Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Entwickelung der öffentlichen Angelegenheiten hemmend wirke. So ist ihm
denn, fast noch mehr als Luther, der seine Prinzipien nicht konsequent zur
Geltung gebracht habe, Oliver Cromwell das Ideal eines kirchenpolitischen
Reformators. So sehr ist er für denselben eingenommen, daß er auch die
Enthauptung Karl's I. nur durchaus billigt und diejenigen, welche in ihr eine
schwere Schuld seiner Richter erkennen, eines dummen unchristlichen Vorur¬
theils über eine große That der Völkergeschichte zeiht. Diese That, sagt er,
mit solchem heiligen Ernste vorbereitet, vollzogen und gerechtfertigt, ist eine
Luftreinigung auf lange Zeiten, sie wird, wie Cromwell den Schotten sagte,
ein Schrecken bleiben für Tyrannen.

Es ist begreiflich, daß bei diesen Sympathien Baumgarten's die Bezie¬
hung zwischen Christenthum und öffentlichen Angelegenheiten, wie sie sich im
protestantischen Deutschland gestaltet hat, von ihm auf das Schärfste verurtheilt
wird. Er findet hier einen naiven Servilismus der Theologen und Pastoren,
der nach kirchlicher Theorie und Praxis für christlich und lutherisch gehalten
werde. Und er beruft sich dafür besonders auf die Geschichte unseres Jahr¬
hunderts. In der Zeit der Napoleonischen Invasion hätten die rettenden
Geister vorzugsweise dem Lnienstande angehört, nur Schleiermacher sei unter
ihnen fast der einzige Vertreter der Kirche gewesen. Und die politische Reaktion,
die nach den Befreiungskriegen eingetreten sei, habe bei den geistlichen und den
kirchlichen Laien eine kräftige Unterstützung, Schleiermacher's Protest gegen die¬
selbe aber keinen Wiederhall gefunden. Auch daß die hannöversche Geistlichkeit
mit schüchternem Stillschweigen über die Aufhebung der Verfassung dnrch Ernst
August hinweggegangen sei, müsse als ein Zeugniß für eine verderbliche Kor¬
ruption in dem öffentlichen Gewissen, namentlich in geistlichen Kreisen betrachtet
werden. Und ebenso trage an der politischen Reaktion der fünfziger Jahre
die pietistische Partei die Hauptschuld. Bciumgarten straft ferner die Gleich-
giltigkeit, wenn nicht Dänenfreuudlichkeit, welche dieselbe Richtung in der Sache
Schleswig-Holstein's an den Tag gelegt habe, und zeiht sie endlich der Sym¬
pathien mit dem Papstthum. Und es ist besonders die Kreuzzeitung, das
Organ dieser Partei in der Presse, gegen welche er diese schweren Beschuldi¬
gungen richtet.

Wir sind natürlich weit davon entfernt, diesem Feldzug Baumgarten's
gegen gewisse Eigenthümlichkeiten der kirchlich-konservativen Partei der Gegen¬
wart jede Berechtigung abzusprechen. Wir sehen mit ihm in denselben gefähr¬
liche Verirrungen, aber darin unterscheiden wir uns von ihm, daß wir die
Ursachen derselben ebenso wie ihre Motive auf einem anderen Gebiete suchen
und deshalb in der Lage sind, gerechter und milder über sie zu urtheilen.

Wir stellen zuerst in Abrede, daß jede organische Verbindung zwischen


Grenzboten IV. 137L. 58

die Entwickelung der öffentlichen Angelegenheiten hemmend wirke. So ist ihm
denn, fast noch mehr als Luther, der seine Prinzipien nicht konsequent zur
Geltung gebracht habe, Oliver Cromwell das Ideal eines kirchenpolitischen
Reformators. So sehr ist er für denselben eingenommen, daß er auch die
Enthauptung Karl's I. nur durchaus billigt und diejenigen, welche in ihr eine
schwere Schuld seiner Richter erkennen, eines dummen unchristlichen Vorur¬
theils über eine große That der Völkergeschichte zeiht. Diese That, sagt er,
mit solchem heiligen Ernste vorbereitet, vollzogen und gerechtfertigt, ist eine
Luftreinigung auf lange Zeiten, sie wird, wie Cromwell den Schotten sagte,
ein Schrecken bleiben für Tyrannen.

Es ist begreiflich, daß bei diesen Sympathien Baumgarten's die Bezie¬
hung zwischen Christenthum und öffentlichen Angelegenheiten, wie sie sich im
protestantischen Deutschland gestaltet hat, von ihm auf das Schärfste verurtheilt
wird. Er findet hier einen naiven Servilismus der Theologen und Pastoren,
der nach kirchlicher Theorie und Praxis für christlich und lutherisch gehalten
werde. Und er beruft sich dafür besonders auf die Geschichte unseres Jahr¬
hunderts. In der Zeit der Napoleonischen Invasion hätten die rettenden
Geister vorzugsweise dem Lnienstande angehört, nur Schleiermacher sei unter
ihnen fast der einzige Vertreter der Kirche gewesen. Und die politische Reaktion,
die nach den Befreiungskriegen eingetreten sei, habe bei den geistlichen und den
kirchlichen Laien eine kräftige Unterstützung, Schleiermacher's Protest gegen die¬
selbe aber keinen Wiederhall gefunden. Auch daß die hannöversche Geistlichkeit
mit schüchternem Stillschweigen über die Aufhebung der Verfassung dnrch Ernst
August hinweggegangen sei, müsse als ein Zeugniß für eine verderbliche Kor¬
ruption in dem öffentlichen Gewissen, namentlich in geistlichen Kreisen betrachtet
werden. Und ebenso trage an der politischen Reaktion der fünfziger Jahre
die pietistische Partei die Hauptschuld. Bciumgarten straft ferner die Gleich-
giltigkeit, wenn nicht Dänenfreuudlichkeit, welche dieselbe Richtung in der Sache
Schleswig-Holstein's an den Tag gelegt habe, und zeiht sie endlich der Sym¬
pathien mit dem Papstthum. Und es ist besonders die Kreuzzeitung, das
Organ dieser Partei in der Presse, gegen welche er diese schweren Beschuldi¬
gungen richtet.

Wir sind natürlich weit davon entfernt, diesem Feldzug Baumgarten's
gegen gewisse Eigenthümlichkeiten der kirchlich-konservativen Partei der Gegen¬
wart jede Berechtigung abzusprechen. Wir sehen mit ihm in denselben gefähr¬
liche Verirrungen, aber darin unterscheiden wir uns von ihm, daß wir die
Ursachen derselben ebenso wie ihre Motive auf einem anderen Gebiete suchen
und deshalb in der Lage sind, gerechter und milder über sie zu urtheilen.

Wir stellen zuerst in Abrede, daß jede organische Verbindung zwischen


Grenzboten IV. 137L. 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141340"/>
          <p xml:id="ID_1518" prev="#ID_1517"> die Entwickelung der öffentlichen Angelegenheiten hemmend wirke. So ist ihm<lb/>
denn, fast noch mehr als Luther, der seine Prinzipien nicht konsequent zur<lb/>
Geltung gebracht habe, Oliver Cromwell das Ideal eines kirchenpolitischen<lb/>
Reformators. So sehr ist er für denselben eingenommen, daß er auch die<lb/>
Enthauptung Karl's I. nur durchaus billigt und diejenigen, welche in ihr eine<lb/>
schwere Schuld seiner Richter erkennen, eines dummen unchristlichen Vorur¬<lb/>
theils über eine große That der Völkergeschichte zeiht. Diese That, sagt er,<lb/>
mit solchem heiligen Ernste vorbereitet, vollzogen und gerechtfertigt, ist eine<lb/>
Luftreinigung auf lange Zeiten, sie wird, wie Cromwell den Schotten sagte,<lb/>
ein Schrecken bleiben für Tyrannen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519"> Es ist begreiflich, daß bei diesen Sympathien Baumgarten's die Bezie¬<lb/>
hung zwischen Christenthum und öffentlichen Angelegenheiten, wie sie sich im<lb/>
protestantischen Deutschland gestaltet hat, von ihm auf das Schärfste verurtheilt<lb/>
wird. Er findet hier einen naiven Servilismus der Theologen und Pastoren,<lb/>
der nach kirchlicher Theorie und Praxis für christlich und lutherisch gehalten<lb/>
werde. Und er beruft sich dafür besonders auf die Geschichte unseres Jahr¬<lb/>
hunderts. In der Zeit der Napoleonischen Invasion hätten die rettenden<lb/>
Geister vorzugsweise dem Lnienstande angehört, nur Schleiermacher sei unter<lb/>
ihnen fast der einzige Vertreter der Kirche gewesen. Und die politische Reaktion,<lb/>
die nach den Befreiungskriegen eingetreten sei, habe bei den geistlichen und den<lb/>
kirchlichen Laien eine kräftige Unterstützung, Schleiermacher's Protest gegen die¬<lb/>
selbe aber keinen Wiederhall gefunden. Auch daß die hannöversche Geistlichkeit<lb/>
mit schüchternem Stillschweigen über die Aufhebung der Verfassung dnrch Ernst<lb/>
August hinweggegangen sei, müsse als ein Zeugniß für eine verderbliche Kor¬<lb/>
ruption in dem öffentlichen Gewissen, namentlich in geistlichen Kreisen betrachtet<lb/>
werden. Und ebenso trage an der politischen Reaktion der fünfziger Jahre<lb/>
die pietistische Partei die Hauptschuld. Bciumgarten straft ferner die Gleich-<lb/>
giltigkeit, wenn nicht Dänenfreuudlichkeit, welche dieselbe Richtung in der Sache<lb/>
Schleswig-Holstein's an den Tag gelegt habe, und zeiht sie endlich der Sym¬<lb/>
pathien mit dem Papstthum. Und es ist besonders die Kreuzzeitung, das<lb/>
Organ dieser Partei in der Presse, gegen welche er diese schweren Beschuldi¬<lb/>
gungen richtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520"> Wir sind natürlich weit davon entfernt, diesem Feldzug Baumgarten's<lb/>
gegen gewisse Eigenthümlichkeiten der kirchlich-konservativen Partei der Gegen¬<lb/>
wart jede Berechtigung abzusprechen. Wir sehen mit ihm in denselben gefähr¬<lb/>
liche Verirrungen, aber darin unterscheiden wir uns von ihm, daß wir die<lb/>
Ursachen derselben ebenso wie ihre Motive auf einem anderen Gebiete suchen<lb/>
und deshalb in der Lage sind, gerechter und milder über sie zu urtheilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521" next="#ID_1522"> Wir stellen zuerst in Abrede, daß jede organische Verbindung zwischen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 137L. 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] die Entwickelung der öffentlichen Angelegenheiten hemmend wirke. So ist ihm denn, fast noch mehr als Luther, der seine Prinzipien nicht konsequent zur Geltung gebracht habe, Oliver Cromwell das Ideal eines kirchenpolitischen Reformators. So sehr ist er für denselben eingenommen, daß er auch die Enthauptung Karl's I. nur durchaus billigt und diejenigen, welche in ihr eine schwere Schuld seiner Richter erkennen, eines dummen unchristlichen Vorur¬ theils über eine große That der Völkergeschichte zeiht. Diese That, sagt er, mit solchem heiligen Ernste vorbereitet, vollzogen und gerechtfertigt, ist eine Luftreinigung auf lange Zeiten, sie wird, wie Cromwell den Schotten sagte, ein Schrecken bleiben für Tyrannen. Es ist begreiflich, daß bei diesen Sympathien Baumgarten's die Bezie¬ hung zwischen Christenthum und öffentlichen Angelegenheiten, wie sie sich im protestantischen Deutschland gestaltet hat, von ihm auf das Schärfste verurtheilt wird. Er findet hier einen naiven Servilismus der Theologen und Pastoren, der nach kirchlicher Theorie und Praxis für christlich und lutherisch gehalten werde. Und er beruft sich dafür besonders auf die Geschichte unseres Jahr¬ hunderts. In der Zeit der Napoleonischen Invasion hätten die rettenden Geister vorzugsweise dem Lnienstande angehört, nur Schleiermacher sei unter ihnen fast der einzige Vertreter der Kirche gewesen. Und die politische Reaktion, die nach den Befreiungskriegen eingetreten sei, habe bei den geistlichen und den kirchlichen Laien eine kräftige Unterstützung, Schleiermacher's Protest gegen die¬ selbe aber keinen Wiederhall gefunden. Auch daß die hannöversche Geistlichkeit mit schüchternem Stillschweigen über die Aufhebung der Verfassung dnrch Ernst August hinweggegangen sei, müsse als ein Zeugniß für eine verderbliche Kor¬ ruption in dem öffentlichen Gewissen, namentlich in geistlichen Kreisen betrachtet werden. Und ebenso trage an der politischen Reaktion der fünfziger Jahre die pietistische Partei die Hauptschuld. Bciumgarten straft ferner die Gleich- giltigkeit, wenn nicht Dänenfreuudlichkeit, welche dieselbe Richtung in der Sache Schleswig-Holstein's an den Tag gelegt habe, und zeiht sie endlich der Sym¬ pathien mit dem Papstthum. Und es ist besonders die Kreuzzeitung, das Organ dieser Partei in der Presse, gegen welche er diese schweren Beschuldi¬ gungen richtet. Wir sind natürlich weit davon entfernt, diesem Feldzug Baumgarten's gegen gewisse Eigenthümlichkeiten der kirchlich-konservativen Partei der Gegen¬ wart jede Berechtigung abzusprechen. Wir sehen mit ihm in denselben gefähr¬ liche Verirrungen, aber darin unterscheiden wir uns von ihm, daß wir die Ursachen derselben ebenso wie ihre Motive auf einem anderen Gebiete suchen und deshalb in der Lage sind, gerechter und milder über sie zu urtheilen. Wir stellen zuerst in Abrede, daß jede organische Verbindung zwischen Grenzboten IV. 137L. 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/461>, abgerufen am 29.05.2024.