungen. Er begrüßt daher
in der Gegenwart mit der wärmsten Sympathie die obligatorische Zivilehe,
weil dnrch sie das Staatskirchenthum beseitigt sei. Und die, welche diese be¬
klagen und durch die Nothzivilehe ersetzt wissen wollen, verurtheilt er mit den
herben Worten: „Diese lieben Leute thun außerordentlich fromm, merken aber
gar nicht, daß sie mit ihren scheinheiligen Reden einen wahren Abgrund eigener
Gottlosigkeit aufdecken." Und ein Zusammensprechen, das Tranformular, ist
ihm unter allen Umständen, man möge es näher zu bestimmen suchen, wie
man wolle, eine unchristliche, unevangelische, hierarchische Anmaßung des Pastors.

So sehr uun aber auch Baumgarten gegen das Staatskirchenthum eifert,
so hat doch auch ein Christenthum, welches das öffentliche Leben und die
Interessen des Volks ignorirt, durchaus nicht seinen Beifall. Im Gegentheil
beschuldigt er das Staatskirchenthum, daß es zum Servilismus führe und auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/460>, abgerufen am 15.05.2024.