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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Mixtum von Fortschritt, Zentrum und Komik, trieb das Reden von Allotria
auf die Spitze, gefiel sich in so barocken Wendungen, daß uns der Wunsch be-
schlich, die Photographien seiner Wähler zu sehen, und wurde durch den Un¬
willen des Hauses fortwährend, vom Präsidenten nur bei eingehender Darstel¬
lung der Politik Cavour's unterbrochen, konnte auch nicht begreifen, warum
der Präsident seine Bemerkung mißbilligte, die preußischen Prinzen seien mal
in Breslau als Hunde bezeichnet. Mit Virchow den Grund der Sozialdemo¬
kratie in der Politik Bismarck's sehend, verhöhnte Redner schließlich sich selbst
durch die Behauptung, daß die Schuld auch an den endlosen Kammerreden liege.

Die Verhandlung stand auf der vollen Höhe der Parteienverhetzung, als
Richter unter vielfacher Zustimmung die Rede von Ludwig's für eine so schlimme
Erregung des Klassenhasses erklärte, wie sie bei Sozialdemokraten üblich. Er
selbst schien zu meinen, Gleiches dadurch zu vermeiden, daß er die Verordnung
als Beweis für die Wirkungslosigkeit des Sozialistengesetzes bezeichnete. Bei
Richter kann man sich schon längst über nichts mehr wundern; immerhin aber
werden wir durch die Dreistigkeit seiner jetzigen Behauptung frappirt, daß der
glänzende Empfang des zurückkehrenden Kaisers das Werk der Fortschritts¬
partei sei. Am Ende ist dieselbe noch die loyalste! Sie ist vielleicht loyaler
als die Regierung, denn nach Richter hat gerade die Verordnung Handel und
Verkehr beunruhigt. Es war doch wirklich viel zu gutmüthig, daß Bethusy
die Fortschrittler als die Kraft bezeichnete, die stets das Gute will und stets
das Böse schafft. Hänel trat mit seinem Verlangen nach Angabe bestimmter,
die Verordnung rechtfertigender Thatsachen, die doch nur vor den Reichstag
gehören, ganz aus dem Rahmen der hier zulässigen Erörterung und verging
sich im Uebrigen in einer unklaren und widerspruchsvollen Schilderung seiner
eigenen Partei bis auf den römischen König Tarquinius hinab, v. Rauchhaupt
bedauerte zwar, daß die Debatte die Gegensätze der Parteien verschärft, trug
aber doch selbst etwas dazu bei, indem er die Hinüberziehung der sozialdemo¬
kratischen Wähler in das eigene Lager als Zweck des jetzigen Vorgehens der
Fortschrittler angab. Endlich konstatirte Laster das Ergebniß der ganzen
Debatte ganz richtig dahin, daß man ihre Ueberflüssigkeit nun allgemein ein¬
sehen werde, nachdem Partei gegen Partei die Gelegenheit benützt, sich soviel
wie möglich wechselseitig in der öffentlichen Meinung zu schaden.

Einmal auf unfruchtbarem Boden, erlebte das Haus am 9. Dezember
auch noch etwas Kulturkampf, der sich, wie jene Debatte, uuter der Firma des
Etats des Ministeriums des Innern abspielte. Bachem beschwerte sich in ein¬
stündiger Rede über Schwierigkeiten, welche die Katholiken jetzt fänden, um zu
höheren Aemtern zu gelangen. Minister Eulenburg leugnete entschieden eine
Parteilichkeit und deutete an, daß die Anstellung von den Katholiken weniger


Mixtum von Fortschritt, Zentrum und Komik, trieb das Reden von Allotria
auf die Spitze, gefiel sich in so barocken Wendungen, daß uns der Wunsch be-
schlich, die Photographien seiner Wähler zu sehen, und wurde durch den Un¬
willen des Hauses fortwährend, vom Präsidenten nur bei eingehender Darstel¬
lung der Politik Cavour's unterbrochen, konnte auch nicht begreifen, warum
der Präsident seine Bemerkung mißbilligte, die preußischen Prinzen seien mal
in Breslau als Hunde bezeichnet. Mit Virchow den Grund der Sozialdemo¬
kratie in der Politik Bismarck's sehend, verhöhnte Redner schließlich sich selbst
durch die Behauptung, daß die Schuld auch an den endlosen Kammerreden liege.

Die Verhandlung stand auf der vollen Höhe der Parteienverhetzung, als
Richter unter vielfacher Zustimmung die Rede von Ludwig's für eine so schlimme
Erregung des Klassenhasses erklärte, wie sie bei Sozialdemokraten üblich. Er
selbst schien zu meinen, Gleiches dadurch zu vermeiden, daß er die Verordnung
als Beweis für die Wirkungslosigkeit des Sozialistengesetzes bezeichnete. Bei
Richter kann man sich schon längst über nichts mehr wundern; immerhin aber
werden wir durch die Dreistigkeit seiner jetzigen Behauptung frappirt, daß der
glänzende Empfang des zurückkehrenden Kaisers das Werk der Fortschritts¬
partei sei. Am Ende ist dieselbe noch die loyalste! Sie ist vielleicht loyaler
als die Regierung, denn nach Richter hat gerade die Verordnung Handel und
Verkehr beunruhigt. Es war doch wirklich viel zu gutmüthig, daß Bethusy
die Fortschrittler als die Kraft bezeichnete, die stets das Gute will und stets
das Böse schafft. Hänel trat mit seinem Verlangen nach Angabe bestimmter,
die Verordnung rechtfertigender Thatsachen, die doch nur vor den Reichstag
gehören, ganz aus dem Rahmen der hier zulässigen Erörterung und verging
sich im Uebrigen in einer unklaren und widerspruchsvollen Schilderung seiner
eigenen Partei bis auf den römischen König Tarquinius hinab, v. Rauchhaupt
bedauerte zwar, daß die Debatte die Gegensätze der Parteien verschärft, trug
aber doch selbst etwas dazu bei, indem er die Hinüberziehung der sozialdemo¬
kratischen Wähler in das eigene Lager als Zweck des jetzigen Vorgehens der
Fortschrittler angab. Endlich konstatirte Laster das Ergebniß der ganzen
Debatte ganz richtig dahin, daß man ihre Ueberflüssigkeit nun allgemein ein¬
sehen werde, nachdem Partei gegen Partei die Gelegenheit benützt, sich soviel
wie möglich wechselseitig in der öffentlichen Meinung zu schaden.

Einmal auf unfruchtbarem Boden, erlebte das Haus am 9. Dezember
auch noch etwas Kulturkampf, der sich, wie jene Debatte, uuter der Firma des
Etats des Ministeriums des Innern abspielte. Bachem beschwerte sich in ein¬
stündiger Rede über Schwierigkeiten, welche die Katholiken jetzt fänden, um zu
höheren Aemtern zu gelangen. Minister Eulenburg leugnete entschieden eine
Parteilichkeit und deutete an, daß die Anstellung von den Katholiken weniger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/479>, abgerufen am 29.05.2024.