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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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und schließlich doch nur wenige Nichtsachsen interessiren. Dankbarer ist die Auf¬
gabe, Herrn von Falkenstein an einem einzelnen Falle nachzuweisen, daß er ganz ein¬
seitig urtheilt, daß er stets geneigt ist, wo ein Konflikt zwischen Volk und Regie¬
rung zu Tage tritt, dem Volke entschieden Unrecht zu geben, die Fehler der Regierung
-- namentlich derjenigen, die er selbst mit leitete, -- zu übersehen. In dieser
Hinsicht sind die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 besonders lehrreich
für seine historische Auffassung. Er führt die Erzählung dieser Ereignisse ein
durch die Bemerkung: "Die revolutionäre Partei, die damals" -- in der
Mitte des Jahres 1845, in der Schreckenszeit des reaktionären Ministeriums
Könneritz! -- "das große Wort führte, hatte kein Mittel gescheut, den reli¬
giösen Fanatismus aufzuregen."*) Und S. 160 heißt es weiter: "Wahrschein¬
lich hatten freilich die Parteiführer dabei" -- nämlich bei Erregung der Leip¬
ziger Exzesse des 12. August -- "den Gedanken: zu Probiren, inwieweit für
spätere Zeiten auf die revolutionären Gesinnungen des Publikums zu rechnen
sein werde." Der Herr Minister a. D. insinuirt hier also: die revolutionäre
Partei habe damals in Leipzig den Ton angegeben. Ihre Parteiführer hätten
die Exzesse des 12. August planmäßig in Szene gesetzt, als Kraftprobe für
ihre revolutionären Absichten. Diese Behauptung wird wiederholt mit dem
Gewicht, welches das gedruckte Wort auch eines verabschiedeten Ministers
in den Augen deutscher Leser immer hat, im Jahre 1878, nachdem schon vor
dreiunddreißig Jahren gerade durch die Untersuchungen der sächsischen Regierung
selbst für alle Einsichtigen außer allem Zweifel steht, daß kein wahres Wort an
diesen Insinuationen ist. Zudem ist es klar, auf wen diese Anschuldigungen
zielen, auf den Führer der damaligen sächsischen Bewegung, der seit dreißig
Jahren todt ist, auf Robert Blum.

Es erscheint daher gewiß gerechtfertigt, ans meiner in wenig Wochen
(bei E. Keil) erscheinenden Biographie Robert Blum's diejenigen Abschnitte her¬
auszuheben, welche die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 betreffen, um
zu zeigen, wie unrichtig die obigen Behauptungen des Herrn von Falkenstein
sind. Sein Bild und seine Thätigkeit nach jenen Ereignissen werden von den
Quellen freilich nicht in ungetrübter Schönheit zurückgestrahlt. Zunächst muß
hier ein flüchtiger Umriß der damaligen politischen Lage in Sachsen gegeben
werden.

Am 1. September 1843 war der tüchtigste, verdienstvollste und freisinnigste
Minister, den Sachsen je besessen, Bernhard von Lindenau, von seinem Amte
in das Privatleben zurückgetreten^ An seiner Stelle hatte der bisherige Justiz-
minister von Könneritz die Leitung des Ministeriums übernommen. Sein



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und schließlich doch nur wenige Nichtsachsen interessiren. Dankbarer ist die Auf¬
gabe, Herrn von Falkenstein an einem einzelnen Falle nachzuweisen, daß er ganz ein¬
seitig urtheilt, daß er stets geneigt ist, wo ein Konflikt zwischen Volk und Regie¬
rung zu Tage tritt, dem Volke entschieden Unrecht zu geben, die Fehler der Regierung
— namentlich derjenigen, die er selbst mit leitete, — zu übersehen. In dieser
Hinsicht sind die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 besonders lehrreich
für seine historische Auffassung. Er führt die Erzählung dieser Ereignisse ein
durch die Bemerkung: „Die revolutionäre Partei, die damals" — in der
Mitte des Jahres 1845, in der Schreckenszeit des reaktionären Ministeriums
Könneritz! — „das große Wort führte, hatte kein Mittel gescheut, den reli¬
giösen Fanatismus aufzuregen."*) Und S. 160 heißt es weiter: „Wahrschein¬
lich hatten freilich die Parteiführer dabei" — nämlich bei Erregung der Leip¬
ziger Exzesse des 12. August — „den Gedanken: zu Probiren, inwieweit für
spätere Zeiten auf die revolutionären Gesinnungen des Publikums zu rechnen
sein werde." Der Herr Minister a. D. insinuirt hier also: die revolutionäre
Partei habe damals in Leipzig den Ton angegeben. Ihre Parteiführer hätten
die Exzesse des 12. August planmäßig in Szene gesetzt, als Kraftprobe für
ihre revolutionären Absichten. Diese Behauptung wird wiederholt mit dem
Gewicht, welches das gedruckte Wort auch eines verabschiedeten Ministers
in den Augen deutscher Leser immer hat, im Jahre 1878, nachdem schon vor
dreiunddreißig Jahren gerade durch die Untersuchungen der sächsischen Regierung
selbst für alle Einsichtigen außer allem Zweifel steht, daß kein wahres Wort an
diesen Insinuationen ist. Zudem ist es klar, auf wen diese Anschuldigungen
zielen, auf den Führer der damaligen sächsischen Bewegung, der seit dreißig
Jahren todt ist, auf Robert Blum.

Es erscheint daher gewiß gerechtfertigt, ans meiner in wenig Wochen
(bei E. Keil) erscheinenden Biographie Robert Blum's diejenigen Abschnitte her¬
auszuheben, welche die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 betreffen, um
zu zeigen, wie unrichtig die obigen Behauptungen des Herrn von Falkenstein
sind. Sein Bild und seine Thätigkeit nach jenen Ereignissen werden von den
Quellen freilich nicht in ungetrübter Schönheit zurückgestrahlt. Zunächst muß
hier ein flüchtiger Umriß der damaligen politischen Lage in Sachsen gegeben
werden.

Am 1. September 1843 war der tüchtigste, verdienstvollste und freisinnigste
Minister, den Sachsen je besessen, Bernhard von Lindenau, von seinem Amte
in das Privatleben zurückgetreten^ An seiner Stelle hatte der bisherige Justiz-
minister von Könneritz die Leitung des Ministeriums übernommen. Sein



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[0052] und schließlich doch nur wenige Nichtsachsen interessiren. Dankbarer ist die Auf¬ gabe, Herrn von Falkenstein an einem einzelnen Falle nachzuweisen, daß er ganz ein¬ seitig urtheilt, daß er stets geneigt ist, wo ein Konflikt zwischen Volk und Regie¬ rung zu Tage tritt, dem Volke entschieden Unrecht zu geben, die Fehler der Regierung — namentlich derjenigen, die er selbst mit leitete, — zu übersehen. In dieser Hinsicht sind die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 besonders lehrreich für seine historische Auffassung. Er führt die Erzählung dieser Ereignisse ein durch die Bemerkung: „Die revolutionäre Partei, die damals" — in der Mitte des Jahres 1845, in der Schreckenszeit des reaktionären Ministeriums Könneritz! — „das große Wort führte, hatte kein Mittel gescheut, den reli¬ giösen Fanatismus aufzuregen."*) Und S. 160 heißt es weiter: „Wahrschein¬ lich hatten freilich die Parteiführer dabei" — nämlich bei Erregung der Leip¬ ziger Exzesse des 12. August — „den Gedanken: zu Probiren, inwieweit für spätere Zeiten auf die revolutionären Gesinnungen des Publikums zu rechnen sein werde." Der Herr Minister a. D. insinuirt hier also: die revolutionäre Partei habe damals in Leipzig den Ton angegeben. Ihre Parteiführer hätten die Exzesse des 12. August planmäßig in Szene gesetzt, als Kraftprobe für ihre revolutionären Absichten. Diese Behauptung wird wiederholt mit dem Gewicht, welches das gedruckte Wort auch eines verabschiedeten Ministers in den Augen deutscher Leser immer hat, im Jahre 1878, nachdem schon vor dreiunddreißig Jahren gerade durch die Untersuchungen der sächsischen Regierung selbst für alle Einsichtigen außer allem Zweifel steht, daß kein wahres Wort an diesen Insinuationen ist. Zudem ist es klar, auf wen diese Anschuldigungen zielen, auf den Führer der damaligen sächsischen Bewegung, der seit dreißig Jahren todt ist, auf Robert Blum. Es erscheint daher gewiß gerechtfertigt, ans meiner in wenig Wochen (bei E. Keil) erscheinenden Biographie Robert Blum's diejenigen Abschnitte her¬ auszuheben, welche die Leipziger Augustereignisse des Jahres 1845 betreffen, um zu zeigen, wie unrichtig die obigen Behauptungen des Herrn von Falkenstein sind. Sein Bild und seine Thätigkeit nach jenen Ereignissen werden von den Quellen freilich nicht in ungetrübter Schönheit zurückgestrahlt. Zunächst muß hier ein flüchtiger Umriß der damaligen politischen Lage in Sachsen gegeben werden. Am 1. September 1843 war der tüchtigste, verdienstvollste und freisinnigste Minister, den Sachsen je besessen, Bernhard von Lindenau, von seinem Amte in das Privatleben zurückgetreten^ An seiner Stelle hatte der bisherige Justiz- minister von Könneritz die Leitung des Ministeriums übernommen. Sein S. 1S9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/52>, abgerufen am 31.05.2024.