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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Die nationalliberale Partei war erfreut, Lamey, der in Folge der Vor¬
gänge bei der Reichstagswahl des vorigen Sommers das von ihm für Frei¬
burg geführte Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte*), sofort bei dem Wieder¬
zusammentritt des Landtags der zweiten Kammer zurückgegeben zu sehen. Die
Stadt Karlsruhe hatte sich beeilt, dem bewährten Volksmann und Parlamentarier
ein eben erledigtes Mandat zu übertragen. Die Kammer hat ihn alsbald
wieder auf den Präsidentenstuhl erhoben. Ein anderweitiger Verlust aber ist
der durch die Erklärung vom 9. November kund gegebene Rücktritt Kiefer's
von der Oberleitung des Organs der nationalliberalen Partei in Baden, der
"Bad. Correspondenz", und gleichzeitig von der Vorstand- und Mitgliedschaft
des Ausschusses der Partei. Das Aufsehen hierüber wird erhöht durch den
gleichfalls öffentlich kundgegebenen Entschluß Kiefer's, nach Ablauf der gegen¬
wärtigen, im Sommer des nächsten Jahres zu Ende gehenden Landtagssession
ein Mandat für die zweite Kammer nicht mehr zu übernehmen. Als Grund
dieses Rücktrittes und Entschlusses gibt man an, daß die gleichzeitige Führung
des Landtags- und Reichstagsmcmdats den Abgeordneten zu oft und während
zu langer Zeit seinem amtlichen Berufe entziehe. Das Gewicht dieses Grundes
ist durchaus anzuerkennen, zumal da bei Kiefer noch die Rücksichten auf die
persönlichen Gesundheitsverhältnisse schwer in die Wagschaale fallen. Gewiß
hat auch nicht etwa ein momentaner Entschluß die Rücktrittserklärung veran¬
laßt. Indessen wird man doch nicht fehlgreifen, wenn man noch tiefer liegende
Gründe aufsucht. Solche aber zeigen sich wohl erkennbar demjenigen, der die
seit Jahren geübte parlamentarische Wirksamkeit Kiefer's und seine energische
politische Thätigkeit außerhalb der Kammer genan beachtet hat und nun den
aus solcher Beachtung abstrcchirten politischen Charakter Kiefer's in der
augenblicklichen und wohl nicht nur kurz dauernden politischen und parlamen¬
tarischen Situation inne stehen sieht. Kiefer ist eine scharf ausgeprägte prin¬
zipielle Natur; er kann nur die für richtig erkannten politischen Zielpunkte mit
vollster Schärfe in's Auge fassen und mit schneidender Konsequenz sie zu ver¬
wirklichen streben. Mit rückhaltslosester Ueberzeugung steht er auf dem Boden
des nationalen und liberalen Programms. Diese Ueberzeugung macht ihn in
Verfechtung der modernen Staatsidee zum glühenden, im edeln Sinne des
Wortes leidenschaftsvollen Gegner Rom's, zum begeisterten Vertreter des natio¬
nalen Gedankens. Die große Gewandtheit und Schlagfertigkeit der Rede
qualifiziren ihn zu einem hervorragenden Parlamentarier, während gleichzeitig
sein reines Streben, seine rastlose Thätigkeit ihm innerhalb der eigenen Partei
rasch hohes Ansehen erwarben. Diese Partei und ihre Thätigkeit auf dem
Landtag ist seit länger als einem Jahrzehnt ohne Kiefer kaum denkbar,



Vgl. Gronzlu'den 1878 Ur. W.

Die nationalliberale Partei war erfreut, Lamey, der in Folge der Vor¬
gänge bei der Reichstagswahl des vorigen Sommers das von ihm für Frei¬
burg geführte Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte*), sofort bei dem Wieder¬
zusammentritt des Landtags der zweiten Kammer zurückgegeben zu sehen. Die
Stadt Karlsruhe hatte sich beeilt, dem bewährten Volksmann und Parlamentarier
ein eben erledigtes Mandat zu übertragen. Die Kammer hat ihn alsbald
wieder auf den Präsidentenstuhl erhoben. Ein anderweitiger Verlust aber ist
der durch die Erklärung vom 9. November kund gegebene Rücktritt Kiefer's
von der Oberleitung des Organs der nationalliberalen Partei in Baden, der
„Bad. Correspondenz", und gleichzeitig von der Vorstand- und Mitgliedschaft
des Ausschusses der Partei. Das Aufsehen hierüber wird erhöht durch den
gleichfalls öffentlich kundgegebenen Entschluß Kiefer's, nach Ablauf der gegen¬
wärtigen, im Sommer des nächsten Jahres zu Ende gehenden Landtagssession
ein Mandat für die zweite Kammer nicht mehr zu übernehmen. Als Grund
dieses Rücktrittes und Entschlusses gibt man an, daß die gleichzeitige Führung
des Landtags- und Reichstagsmcmdats den Abgeordneten zu oft und während
zu langer Zeit seinem amtlichen Berufe entziehe. Das Gewicht dieses Grundes
ist durchaus anzuerkennen, zumal da bei Kiefer noch die Rücksichten auf die
persönlichen Gesundheitsverhältnisse schwer in die Wagschaale fallen. Gewiß
hat auch nicht etwa ein momentaner Entschluß die Rücktrittserklärung veran¬
laßt. Indessen wird man doch nicht fehlgreifen, wenn man noch tiefer liegende
Gründe aufsucht. Solche aber zeigen sich wohl erkennbar demjenigen, der die
seit Jahren geübte parlamentarische Wirksamkeit Kiefer's und seine energische
politische Thätigkeit außerhalb der Kammer genan beachtet hat und nun den
aus solcher Beachtung abstrcchirten politischen Charakter Kiefer's in der
augenblicklichen und wohl nicht nur kurz dauernden politischen und parlamen¬
tarischen Situation inne stehen sieht. Kiefer ist eine scharf ausgeprägte prin¬
zipielle Natur; er kann nur die für richtig erkannten politischen Zielpunkte mit
vollster Schärfe in's Auge fassen und mit schneidender Konsequenz sie zu ver¬
wirklichen streben. Mit rückhaltslosester Ueberzeugung steht er auf dem Boden
des nationalen und liberalen Programms. Diese Ueberzeugung macht ihn in
Verfechtung der modernen Staatsidee zum glühenden, im edeln Sinne des
Wortes leidenschaftsvollen Gegner Rom's, zum begeisterten Vertreter des natio¬
nalen Gedankens. Die große Gewandtheit und Schlagfertigkeit der Rede
qualifiziren ihn zu einem hervorragenden Parlamentarier, während gleichzeitig
sein reines Streben, seine rastlose Thätigkeit ihm innerhalb der eigenen Partei
rasch hohes Ansehen erwarben. Diese Partei und ihre Thätigkeit auf dem
Landtag ist seit länger als einem Jahrzehnt ohne Kiefer kaum denkbar,



Vgl. Gronzlu'den 1878 Ur. W.
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[0516] Die nationalliberale Partei war erfreut, Lamey, der in Folge der Vor¬ gänge bei der Reichstagswahl des vorigen Sommers das von ihm für Frei¬ burg geführte Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte*), sofort bei dem Wieder¬ zusammentritt des Landtags der zweiten Kammer zurückgegeben zu sehen. Die Stadt Karlsruhe hatte sich beeilt, dem bewährten Volksmann und Parlamentarier ein eben erledigtes Mandat zu übertragen. Die Kammer hat ihn alsbald wieder auf den Präsidentenstuhl erhoben. Ein anderweitiger Verlust aber ist der durch die Erklärung vom 9. November kund gegebene Rücktritt Kiefer's von der Oberleitung des Organs der nationalliberalen Partei in Baden, der „Bad. Correspondenz", und gleichzeitig von der Vorstand- und Mitgliedschaft des Ausschusses der Partei. Das Aufsehen hierüber wird erhöht durch den gleichfalls öffentlich kundgegebenen Entschluß Kiefer's, nach Ablauf der gegen¬ wärtigen, im Sommer des nächsten Jahres zu Ende gehenden Landtagssession ein Mandat für die zweite Kammer nicht mehr zu übernehmen. Als Grund dieses Rücktrittes und Entschlusses gibt man an, daß die gleichzeitige Führung des Landtags- und Reichstagsmcmdats den Abgeordneten zu oft und während zu langer Zeit seinem amtlichen Berufe entziehe. Das Gewicht dieses Grundes ist durchaus anzuerkennen, zumal da bei Kiefer noch die Rücksichten auf die persönlichen Gesundheitsverhältnisse schwer in die Wagschaale fallen. Gewiß hat auch nicht etwa ein momentaner Entschluß die Rücktrittserklärung veran¬ laßt. Indessen wird man doch nicht fehlgreifen, wenn man noch tiefer liegende Gründe aufsucht. Solche aber zeigen sich wohl erkennbar demjenigen, der die seit Jahren geübte parlamentarische Wirksamkeit Kiefer's und seine energische politische Thätigkeit außerhalb der Kammer genan beachtet hat und nun den aus solcher Beachtung abstrcchirten politischen Charakter Kiefer's in der augenblicklichen und wohl nicht nur kurz dauernden politischen und parlamen¬ tarischen Situation inne stehen sieht. Kiefer ist eine scharf ausgeprägte prin¬ zipielle Natur; er kann nur die für richtig erkannten politischen Zielpunkte mit vollster Schärfe in's Auge fassen und mit schneidender Konsequenz sie zu ver¬ wirklichen streben. Mit rückhaltslosester Ueberzeugung steht er auf dem Boden des nationalen und liberalen Programms. Diese Ueberzeugung macht ihn in Verfechtung der modernen Staatsidee zum glühenden, im edeln Sinne des Wortes leidenschaftsvollen Gegner Rom's, zum begeisterten Vertreter des natio¬ nalen Gedankens. Die große Gewandtheit und Schlagfertigkeit der Rede qualifiziren ihn zu einem hervorragenden Parlamentarier, während gleichzeitig sein reines Streben, seine rastlose Thätigkeit ihm innerhalb der eigenen Partei rasch hohes Ansehen erwarben. Diese Partei und ihre Thätigkeit auf dem Landtag ist seit länger als einem Jahrzehnt ohne Kiefer kaum denkbar, Vgl. Gronzlu'den 1878 Ur. W.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/516>, abgerufen am 31.05.2024.