Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er auch stehen mag. Denn viele der großen Züge unsres Kaisers, vor allem
die unermüdliche Pflichterfüllung im Dienste des Staates, das Streben jedes
Opfer zu bringen, das dem Glücke des Volkes dient, selbst das Opfer der aus
einer früheren Zeit überkommenen theuren Ueberzeugung, finden sich in dem Bilde
dieses Königs ausgeprägt. In dieser Hinsicht kann auch ein von Herrn von Falken-
stein völlig abweichender Standpunkt nicht anders urtheilen, als er gethan,
und es gereicht zu besonderer Freude, daß das Bild des Fürsten in Wahr¬
heit immer in den Tagen am reinsten sich zeigt, in denen politische Leiden¬
schaft es zu verzerren und zu verdunkeln bestrebt war: so 1845, 1848, 1866.
Wer die Quellen nachliest, die Herrn von Falkenstein zu Gebote standen, und
diejenigen, welche zu der nachstehenden Darstellung benutzt sind, wird erkennen,
wie vollständig sie sich decken in dem Bericht über das Verhalten des Prinzen
an einem der schwersten Tage seines Lebens, am 12. August 1845 in Leipzig.
Diese Uebereinstimmung der Auffassung ist um so unabhängiger, als die nach¬
stehende Darstellung jener Ereignisse bereits geschrieben und gedruckt war, als
mir das Buch des Herrn von Falkenstein zu Gesicht kam.

Das Eine aber, was dem Buche des Herrn v. Falkenstein vorzuwerfen ist
und worin er nicht königlicher, sondern bei weitem weniger weitsichtig ist, als
der König, den sein Buch feiert, ist seine beinahe hervorragende Unfähigkeit,
sich mit den Ideen, die seit etwa fünfunddreißig Jahren Deutschland und
Sachsen insbesondere bewegt haben, irgendwie zu befreunden. Im Jahre des
Heils 1878 bezeichnet uns Herr von Falkenstein alle die Ideen, welche in
Sachsen vom Jahre 1833 an bis zum Jahre 1848 sich regten, nnr als "den un¬
ruhigen, ins Ungewisse nach sogenanntem Fortschritt strebenden Zeitgeist", den
"Geist, der stets verneint"-- Doch wer sich auch nur ganz oberflächlich mit
der sächsischen Geschichte beschäftigt hat, weiß, daß zu diesen Ideen haupt¬
sächlich das Streben nach einer gründlichen Reform des damaligen sächsischen
Strafrechts und Strafverfahreus gehört, an welcher der damalige Prinz Johann
den lebhaftesten Antheil genommen, durch deren gesetzliche Anerkennung und
Durcharbeitung er sich nicht den kleinsten Ruhm seiner Regierung als König
erworben hat. Und so könnte im Einzelnen noch an hundert Beispielen dem
Standpunkt des Herrn, welcher sich in den vierziger Jahren bis zum Jahre
1848 von dem mit reichster Hoffnung des Volkes begrüßten Minister Sachsen's
zu dem mit Recht bestgehaßten entwickelte, nachgewiesen werden, wie wenig ein
allgemeiner Steckbrief gegen den Zeitgeist zur schlichten geschichtlichen Wahrheit
und vor Allem auch zu dem großen Bilde des Fürsten paßt, welcher in jenem
Buche gefeiert werden soll. Aber ein solcher Nachweis würde Bogen füllen



S. 143.

er auch stehen mag. Denn viele der großen Züge unsres Kaisers, vor allem
die unermüdliche Pflichterfüllung im Dienste des Staates, das Streben jedes
Opfer zu bringen, das dem Glücke des Volkes dient, selbst das Opfer der aus
einer früheren Zeit überkommenen theuren Ueberzeugung, finden sich in dem Bilde
dieses Königs ausgeprägt. In dieser Hinsicht kann auch ein von Herrn von Falken-
stein völlig abweichender Standpunkt nicht anders urtheilen, als er gethan,
und es gereicht zu besonderer Freude, daß das Bild des Fürsten in Wahr¬
heit immer in den Tagen am reinsten sich zeigt, in denen politische Leiden¬
schaft es zu verzerren und zu verdunkeln bestrebt war: so 1845, 1848, 1866.
Wer die Quellen nachliest, die Herrn von Falkenstein zu Gebote standen, und
diejenigen, welche zu der nachstehenden Darstellung benutzt sind, wird erkennen,
wie vollständig sie sich decken in dem Bericht über das Verhalten des Prinzen
an einem der schwersten Tage seines Lebens, am 12. August 1845 in Leipzig.
Diese Uebereinstimmung der Auffassung ist um so unabhängiger, als die nach¬
stehende Darstellung jener Ereignisse bereits geschrieben und gedruckt war, als
mir das Buch des Herrn von Falkenstein zu Gesicht kam.

Das Eine aber, was dem Buche des Herrn v. Falkenstein vorzuwerfen ist
und worin er nicht königlicher, sondern bei weitem weniger weitsichtig ist, als
der König, den sein Buch feiert, ist seine beinahe hervorragende Unfähigkeit,
sich mit den Ideen, die seit etwa fünfunddreißig Jahren Deutschland und
Sachsen insbesondere bewegt haben, irgendwie zu befreunden. Im Jahre des
Heils 1878 bezeichnet uns Herr von Falkenstein alle die Ideen, welche in
Sachsen vom Jahre 1833 an bis zum Jahre 1848 sich regten, nnr als „den un¬
ruhigen, ins Ungewisse nach sogenanntem Fortschritt strebenden Zeitgeist", den
„Geist, der stets verneint"— Doch wer sich auch nur ganz oberflächlich mit
der sächsischen Geschichte beschäftigt hat, weiß, daß zu diesen Ideen haupt¬
sächlich das Streben nach einer gründlichen Reform des damaligen sächsischen
Strafrechts und Strafverfahreus gehört, an welcher der damalige Prinz Johann
den lebhaftesten Antheil genommen, durch deren gesetzliche Anerkennung und
Durcharbeitung er sich nicht den kleinsten Ruhm seiner Regierung als König
erworben hat. Und so könnte im Einzelnen noch an hundert Beispielen dem
Standpunkt des Herrn, welcher sich in den vierziger Jahren bis zum Jahre
1848 von dem mit reichster Hoffnung des Volkes begrüßten Minister Sachsen's
zu dem mit Recht bestgehaßten entwickelte, nachgewiesen werden, wie wenig ein
allgemeiner Steckbrief gegen den Zeitgeist zur schlichten geschichtlichen Wahrheit
und vor Allem auch zu dem großen Bilde des Fürsten paßt, welcher in jenem
Buche gefeiert werden soll. Aber ein solcher Nachweis würde Bogen füllen



S. 143.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140930"/>
          <p xml:id="ID_158" prev="#ID_157"> er auch stehen mag. Denn viele der großen Züge unsres Kaisers, vor allem<lb/>
die unermüdliche Pflichterfüllung im Dienste des Staates, das Streben jedes<lb/>
Opfer zu bringen, das dem Glücke des Volkes dient, selbst das Opfer der aus<lb/>
einer früheren Zeit überkommenen theuren Ueberzeugung, finden sich in dem Bilde<lb/>
dieses Königs ausgeprägt. In dieser Hinsicht kann auch ein von Herrn von Falken-<lb/>
stein völlig abweichender Standpunkt nicht anders urtheilen, als er gethan,<lb/>
und es gereicht zu besonderer Freude, daß das Bild des Fürsten in Wahr¬<lb/>
heit immer in den Tagen am reinsten sich zeigt, in denen politische Leiden¬<lb/>
schaft es zu verzerren und zu verdunkeln bestrebt war: so 1845, 1848, 1866.<lb/>
Wer die Quellen nachliest, die Herrn von Falkenstein zu Gebote standen, und<lb/>
diejenigen, welche zu der nachstehenden Darstellung benutzt sind, wird erkennen,<lb/>
wie vollständig sie sich decken in dem Bericht über das Verhalten des Prinzen<lb/>
an einem der schwersten Tage seines Lebens, am 12. August 1845 in Leipzig.<lb/>
Diese Uebereinstimmung der Auffassung ist um so unabhängiger, als die nach¬<lb/>
stehende Darstellung jener Ereignisse bereits geschrieben und gedruckt war, als<lb/>
mir das Buch des Herrn von Falkenstein zu Gesicht kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_159" next="#ID_160"> Das Eine aber, was dem Buche des Herrn v. Falkenstein vorzuwerfen ist<lb/>
und worin er nicht königlicher, sondern bei weitem weniger weitsichtig ist, als<lb/>
der König, den sein Buch feiert, ist seine beinahe hervorragende Unfähigkeit,<lb/>
sich mit den Ideen, die seit etwa fünfunddreißig Jahren Deutschland und<lb/>
Sachsen insbesondere bewegt haben, irgendwie zu befreunden. Im Jahre des<lb/>
Heils 1878 bezeichnet uns Herr von Falkenstein alle die Ideen, welche in<lb/>
Sachsen vom Jahre 1833 an bis zum Jahre 1848 sich regten, nnr als &#x201E;den un¬<lb/>
ruhigen, ins Ungewisse nach sogenanntem Fortschritt strebenden Zeitgeist", den<lb/>
&#x201E;Geist, der stets verneint"&#x2014; Doch wer sich auch nur ganz oberflächlich mit<lb/>
der sächsischen Geschichte beschäftigt hat, weiß, daß zu diesen Ideen haupt¬<lb/>
sächlich das Streben nach einer gründlichen Reform des damaligen sächsischen<lb/>
Strafrechts und Strafverfahreus gehört, an welcher der damalige Prinz Johann<lb/>
den lebhaftesten Antheil genommen, durch deren gesetzliche Anerkennung und<lb/>
Durcharbeitung er sich nicht den kleinsten Ruhm seiner Regierung als König<lb/>
erworben hat. Und so könnte im Einzelnen noch an hundert Beispielen dem<lb/>
Standpunkt des Herrn, welcher sich in den vierziger Jahren bis zum Jahre<lb/>
1848 von dem mit reichster Hoffnung des Volkes begrüßten Minister Sachsen's<lb/>
zu dem mit Recht bestgehaßten entwickelte, nachgewiesen werden, wie wenig ein<lb/>
allgemeiner Steckbrief gegen den Zeitgeist zur schlichten geschichtlichen Wahrheit<lb/>
und vor Allem auch zu dem großen Bilde des Fürsten paßt, welcher in jenem<lb/>
Buche gefeiert werden soll. Aber ein solcher Nachweis würde Bogen füllen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_13" place="foot"> S. 143.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] er auch stehen mag. Denn viele der großen Züge unsres Kaisers, vor allem die unermüdliche Pflichterfüllung im Dienste des Staates, das Streben jedes Opfer zu bringen, das dem Glücke des Volkes dient, selbst das Opfer der aus einer früheren Zeit überkommenen theuren Ueberzeugung, finden sich in dem Bilde dieses Königs ausgeprägt. In dieser Hinsicht kann auch ein von Herrn von Falken- stein völlig abweichender Standpunkt nicht anders urtheilen, als er gethan, und es gereicht zu besonderer Freude, daß das Bild des Fürsten in Wahr¬ heit immer in den Tagen am reinsten sich zeigt, in denen politische Leiden¬ schaft es zu verzerren und zu verdunkeln bestrebt war: so 1845, 1848, 1866. Wer die Quellen nachliest, die Herrn von Falkenstein zu Gebote standen, und diejenigen, welche zu der nachstehenden Darstellung benutzt sind, wird erkennen, wie vollständig sie sich decken in dem Bericht über das Verhalten des Prinzen an einem der schwersten Tage seines Lebens, am 12. August 1845 in Leipzig. Diese Uebereinstimmung der Auffassung ist um so unabhängiger, als die nach¬ stehende Darstellung jener Ereignisse bereits geschrieben und gedruckt war, als mir das Buch des Herrn von Falkenstein zu Gesicht kam. Das Eine aber, was dem Buche des Herrn v. Falkenstein vorzuwerfen ist und worin er nicht königlicher, sondern bei weitem weniger weitsichtig ist, als der König, den sein Buch feiert, ist seine beinahe hervorragende Unfähigkeit, sich mit den Ideen, die seit etwa fünfunddreißig Jahren Deutschland und Sachsen insbesondere bewegt haben, irgendwie zu befreunden. Im Jahre des Heils 1878 bezeichnet uns Herr von Falkenstein alle die Ideen, welche in Sachsen vom Jahre 1833 an bis zum Jahre 1848 sich regten, nnr als „den un¬ ruhigen, ins Ungewisse nach sogenanntem Fortschritt strebenden Zeitgeist", den „Geist, der stets verneint"— Doch wer sich auch nur ganz oberflächlich mit der sächsischen Geschichte beschäftigt hat, weiß, daß zu diesen Ideen haupt¬ sächlich das Streben nach einer gründlichen Reform des damaligen sächsischen Strafrechts und Strafverfahreus gehört, an welcher der damalige Prinz Johann den lebhaftesten Antheil genommen, durch deren gesetzliche Anerkennung und Durcharbeitung er sich nicht den kleinsten Ruhm seiner Regierung als König erworben hat. Und so könnte im Einzelnen noch an hundert Beispielen dem Standpunkt des Herrn, welcher sich in den vierziger Jahren bis zum Jahre 1848 von dem mit reichster Hoffnung des Volkes begrüßten Minister Sachsen's zu dem mit Recht bestgehaßten entwickelte, nachgewiesen werden, wie wenig ein allgemeiner Steckbrief gegen den Zeitgeist zur schlichten geschichtlichen Wahrheit und vor Allem auch zu dem großen Bilde des Fürsten paßt, welcher in jenem Buche gefeiert werden soll. Aber ein solcher Nachweis würde Bogen füllen S. 143.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/51>, abgerufen am 15.05.2024.